Ein Essay von Wolfgang Schmidt

 

 

Nur Mensch, nur Kreatur

 

Vorwort

 

Wenn man anfängt nachzudenken, nachzudenken überhaupt, noch gar nicht über etwas besonderes, über kein besonderes Thema, nur so, dann fragt man sicher unwillkürlich, warum das so ist, warum es so sein muss und nicht anders. Es ist unwichtig über welchen Gegenstand man zu denken beginnt. Das kann ein riesiges Gedankengebäude sein, ein Staat mit all seinen diversen Einrichtungen und wie und warum diese so funktionieren, oder warum ein Hund in der Sommershitze hechelt. Was ist ein Hund, was ist hecheln? Was ist Sommershitze, was Hitze, was Temperatur? Woher kommt diese und seit wann gibt es sie?

 

Aber vielleicht ist dies alles unsinnig, schon das Nachdenken. Und wenn schon: Kann man das nicht berufsmäßigen Denkern überlassen oder einfach eine Kapazität fragen? Das kann man schon. Aber berufsmäßige Denker sind Philosophen, die jedoch in den seltensten Fällen nach- meistens vordenken. Und das ist grässlich. Da wird allenfalls gefragt ob die eigene Vorstellung von den Dingen richtig ist und argumentiert mit den eigenen Vorstellungen, was man einen Zirkelschluss nennt oder man beruft sich auf die höhere Instanz X. Es wird einem von einem „großen Denker“ vorgedacht und man hat es zu glauben oder kann sich bestenfalls in einen Streit der Philosophen untereinander einmischen. Und wie ist das mit der Kapazität? Ist das jemand, der eine Sache zu Ende gedacht hat? Wenn ja, dann soll man ihn vergessen, denn zu Ende kann man nie denken, allenfalls glauben. Um letzteres wird es sehr viel gehen, aber das ist ja der eigentliche Text dieser – ich nenne sie so – Arbeit.

 

Doch gibt es wirklich kein Denken, das immer weiter fragt warum und wieder warum und wieder? Wohin käme man denn da? Ganz einfach: Man kommt zu den exakten Naturwissenschaften, allen voran zu Physik und Mathematik. Nicht dass man in diesen auf einen Urgrund gestoßen wäre, unter dem es nichts mehr gibt, keineswegs. Aber wenn man heute eine neue Entdeckung macht und sie bekannt gibt, muss sie der nächste – ob Physiker oder Mathematiker – exakt nachvollziehen, nachrechnen und ihre Gültigkeit nachweisen können. Hier darf nichts als Gesetz oder auch nur vorläufige Behauptung stehen, nur weil es Herr XY so gesagt hat.

 

Ich habe da ein wunderbares Buch von Richard P. Feynman – keine Angst, denn jetzt fange nicht auch ich an, mich auf Kapazitäten zu berufen – in die Hände bekommen, meine Tochter hat es mir geschenkt. Feynman war Physiker, starb mit 70 Jahren, hatte den Nobelpreis für Physik erhalten und an der Herstellung der ersten Atombombe mitgearbeitet. Als er letzteres tat, war er noch jung, noch nichteinmal promoviert. Er hat auch dafür nicht den Nobelpreis erhalten, sondern für ganz andere Entdeckungen auf dem Gebiet der Quantenfeldtheorien. Feynman ging gerne in Nachtclubs, hatte sich rührend um seine erste Frau, die an Tuberkulose erkrankt war und starb, gesorgt. Er reiste in der Welt, hatte einen Sohn, hielt, heute noch legendäre, Vorlesungen für Studenten: Er war ein Mensch.

 

Von Feynman wurde ich innerlich gedrängt, das was ich hier als „Arbeit“ begonnen habe, zu erledigen. Feynman hatte sich auf seine lockere, humorvolle, nur scheinbar leichte Art mit dem „Vergnügen, Dinge zu entdecken“ auseinander gesetzt. Er hat die Naturwissenschaften Studenten und einem intellektuellen, interessierten Leser- und Zuhörerkreis, verständlich nahe gebracht. Er hat sich mit Philosophie und Religion befasst und darüber seine ehrliche und begründete Meinung, kaum zur Freude aller, mitgeteilt. Und als man ihn bat in zwei Minuten darüber zu berichten, wofür er den Nobelpreis bekommen habe, antwortete er, dass, wenn er das könne, hätte er den Preis weder verdient noch bekommen.

 

Nicht dass ich jetzt in Konkurrenz zu Feynman treten oder sein Adept sein wollte. Ich musste meine eigene Arbeit erledigen und mich sogar häufig dazu zwingen. Ich hatte keine plötzliche Eingebung, bin nicht aus dem Stand wer weiß wie hoch gesprungen. Denn schon seit Jahren sind in mir erhebliche Zweifel an der Richtigkeit meines Handelns und Denkens entstanden. Dass dieses in der Regel konform mit Lehrmeinung, außerberuflich mit einem allgemeinen Verhaltenskodex war, gab mir anfängliche Sicherheit. Nicht dass ich deshalb mein Verhalten immer für gut gehalten hätte – ich hatte Dinge getan und gedacht, die mir amoralisch erschienen und ich tat sie trotzdem. Es gab innere Zwänge, menschliche, denen die meisten Menschen ausgeliefert sind. Ich war also keineswegs Vorbild, am wenigstens mir selbst.

 

Deshalb habe ich mich, anfänglich aus Neugier, dann gezielt, über meinen beruflichen Zwang zur Bildung und Fortbildung hinaus, mit Naturwissenschaften befasst. Ich wollte ja, vor allem im Beruf wissen, was ich tat und warum. Dies setzte wieder voraus, dass ich kennen musste, was die allgemeine Lehrmeinung war. Zu sagen, „was vor mir war, interessiert mich nicht“, ist nur idiotisch und nicht wissenschaftlich. Kein einziger der großen Wissenschaftler – dazu gehöre ich absolut nicht – kein Einstein, Planck, Feynman und andere, nur auf dem Gebiet der Physik, wären ohne Vorgänger auf ihrem, gewiss herausragenden Gebiet, auch nur denkbar gewesen. Für mich bedeutete dies, mich mit der Literatur, auch oder vornehmlich mit der populärwissenschaftlichen, bekannt zu machen. Populärwisschenschaftliche Zeitschriften, Sendungen im Fernsehen, in dritten, wissenschaftlichen Programmen, bei allgemein verständlichen Vorträgen in der Universität, gehörten zu meiner mühsamen Weiterbildung.

 

Doch warum das alles? Ich wollte weder Physiker noch Philosoph noch ein berühmter Arzt werden. Es hängt mit meiner Neugier, meinem Interesse zum Beispiel für Geschichte und meiner Erfahrung mit den Ritualen des täglichen Lebens zusammen. Auch mit meinem Beruf, in dem ich Menschen, ganz junge und sehr alte, habe sterben sehen ohne helfen zu können. Und gerade zu letzterem, zum Sterben, kam die Erkenntnis der Begrenztheit des Lebens in einer zeitlich und räumlich ganz unvorstellbar riesigen Welt. Auf der einen Seite die zeitliche Bedeutungslosigkeit des Individuums im Kosmos und auf der anderen die oft furchtbare Qual in der eben nur minimalen Lebenszeit, waren für mich ein Dilemma.

 

Wenn ich schon einiges über meine second hand Bildung in Physik gesagt habe, so muss ich noch weiteres hinzufügen. Dies sind philosophische und historische Werke. So Bertrand Russell: Philosophie des Abendlandes; Wilhelm Weischedel: Die philosophische Hintertreppe; Johannes Hirschberger: Geschichte der Philosophie; Joseph Stiglitz: Die Schatten der Globalisierung, und Die Chancen der Globalisierung; Alexander Demandt: Geschichte der Spätantike; Albert Christian Sellner: Immerwährender Papstkalender. Was ich ganz besonders betonen muss, ist: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Wenn auch noch einigen anderen Nachschlagewerken, so verdanke ich doch jenem eine derartige Fülle wissenschaftlich präzisester Informationen, wie sie sonst nur äußerst mühsam zu erlangen sind.

 

Da ich ja selbst meinen Text geschrieben habe, darf ich sagen, dass ich nicht lediglich abgekupfert habe, aber auch, dass nichts einer blühenden Fantasie, nur einer Laune, entsprungen ist. Jedoch, warum ich überhaupt nur einige Quellen meiner Weisheit anführe, und nicht, wie ich es ja wissen müsste, methodisch, exakt wissenschaftlich vorgehe, mit einem Literaturverzeichnis, Fußnoten etc. hat seinen Grund darin, dass ich ein alter Mann bin, der keine Zeit mehr hat für ein intensives Studium, für ein ständiges Neuschreiben und Verwerfen. Meine Zeit ist vorbei. Mit meinem Alter hängt auch zusammen, dass ich „herunterschreiben“ musste, um fertig zu werden. Das Fertigwerden war jedoch in erster Linie für mich notwendig. Ich wollte ja weder ein philosophisches noch ein physikalisches Werk schreiben oder es wenigstens hinterlassen. Ich dachte auch nicht an ein Buch, in welchem Genre auch immer. Wenn ich das gewollt hätte, wäre eben ein Studium, ein mühsames Zusammenstellen von Text, die Suche nach einem Verlag, die Arbeit mit einem Lektor und was noch alles erforderlich ist, gewesen. Und warum ich, ein Atheist, gerade „Christi Geburt“ als Datumszeitpunkt in meinen Zeitangaben verwende, ist einfach historisch begründet, weil eben die gesamte Geschichtsschreibung der westlichen Welt sich auf dieses Datum bezieht. Die Bezeichnungen „vor oder nach unserer Zeit“, oder „nach unserer Zeitrechnung“ usw. halte ich für nicht notwendig oder besser.

 

Ich habe von Negern geschrieben, weil ich mich daran erinnere wie in Deutschland nach dem Einmarsch der Amerikaner im 2. Weltkrieg darüber diskutiert wurde, ob man zu den dunkelhäutigen Soldaten „coloured gentleman“, „black soldier“, oder negro statt nigger sagen müsse. Auf Sir oder Mister kam damals niemand. Und Schwarzafrikaner statt Neger heute? Wird damit der Rest von Apartheid kaschiert? Für mich ist Neger so wenig ein Schimpfwort wie Chinese oder Italiener.

 

Dies erklärt vielleicht, warum vieles an meinem Text auszusetzen sein wird. Dass ich einmal „ich“ schreibe, dann „man“, dann „wir“, kommt daher, dass die Zeit für ein Überarbeiten vorbei ist. Dafür bitte ich diejenigen, die lesen, nicht lesen müssen, um Nachsicht.

 

Gerade aber, weil meine Zeit am Ende ist, ich ein Leben lang mit den Menschen gelebt und vielleicht ein wenig gelitten habe, habe ich bei meinem Schreiben auch die Freiheit die Dinge beim Namen zu nennen. Dies in den Wissenschaften, den Religionen, der Wirtschaft, und letztlich bei den Menschen selbst, in ihrer genießenden und zerfleischenden Art. Und wenn ich ein Schwein, auch ein in Purpur gekleidetes so nenne, habe ich niemanden um Verzeihung dafür zu bitten. Ich habe die Freiheit dazu.

 

So habe ich beim Urknall angefangen zu schreiben und hoffe nicht bei einem „Urknällchen“, wegen der Bedeutungslosigkeit der Erde im Kosmos, geendet zu haben. Dass ich viel Text zum Beschreiben naturwissenschaftlicher Gesetze gebraucht habe, was manchem redundant vorkommen mag, liegt daran, dass ich jedem die Möglichkeit geben möchte zu überprüfen, ob diese oder jene Ableitung oder Behauptung nicht purer Fantasie entspringt.

 

Eine letzte Bitte oder ein Hinweis: Einer Weitergabe des Textes stimme ich voll zu, auch bin ich nicht gekränkt, wenn jemand zu lesen aufhört, weil es ihn langweilt, und wenn ich ein Echo, auch eine Kritik zu hören bekommen sollte, würde ich mich freuen.

 

 

Nur Mensch, nur Kreatur.

 

Woher kommen wir? Wer sind wir? Wo sind wir und ist das von irgendeiner Bedeutung? Was heißt eigentlich wir?

 

Wahrscheinlich sind diese Fragen – ohne, dass sie anders gestellt werden könnten – als Folge einer fast unvermeidlichen, anthropozentrischen Einstellung schon in ihrem Ansatz falsch. Ohne diese Einstellung wären sie bedeutungslos. Doch man muss wohl, um darüber überhaupt nachdenken zu können, einen Ausgangs- oder Standpunkt definieren, der Antworten erst zulässt. Freilich ist auch hier wieder fragwürdig, wo es einen festen Punk gibt, der zeitlich, örtlich oder in einer anderen Dimension, als solcher angesehen werden könnte. Es muss also, wie gesagt, per definitionem festgelegt werden, wo und wann eine Betrachtung der Entstehung unserer Existenz und letztlich des Alls beginnen soll. Ohne bereits über seine Wahrheit und Richtigkeit zu befinden, zwei Begriffe, die erst Gegenstand der folgenden Erörterung sind, kann man hier, meines Erachtens, vom Urknall, besser, der ihn formulierenden Theorie, ausgehen. Doch zunächst: wie gelangt man dahin?

 

Über die Entstehung des Kosmos, des Universums, gibt es, schon aus der Zeit vor Einstein und Planck, eine Reihe von Theorien. Nicht nur Giordano Bruno, schon die antiken Philosophen haben sich Gedanken über diese unsere Welt und das Universum gemacht, dies niedergeschrieben oder ex Cathedra gelehrt. Es gibt dazu also eine sehr umfangreiche Literatur, geformt von Philosophen und Naturwissenschaftlern. Nach Einstein und Planck wie ich unsere jetzige Zeit nennen will, ist es in den letzten Jahrzehnten nahezu Mode geworden, sich einen Schauer über den Rücken laufen zu lassen, bei der Vorstellung ungeheuerer Dimensionen, sowohl was die Kleinheit von Materieteilchen als auch die Ausdehnung und die Massen im All betrifft. Begriffe wie Elementarteilchen, Strings, Urknall, Lichtgeschwindigkeit, Sonnenmassen, Schwarze Löcher, Supernova und Quasar, sind zu Bestandteilen einer so genannt intellektuellen, lässigen Konversation geworden. Damit soll nicht gesagt sein, dass diejenigen, die diese Begriffe verwenden, sie nicht verstünden. Es gibt genügend Sachkundige – das Wort Experte will ich hier ganz bewusst vermeiden, was später noch zu erklären ist – die jeweils auf ihrem Sach- oder Fachgebiet kompetent zu Wort kommen und zudem bemüht sind, die keineswegs dumme Allgemeinheit, sei es in populären Darstellungen oder eben in wissenschaftlichen Diskussionen im besten Sinne, zu unterrichten.

 

Natürlich gibt es noch Gruppen von Menschen, die von diesen Themen nicht berührt werden. Letztere sind weder dumm noch Agnostiker. Sie leben ohne Zustimmung zu den oder zur Verneinung der Thesen, die sie nicht hören können oder nicht hören wollen. Sie müssen nicht anderer oder gar gegenteiliger Meinung sein. Sie haben keine Meinung dazu und kein Bedürfnis sie zu haben. Auch ist es möglich, dass sie per Dogma, sozusagen von höherer Stelle, der sie sich zugehörig, meist untergeordnet fühlen, von einer Betrachtung dieser Urfragen ausgeschlossen werden.

 

Respekt gebührt denjenigen, die wissen wollen was um sie vorgeht, die ihre Herkunft als Wesen der Welt und ihre eigene Zukunft verstehen möchten, denen, nach eigener Einsicht, aber oft die Voraussetzungen im Hinblick auf allgemeine und spezielle Bildung fehlen. Sie werden von keinem Wissenden oder Gebildeten verlacht oder geringschätzig behandelt.

 

Freilich gibt es noch zwei Gruppen von Menschen, die, mit den Fragen wie wir sie genannt haben nicht zurecht kommen. Dies sind einmal diejenigen, die aus Unverstand und Unvermögen, das, was sie nicht verstehen als Unsinn und unnötiges Gerede bezeichnen, oder, was nach meiner Meinung schlimmer erscheint, die es besser wissen, die nicht nur ihre eigene Theorie haben, sondern die alleinig richtige. Sie sind der Schrecken jeder Wissenschaft und Auf- oder Erklärung, weil sie ohne Sachkenntnis eine unveränderbare Meinung besitzen. Man soll mit diesen Menschen, wenn man sie erkannt und einmal gehört hat, nicht weiter reden.

 

Und schließlich hat eine zweite Gruppe wohl Einsicht und Intellekt diesen Fragen gegenüber, jedoch fühlt sie einen inneren Widerspruch, weil sie religiös oder sonst weltanschaulich indoktriniert, solche Erkenntnisse entweder von sich weisen muss oder sie als parallele Welt neben der ihren empfindet. Wenn man sagt wie man diese Menschen einschätzt, hat man sich bereits auf ihre gefühlsmäßige oder intellektuelle Ebene begeben, indem man Erkenntnisse als gut oder schlecht bewertet, was ein Unding ist insofern, als man, wenn es sich um eine mit hoher Wahrscheinlichkeit bestehende Wahrheit handelt, keine gute oder schlechte kennt.

 

In der Weiterführung dieser Überlegung, über Wahrheit oder Erfindung, wobei letztere eine spätere Bestätigung als Wahrheit nicht ausschließt, kommt man, vor der Besprechung unseres Ausgangspunktes, dem Urknall, zu einigen weiteren Feststellungen, die fundamentale Bedeutung haben. Fundamental heißt, dass alle weiteren Überlegungen dieser gesamten Arbeit sinnlos wären, hätte man nicht vorher klar festgelegt, worum es geht.

 

Dies sind die Begriffe Theorie, Axiome, These und Naturgesetze.

 

Zunächst zum Begriff Theorie: Eine Theorie versucht einen Sachverhalt schlüssig zu erklären. Sie ist somit das Werkzeug aus einer Beobachtung Überlegungen anzustellen und Schlüsse auf die Entstehung derselben und ihrer Zusammenhänge mit anderen (Natur)- Erscheinungen zuzulassen. Das Wesen der Theorie ist, dass sie durch (weitere) Beobachtungen bestätigt und untermauert werden kann oder verworfen werden muss. Die Theorie macht zunächst aus Beobachtungen die Voraussagen über Zusammenhänge und den Verlauf, von ihr abhängiger Erscheinungen. Dabei ist es unwichtig, ob alle Zusammenhänge tatsächlich und sofort zu klären sind. So lange Beobachtungen eine Theorie nicht widerlegen, ist sie für sich gültig.

 

Das Wesen einer Theorie im naturwissenschaftlichen Sinn - dies gilt für den Begriff der Theorie schlechthin - ist, dass sie berechenbar ist und Ergebnisse und Ableitungen daraus reproduzierbar sind. Berechenbar und reproduzierbar bedeutet aber, dass Methoden angewendet werden, zum Beispiel mathematische Formulierungen, und, dass diese nicht aus der Theorie selbst hervorgehen. Also muss jeder, der eine Theorie auf ihre Gültigkeit hin überprüft, mit den gleichen oder mit welchen Methoden auch immer, zum selben Ergebnis kommen. Aus der Theorie können und sollen durchaus nützliche Anwendungen hervorgehen, womit gesagt ist, dass sie nicht Selbstzweck, nur zur eigenen Bestätigung sein muss. Grob gesprochen: Eine Theorie darf durch die Praxis nicht widerlegt werden, denn sonst ist sie falsch. Und ein Letztes: Eine Theorie darf nicht vom Verständnis Aller abhängig sein. Das heißt, gerade in Bezug auf die Einsteinsche Relativitätstheorie oder die Plancksche Quantenmechanik, um bei zwei Beispielen zu bleiben, ist es nicht notwendig, dass sie allgemeinverständlich für Jedermann ist. Auch wenn eine Theorie nur von ganz wenigen Sachverständigen nachvollzogen und verstanden werden kann, ist sie nicht falsch oder unbrauchbar. Selbst wenn für Sachverständige Fragen offen bleiben, Phänomene nicht zu erklären sind, ist eine Theorie so lange richtig, bis sie mit objektiven, von ihr unabhängigen Methoden, widerlegt ist. Das beste Werkzeug eine Theorie auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen ist, sie zunächst anzuzweifeln, also von ihrer Unrichtigkeit auszugehen. Richtig und unrichtig heißt somit, mit nicht systemimmanenten Methoden einen Sachverhalt bestätigt zu bekommen oder nicht.

 

Als vielleicht allgemeinverständliches Beispiel für die Anwendung einer Theorie, kann das Periodische System der Elemente (zuerst von Mendeléev 1869 aufgestellt) dienen. Allein durch die Anordnung in einem Schema, nach bestimmten, bekannten Eigenschaften eines Elements, ließen sich das Vorhandensein und Eigenschaften weiterer Elemente vorhersagen. Es bedurfte nur noch der Bestätigung durch den Nachweis derselben mit den entsprechenden Methoden. Im weiteren Verlauf werden wir noch weitere Beispiele und Anwendungen kennen lernen.

 

Axiome: Sie sind wissenschaftliche Annahmen, um einen Sachverhalt auch nachprüfbar zu erklären. Das Axiom ist sozusagen der Dreh- und Angelpunkt, mit dem weitere Phänomene erklärt werden können und lautet stets: Wenn es so ist, angenommen, dann ergibt sich daraus alles weitere schlüssig. Ein Axiom kann eine Zahl sein, ohne die eine Berechnung, die sonst ein vernünftiges, nachprüfbares Resultat ergibt, nicht möglich ist. Wenn ich also annehme, dass die Erde der Mittelpunkt des Weltalls ist und aus der Beobachtung weiß, wann der kürzeste Tag des Jahres ist, wie der Stand der Sonne an diesem Tag ist, dann kann ich vorausberechnen, wann der Frühlingspunkt oder die Sommersonnwende sein wird. Man kann also objektive Berechnungen anstellen, deren Vorhersagen durch die Beobachtung bis zu einem gewissen Grad bestätigt werden, selbst wenn heute bekannt ist, dass die Annahme, die Erde sei der Mittelpunkt des Weltalls falsch ist. Antike Bauten, die Pyramiden, Stonehenge, wurden in Anwendung des geozentrischen Axioms erstellt, was durchaus zu hervorragenden Leistungen, auf dem Gebiet der Astronomie führte, wie die berechenbaren Konstellationen von Sternen zu bestimmten Zeiten und von einem bestimmten Beobachtungspunkt aus, zeigen.

 

Zum Begriff der These ist auszuführen: Sie ist in der Regel eine wissenschaftliche Behauptung. Wissenschaftlich ist hier im weitesten Sinn gemeint, kann also philosophisch, geisteswissenschaftlich sein wie auch künstlerischer Natur. Man kann als Beispiel anführen, dass Giotto erstmals eine individuelle Malweise in seinen Gemälden, wohl, weil der Mensch immer mehr ins Bewusstsein der Künstler rückte, anwandte. Diese Meinung, als Behauptung oder These aufgestellt, kann von einem Sachverständigen auf diesem Gebiet bestätigt oder als völlig unsinnig abgelehnt werden. Eine Überprüfung des Wahrheitsgehalts dieser Behauptung oder These mit objektiven Methoden gibt es nicht. Eine These kann eine religiöse Behauptung sein – siehe Luthers Thesen von 1517 – die durch eine Antithese widerlegt wird oder widerlegt werden soll. Von Bedeutung für die „Gültigkeit“ einer These ist im Allgemeinen ihr Schöpfer bzw. dessen Renommee in der entsprechenden Szene oder Gesellschaft. These und Antithese sind die beiden Standpunkte in einem „wissenschaftlichen“ Streitgespräch, in welchem letztere oft nur der Darstellung der ersten, der These, dient.

 

Die Naturgesetze. Sie sind, im Gegensatz zu Axiomen, Gegebenheiten a priori. das heißt sie bestehen unbeeinflusst und unbeeinflussbar von ihrer Umgebung, also von Raum und Zeit, wenngleich sie, nach unserem heutigen Wissen, erst kurz nach dem Urknall entstanden sein können. Naturgesetze können nur entdeckt, in ihrem Wirken und Bestehen nachgewiesen, in ihrem Ausmaß, ihren Dimensionen definiert, umformuliert, aber in ihrer Größe, was wiederum in ihren Dimensionen und Kräften heißt, nicht verändert werden. Sie sind, soweit wir bis heute wissen, im gesamten Universum gültig, sowohl im Mikro- als auch im Makrokosmos. Ob bereits alle Naturgesetze entschlüsselt, also nachgewiesen und definiert sind, ist ungewiss.

 

Um auch hier ein Beispiel anzuführen: Wenn man auf Grund der Kenntnis von Planetenbahnen, der Masse, der Umlaufszeit eines Planeten um die Sonne, die Beobachtung macht, dass ein Planet sich nicht am berechneten Ort, zu einer bestimmten Zeit befindet, so muss es eine Größe geben, die dies bewirkt. Dies kann eine weitere, bisher unbekannte Masse sein, durch deren Anziehung (Gravitation) die schon bekannte Planetenbahn verändert wird. Ob dieses Phänomen stets, in gleicher Weise vorhanden ist, was unwahrscheinlich ist, sonst würde eine Abweichung von einer berechneten Bahn nicht auffallen oder nur, was wahrscheinlicher ist, wenn die Bahn des unbekannten Objekts der Bahn des bekannten Planeten, aufgrund der meist unterschiedlichen Umlaufbahnen nahe kommt, ist unerheblich. Die Naturgesetze werden dadurch nicht verändert. Im Gegenteil, weil sie allgemeingültig sind, lassen sich Masse und Ort eines bisher unbekannten Objekts berechnen. Und, sollte sich ein Objekt nicht an der errechnete Stelle und mit seiner berechneten Masse nachweisen lassen, so sind entweder die Nachweismethoden zu unempfindlich oder es liegen weitere Beeinflussungen von außerhalb vor.

 

Unsere Kenntnis der Naturgesetze und der daraus entstehenden Phänomene, ist wahrscheinlich lückenhaft. Wäre es nicht so, hätten wir das Ende des physikalischen Wissens erreicht. Vor Einstein und Planck hatten dies einige Physiker angenommen. Max Planck wurde sogar vom Studium der Physik abgeraten, weil auf diesem Gebiet schon alles entdeckt sei. Im besten Fall könnte man dies in Bezug auf die klassische, die Newtonsche Physik sagen. Aber erst in der Einstein-Planck Ära, die auch schon Vorgänger hatte, kam es zu den physikalischen Entdeckungen und Erkenntnissen, die das heutige Verständnis des Kosmos und letztlich unseres Daseins ermöglichen. Erst die Naturgesetze, aus denen sich durchaus praktische Anwendungen ergeben, haben nicht nur unser Weltbild, sondern auch die Welt selbst in ihrer heutigen Form ermöglicht.

 

Es muss aber, an dieser Stelle, festgestellt werden, dass alles, was nicht (oder noch nicht) durch die Naturgesetze zu erklären ist, durch kein anderes „Gesetz“, oder andere Betrachtungsweisen aufgeklärt werden könnte. Auch hier gilt: Nichtwissen oder die menschliche Unvorstellbarkeit von Dimensionen, bedeutet nicht, dass abwegige Erklärungsversuche, die Einführung selbst definierter oder ernannter Scheingrößen, Lücken im Wissen um die Naturgesetze füllen oder gar ihre Veränderung bzw. Aufhebung ihrer Gültigkeit bewirken können. Wenn es, gerade durch Forschung auf dem Gebiet der Physik, immer wieder neue Aspekte, etwa zur Zusammensetzung von Materie, zu Elementarteilchen usw. gibt, so werden dadurch die Naturgesetze weder aufgehoben, noch verändert.

 

Die Naturgesetze lassen uns die Wirkung oder die Einwirkung von Körpern und Kräften aufeinander verstehen. Sie erklären Wechselwirkungen. Als solche bezeichnet man die Art und Weise, wie physikalische Objekte, speziell Teilchen, einander beeinflussen. In der Elementarteilchenphysik wird der Begriff auch synonym zu Kraft verwendet. Alle in der Natur vorkommenden Kräfte lassen sich auf vier fundamentale Wechselwirkungen oder Kräfte zwischen den Grundbausteinen der Materie, zurückführen und zwar: auf die starke Wechselwirkung, die elektromagnetische Wechselwirkung, die schwache Wechselwirkung und die Gravitation. Dabei werden die ersten drei Wechselwirkungen im Standardmodell der Elementarteilchenphysik beschrieben. Unter „beschrieben“ versteht man die exakte mathematische und nachprüfbare Formulierung. Für die Quantenfeldtheorie der Gravitation existiert eine solche Beschreibung jedoch noch nicht. Man nimmt aber an, dass alle vier Grundkräfte bei den extrem hohen Energien, wie sie unmittelbar nach dem Urknall vorherrschten, gleich stark waren, bzw. dass zunächst nur eine universelle Kraft existierte.

 

Die Naturgesetze sollen, um ihr Wesen und Wirken zu verstehen, kurz beschrieben werden.

 

Diese sind:

 

1. Die starke Wechselwirkung, oder starke Kernkraft genannt. Sie ist Ursache für den Zusammenhalt der Elementarteilchen wie Nukleonen (Protonen und Neutronen, die Bausteine der Atomkerne) im Atomkern und wird aus diesem Grund als Kernkraft bezeichnet. Beträchtlich stärker als die elektromagnetische Wechselwirkung, kann sie Atomkerne, entgegen der gegenseitigen elektrischen Abstoßung der positiv geladenen Protonen, stabilisieren. Der starken Wechselwirkung unterliegen alle Hadronen, also Baryonen  und Mesonen. Sie hat die Eigenschaft, dass sie mit zunehmender Entfernung stärker wird.

 

2. Die elektromagnetische Wechselwirkung wirkt auf oder an allen elektrisch geladenen Teilchen. Diese Wechselwirkung (auch die elektromagnetische Kraft oder Elektromagnetismus genannt) findet über ein Austauschteilchen statt: das Photon g. Dieses Photon, was man auch als "Lichtteilchen" bezeichnet, ist selber elektrisch neutral und besitzt keine Masse. Es kann daher mit Lichtgeschwindigkeit, also der höchst möglichen, fliegen und relativ lange Strecken zurücklegen. Dies ist der Grund, warum wir im Alltag diese elektromagnetischen Wechselwirkungen wahrnehmen können. In der Teilchenphysik werden die elektromagnetischen Phänomene also über den Austausch von Photonen und nicht nur einfach über eine elektromagnetische Kraft erklärt.

 

3. Die schwache Wechselwirkung (auch schwache Kernkraft genannt) wirkt wie die starke Kernkraft, nur bei sehr kleinen Abständen also nur zwischen mikroskopischen Teilchen, im Gegensatz zu den Wechselwirkungen der Gravitation und des Elektromagnetismus. Sie kann wie andere Kräfte für Energie- und Impuls-Austausch sorgen, wirkt aber vor allem beim Zerfall oder der Umwandlungen der beteiligten Teilchen, etwa dem langsamen Zerfall bestimmter radioaktiver Atomkerne. Die schwache Wechselwirkung spielt bei der Fusion von Wasserstoff zu Helium in der Sonne eine Rolle, da durch sie die Umwandlung von Protonen in Neutronen möglich ist. So entstehen aus vier Protonen (den Wasserstoffkernen) letztlich der stabile Heliumkern mit zwei Protonen und zwei Neutronen. Aus diesem Prozess bezieht die Sonne ihre Energie. Dieser Prozess läuft jedoch so langsam ab, dass die Sonne schon seit einigen Milliarden Jahren und sicher noch einigen, stabil leuchtet.

 

4. Die Gravitation auch Schwerkraft genannt, ist die schwächste der Elementarkräfte, jedoch wird sie am meisten wahrgenommen. Sie macht z. B., dass wir auf der Erde stehen können. Nach heutigen Erkenntnissen wirkt sie ausschließlich anziehend, da es nur eine Gravitationsladung (die Masse) gibt. Also Massen, nicht nur zwei, ziehen einander an. Die Gravitation bestimmt die Bahn der Erde und der anderen Planeten um die Sonne und spielt somit eine bedeutende Rolle in der Astronomie und Kosmologie. Die anderen Elementarkräfte hingegen sind nur für mikroskopische Prozesse von Bedeutung, jedoch physikalisch ebenso bestimmend. Es gibt also keine wichtige oder unwichtige Elementarkraft.

 

Diese sehr knappe Beschreibung der Naturgesetze heißt nun nicht, dass dies alles ganz simpel und einleuchtend wäre. Sieht man die mathematischen Formulierungen einzelner Prozesse, etwa das Verhalten von Elementarteilchen bei Einwirken hoher magnetischer Kräfte, so erkennt man, dass der ungeheuere geistige Aufwand, in der Formulierung, Ableitung aus Naturgesetzen, die Umsetzung in Anwendungen im Alltag, in der Raumfahrt, in der Energiegewinnung, was nicht nur Atomphysik bedeutet, nur durch einen riesigen Stab von Physikern, Mathematikern und anderen Naturwissenschaftler zu bewältigen war und ist.

 

Auch wenn Einstein und Planck Herausragendes durch die Zusammenfassung ihrer Theorien geleistet haben, ist dadurch wiederum kein Endpunkt erreicht. Die mit und neben ihnen arbeitenden Wissenschaftler sind, auch wenn ihre Arbeiten oft oder letztlich auf Einstein und Planck fußen, nicht weniger bedeutend (im wissenschaftlichen Sinn) auch wenn nicht jeder, jedoch einzelne, mit dem Nobelpreis geehrt wurden.

 

Zum Verständnis der Leistung und Bedeutung Einsteins und Plancks: Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins beschreibt vor allem den Aufbau des Universums im Großen und ist bei großen Massen und Beschleunigungen praktikabel. Die Quantentheorie von Planck hingegen beschreibt die Wechselwirkung zwischen kleinsten Teilchen und in begrenztem Raumgebiet.

 

Es wird im Weiteren noch näher darauf eingegangen, aber jetzt schon sei darauf hingewiesen, in welch ungeheueren, kaum vorstellbaren Dimensionen von Raum, Zeit und Temperatur, die folgenden Erörterungen stattfinden müssen. Dies ist mathematisch noch am ehesten in Potenzen auszudrücken. Wenn man für eine Zeit in Sekundenbruchteilen etwa 1 mal 10-35 eine Zahl mit 35 Nullen nach dem Komma, die in Lichtjahren angegebene Entfernung einer Galaxie mit umgerechnet etwa 1 mal 1025 Kilometern mit 1 und folgenden 25 Nullen vor dem Komma, eine Temperatur mit nur 1 mal 1015 Kelvin angibt, kann man aber das schier Unvorstellbare in etwa ermessen.

 

Der Urknall, Big Bang.

 

Es hat, zumindest im abendländischen Kulturkreis, seit den antiken Philosophen, rein naturwissenschaftliche Überlegungen zur Entstehung des Universums gegeben. Geozentrische überwogen die heliozentrischen. Die Kugelgestalt der Erde wurde erstmals von Archytas aus Tarent im 4. Jahrhundert v. Chr. erwähnt. Giordano Bruno nahm ein unendliches Universum an und wurde für den Frevel diese Ansicht zu lehren, noch 1600 in Rom, am campo dei fiori, verbrannt. Seit Kopernikus und Kepler waren jedoch geozentrische Vorstellungen des Universums nicht mehr haltbar. Von der Astronomie her, durch die Feststellung einer stetigen Ausdehnung des Universums, allein durch den Dopplereffekt, gemessen mit hoch leistungsfähigen Teleskopen, Weltraum- und Radioteleskopen (Hubble und andere) und der Möglichkeit einer Rückrechnung der Größe des Universums daraus, bis zu einem nicht mehr genau definierbaren Punkt, sowohl was die zeitliche als auch die räumliche Dimension betrifft, kam man zu der Annahme irgend einen Anfang postulieren zu müssen. Es gleicht fast einem Witz, dass der bis heute renommierte Astronom Hoyle, mehr in ironischer Weise, die Vorstellung der die Theorie vertretenden anderen Astronomen von der Entstehung des Universums aus einem Punkt, mit der Freisetzung unvorstellbarer Energien, einen Big Bang nannte. So gab er, ungewollt, der heute gültigen Theorie von der Entstehung des Kosmos den Namen Big Bang, Urknall.

 

Wie schon bei der Begriffsbestimmung der Theorie festgestellt, ist diese so lange gültig, bis sie widerlegt oder, sie verbessernd, durch eine andere ersetzt wurde. Dies ist für die folgenden Ausführungen von Bedeutung insofern als man, in Anwendung einer Theorie im naturwissenschaftlichen Sinn, an einen Punkt gelangen kann oder muss, an dem eine weitere retrograde Verfolgung des Ablaufs –hier besonders bezogen auf den Urknall – nicht mehr möglich ist. Dies bedeutet keineswegs, dass damit die Theorie, auch nur in Teilen, unrichtig oder spekulativ sein muss. Man gelangt hier zum Begriff der Singularität, der besagt, dass es vor diesem Ereignis nichts gibt, was es erklärt oder gar dazu geführt hat. Die Singularität unterscheidet sich also vom Axiom dadurch, dass letzteres durchaus komplexer Natur sein kann, auch ableitbar aus anderen Größen, jedoch eine Theorie ad absurdum führt oder unbrauchbar macht, wenn es nicht so ist wie angenommen. Dass es nicht nur eine einzige Singularität gibt, darauf wird später noch eingegangen.

 

Ein Weiteres ist an dieser Stelle noch zu erörtern: Dimensionen und ihre Vorstellbarkeit in unserem menschlichen Bewusstsein. Harald Lesch, ein Plasmaphysiker und Astronom, bekannt aus populärwissenschaftlichen Sendungen im Fernsehen, hat dazu beispielhaft gesagt, dass, wer behauptet etwa die Einsteinsche Relativitätstheorie oder die Plancksche Quantentheorie voll verstanden zu haben, der hat sie nicht verstanden. Wenn im Folgenden, bei der Erörterung der Ereignisse nach dem, nicht um den Urknall, nicht etwa jedes Elementarteilchen in seinen Eigenschaften und seiner Bedeutung erörtert wird, so soll das nicht heißen, dass dies unwichtig und unverstehbar ist. Auch sind Dimensionen in der Physik, wie schon oben ausgeführt, sowohl was ihre Kleinheit als auch ihre Größe betrifft und nur in sehr hohen negativen oder positiven Potenzen einer Zahl ausgedrückt werden kann, zudem keineswegs unwichtig oder gar unrichtig, jedoch oft schwer interpretier- und vorstellbar. Denn es ist schon schwierig sich eine Raumzeit vorzustellen und mehr noch mehrdimensionale Ereignisse oder Zustände, die sich aus durchaus nachvollziehbaren mathematischen Modellen ergeben, zu verstehen.

 

Dies bedeutet, dass schwierige und schwer vorstellbare Themen nicht einfach ausgelassen sondern, in Verfolgung eines Ziels, die Ereignisse und Gesetzmäßigkeiten dargelegt werden, die dazu notwendig erscheinen. Auch soll hier keine populärwissenschaftliche Physik oder Philosophie betrieben werden. Es gibt dazu ganz hervorragende, verständliche Bücher und Fernsehsendungen. Natürlich soll und muss ab und zu auf Zahlen oder eine Formel aus der Physik zurückgegriffen werden, jedoch nicht, um neue Kenntnisse an den Mann oder die Frau zu bringen. Was die Ausführungen nicht sein sollen, ist eine neue Deutungs- oder Sichtweise von Ereignissen vom Urknall bis in die heutige, aktuelle Politik. Das heißt, dass es ein sowohl als auch allenfalls für Teilchen, etwa Photonen als Materie oder als Welle geben kann und sonst nicht.

 

Um ein Beispiel aus meinem früheren Beruf anzuführen: Auf einer Fortbildungsveranstaltung für Klinik- und niedergelassene Ärzte hatte ich über Asthma zu referieren. Ich sprach über die relativ neuen Erkenntnisse bei dieser Erkrankung und die sich daraus ergebenden Folgerungen für die Therapie. Ich führte aus – was ich nicht nur hier sagte und für meine sicher kompetenten Kollegen selbstverständlich war – dass etwa Psychotherapie und schamanenhafte Maßnahmen obsolet und für die Kranken unzumutbar seien. Ein etwas älterer, nicht alter Arzt erklärte in der folgenden Diskussion, dass er es für unverschämt halte gesagt zu bekommen, dass das, was er seit Jahren mache, Asthma mit Psychotherapie anstelle der eben von mir genannten Vorgehensweise zu behandeln, für die Kranken schädlich sei. Er werde weiter seine Behandlungsmethode anwenden. Ich musste ihm antworten, dass ich das, was ich gesagt habe nur wiederholen könne, auch was die Schädigung des Kranken durch obsolete Maßnahmen betrifft. Ich wäre kein seriöser Arzt und Wissenschaftler, wenn ich sagen würde: „Ja freilich, Herr Kollege, so kann man es auch machen“. Dass der letzte Satz bei ärztlichen Diskussionen öfters fällt, entspringt tiefer Dummheit, Unsicherheit und fehlendem Rückgrat und trägt allenfalls der Furcht, sich nur nicht unbeliebt zu machen, Rechnung.

 

Wenn ich dieses Beispiel aus meinem Beruf anführe, so heißt das nicht, dass es prinzipiell keine Alternative, keinen alternativen Weg gibt. Es gibt durchaus in der Chemie, in der Biochemie, alternative Reaktionswege, die entweder nur von einem Teil der Reagenten beschritten werden oder dann ablaufen, wenn der „normale“ Weg nicht möglich ist. In der Medizin sind zwei Methoden, eine schulmedizinische und eine alternative, dann gleich wirksam, wenn ihnen ein gemeinsames Prinzip zugrunde liegt oder sie sind beide, was gewöhnlich der Fall ist, gleich unwirksam. Entscheidend ist das Ergebnis, das erreicht werden muss. Im Beispiel der Asthmaerkrankung der reproduzierbare und anhaltende Erfolg für den Kranken, unabhängig davon, ob er „daran glaubt“ oder nicht. Auf diese Problematik werde ich später noch genügend eingehen.

 

Nun zum Urknall, zum Big Bang. Da gab es einen Zustand, eine Singularität, sehr schwer vorstellbar, vor etwas mehr als vierzehn Milliarden Jahren.  Hier ist die Krümmung der Raumzeit unendlich, die Naturgesetze gelten nicht (besser: es hat sie noch nicht gegeben) und Dichte sowie Temperatur sind von extremen, für uns wieder nicht vorstellbaren Werten. Die Unendlichkeit der Raumzeit ist insofern nicht vorstellbar oder zu definieren, als es ja weder einen Raum noch eine Zeit gibt.

 

Aber woher wissen wir das? Nun, Kosmologen, die sich mit der Entstehung des Kosmos, des Weltalls, intensiv beschäftigen, haben nachgerechnet, besser: zurückgerechnet. Sie konnten dies, weil, wenn man von heute existenter Materie, von der Ausdehnung und den Dimensionen des Weltalls, von chemischen und physikalischen Reaktionen, letztlich von den Naturgesetzen ausgeht, immer zur Frage kommt: Wie ist dies entstanden oder abgelaufen und was war vorher? Das „dies“ ist der jeweilige Zustand des Weltalls zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Kosmologen oder „man“ gelangte zu diesem Zeitpunkt, denn es gab dann bereits eine Zeit, von 10-35 Sekunden, zu dem sich schon Aussagen über physikalische Zustände machen lassen. Freilich sind diese ungewiss, ja unscharf (was durchaus etwas mit der Heisenbergschen Unschärferelation zu tun hat), und beruhen im Wesentlichen auf der Theorie der Quantenmechanik, die sub- oder voratomare Zustände beschreibt.

 

Es lässt sich zu diesem Zeitpunkt, 10-35 Sekunden, annehmen, dass eine Temperatur von 1028 Kelvin (1 Kelvin, der absolute Nullpunkt der Temperatur, entspricht minus 273 Grad Celsius) und eine Ausdehnung des eben entstandenen Universums von Tausenden von Milliarden Kilometern bestand. Für uns ist dies unvorstellbar und, in Bezug auf die Ausdehnung des Universums sogar widersprüchlich, denn nach den Naturgesetzen, die ab etwa der zweiten Sekunde nach dem Urknall Gültigkeit erlangten, hätte sie, die Ausdehnung, mit weit mehr als Lichtgeschwindigkeit erfolgen müssen, was eben nach den Naturgesetzen und der sicher geltenden Relativitätstheorie, die die Lichtgeschwindigkeit mit 300 000 Kilometern in der Sekunde als absolut und nicht überbietbar beschreibt, nicht möglich ist. Aber, zum Zeitpunkt 10-35 Sekunden hatten die Naturgesetze offensichtlich noch keine Gültigkeit, bzw. sie waren erst im Entstehen.

 

Nun, wie sah das immens heiße, wahrscheinlich schon riesige Universum, das sich so ausgedehnt hatte, eigentlich aus? Woraus bestand es? Es bestand, schon aufgrund der ungeheueren Temperatur, aus Plasma, also einem Gemisch aus sich ständig umwandelnden Teilchen und Antiteilchen, den Elementarteilchen Quarks und Gluonen sowie X-Bosonen, die wiederum in Quarks zerfielen.

 

Ich muss hier, die Darstellung unterbrechend, einflechten, dass es sich bei den Elementarteilchen, Quarks, nicht um Elemente handelt, im Gegenteil, da diese aus ersteren aufgebaut sind. Über weitere Elementarteilchen wie Leptonen mit ihren Untergruppen und Baryonen, Mesonen und Hadronen, sowie die Austauschteilchen Bosonen; deren Spin, String, Farbladung, up and down usw. kann man sich besser in Physiklehrbüchern informieren. Merken kann man sich, dass, nach unseren heutigen Erkenntnissen, Quarks und Leptonen nicht weiter in noch kleinere Teile zerlegbar sind.

 

Das Wesen und Wirken der Elementarteilchen soll hier nicht im einzelnen beschrieben werden, da es zur Gesamtdarstellung nicht notwendig ist. Zum allgemeinen Verständnis nur so viel: Die Elementarteilchen, Quarks, formieren sich, unter Einwirkung der starken Kernkraft (eine der vier Grundkräfte der Physik) zu Nukleonen, also Bestandteilen von (Atom)kernen, den Protonen und Neutronen.

 

Zurück zum Zeitpunkt 10-35 Sekunden: In dem beschriebenen Plasma, gibt es noch zu jedem (Elementar)Teilchen ein Antiteilchen, das mit Anti- und dem Teilchennamen bezeichnet wird. Und nun erfolgt, was ein Geheimnis genannt wird, was ich, abgeleitet von Zellvorgängen in der Biologie als Zufall bezeichnen möchte, dass ein Überschuss von Teilchen zu Antiteilchen von eins zu etwa zehn Milliarden, also eine Asymmetrie in der Anzahl entstand. Dies ist bedeutend insofern, als sich Teilchen und Antiteilchen gegenseitig, unter Entstehung von Strahlung, vernichten. Dieses gegenseitige Vernichten setzt sich sogar noch bei den aus den Elementarteilchen bestehenden Protonen und Antiprotonen, also (späteren) Atomkernbestandteilen, fort, im wesentlichen unter Entstehung von Photonen. Dass sich diese Prozesse im Laufe der Ausdehnung des Universums, verbunden mit einer Abnahme der Temperatur änderten, wieder eine Asymmetrie zwischen Protonen und Neutronen bestand, sich bei den abermaligen Zerfallsprozessen auch Elektronen bilden konnten, machte erst die Entstehung von Atomkernen und von Atomen möglich. Obwohl nur relativ wenige Teilchen, d. h. Atomkerne übrig blieben, entstand aus ihnen schließlich die gesamte Masse des Kosmos, also Sterne und Staub, zunächst aber die Elemente Wasserstoff (75%), Helium (24%), Isotope von Helium, Deuterium und Lithium, zusammen etwa 1%.

 

Ich habe, bei der Schilderung der Vorgänge im letzten Absatz, eine ganz ungeheuere Vereinfachung und Raffung vorgenommen. Die Vereinfachung betrifft den Umstand, dass es sich, nach den abgelaufenen ersten 2,5 Sekunden nach dem Urknall und sicher noch länger, letztlich um Plasma, das im wie auch immer gearteten Raum war, handelte. Dies schon aufgrund der immer noch herrschenden hohen Temperatur von mindestens einigen Millionen Kelvin. Somit lagen anfangs immer noch keine Atome, nur Kerne derselben vor. Aus sich ständig verbindenden Elementarteilchen, die gleich wieder zerfielen, entstanden sehr energiereiche Photonen, die wiederum die von den Atomkernen (soweit diese nicht selbst wieder zerfielen) eingefangenen Elektronen „absprengten“, d. h. die Bildung eines vollständigen Atoms, aus Kern und Elektronen, verhinderten.

 

Dass dennoch die Elemente, ein Atomkern mit unterschiedlich viel Protonen und Neutronen sowie Elektronen, wie beschrieben, im wesentlichen Wasserstoff und Helium entstanden, war eben erst in einer Zeitspanne zwischen 2,5 Sekunden und 400 000 Jahren möglich. Dieses Zeitraums bedurfte es bis durch die Ausdehnung des Raums die Temperatur soweit abgesunken war, dass Photonen nicht mehr die Energie hatten, Elektronen von den (Atom)-Kernen zu trennen. Diese 400 000 Jahre wollte ich als Zeitraffung bezeichnen.

 

Was an dieser Stelle erstmals, sicher nicht zum letzten Male betont werden soll: Diese Abläufe sind nicht nur durch mathematische Modelle (Relativitätstheorie und Quantenmechanik) sondern auch durch Experimente (Teilchenbeschleuniger), die diese bestätigen, abgesichert. Wenn Zufall und Wahrscheinlichkeit eine Rolle spielen, so sind auch diese mathematische und physikalische Größen und keine Erfindung oder Ausrede für Nichtwissen. Dies heißt einmal, trivial gesprochen: Der Zufall bestimmt welche Teilchen aufeinander treffen. Es bleibt dann einem Teilchen, einem Atom, unter bestimmten Bedingungen, wie Temperatur, Schwerkraft und den anderen Grundkräften der Natur, gar nichts anderes übrig als sich, wie hier nur sehr grob beschrieben, zu verhalten.

 

Wenn man die 14 Milliarden Jahre vom Urknall bis heute, wie man ja annehmen muss, betrachtet, so sind die bisher geschilderten 400 000 Jahre, auch wenn sie uns als nie erlebbar erscheinen, doch nur eine minimale Zeitspanne im Universum. Um wie viel winziger ist jedoch – was viel später dargelegt wird –die Dauer der Kulturen der Menschheit, die man mit etwa 10 000 Jahren ansetzt. Dass letzteres zwar verallgemeinert so gesehen wird, dennoch falsch ist, ist ein anderer Diskussionspunkt.

 

 

Das Entstehen der Sterne

 

 

Wir wollen nun einen weiteren zeitlichen und gedanklichen Sprung machen und etwas rascher, von Weltall zu unserer Welt kommen. Was geschah denn nach den bisherigen 400 000 Jahren? Vielleicht geschah eine Milliarde von Jahren gar nichts. Das Weltall war angefüllt mit den Elementen Wasserstoff und Helium. Aber die ganze Zeit hatten die Grundkräfte der Natur auf sie eingewirkt, besonders die Schwerkraft.

 

An dieser Stelle müsste ich jetzt weitere Begriffe und Ereignisse ins Spiel bringen und erläutern. Diese wären leuchtende und dunkle Materie, die Entkopplung der Strahlung von der Materie, die kosmische Hintergrundstrahlung und noch mehrere nicht einfach zu beschreibende Ereignisse. Nicht dass sie unwichtig wären, weder für die Physik an sich, noch für die Entstehung und den Bestand unserer Welt. Aber ich muss hier, um nicht ins Uferlose abzudriften, wirklich gerafft, den angekündigten weiteren zeitlichen Sprung machen.

 

Nach einer Milliarde von Jahren etwa, hatten sich aus anfänglich geringen Verdichtungen im All, unter den Einfluss der Schwerkraft, Gaswolken aus Wasserstoff und Helium gebildet. Das heißt, es gab weniger dichte und dichtere (die Wolken) Teilchenansammlungen. Die Masse dieser Wolken insgesamt war jedoch so groß, dass innerhalb dieser, bei noch weiterer Verdichtung, Milliarden von Sternen, von Sonnen, entstehen konnten. Das Entstehen des einzelnen Sterns läuft dabei so ab, dass, und man mag dies jetzt Zufall nennen, sich ein umschriebenes Gebiet in der Gaswolke verdichtet, Teilchen aufgrund ihrer gegenseitigen Anziehung mehr „zusammen rücken“. Es bildet somit einen „Kondensationskern“, dadurch, dass seine Masse schwerer ist als die des sie umgebenden Gases. Immer mehr Gasteilchen, also Wasserstoff und Helium, werden angezogen. Schließlich wird, durch die Schwerkraft bedingt, das Innere der ursprünglichen Gaswolke so schwer und anziehend, dass die Verdichtung zu ungeheuerem Druck und sehr  hohen Temperaturen in einer somit riesigen Masse, führt. Ein Stern ist sozusagen geboren.

 

Vielleicht erscheint manchem diese Sternengeburt aus einer Gaswolke oder gar die Entstehung von Milliarden Sternen innerhalb von Gaswolken, wie sie heute noch in der Milchstraße und in anderen Galaxien und Nebeln entstehen, kaum vorstellbar, künstlich konstruiert und nicht glaubhaft. Letzteres, glaubhaft, braucht es nicht zu sein, denn es ist auch ohne einen Glauben daran so. Man muss sich eher vergegenwärtigen, dass alles was eben beschrieben wurde, in menschlich schier unvorstellbaren Zeiträumen von Millionen und Milliarden Jahren ablief. Dass außerdem die Größe etwa von Gaswolken und von Galaxien unsere Vorstellungskraft sprengen muss, kommt hinzu. Wenn wir von Milliarden von Sternen sprechen, dann sind diese innerhalb der Gaswolke, in der sie entstanden, noch viele Millionen von Kilometern voneinander entfernt. Nicht von ungefähr messen wir ja in der Astronomie in Astronomischen Einheiten (1 Astronomische Einheit (AE) ist der Abstand Sonne – Erde und beträgt rund 150 Millionen Kilometer), in noch größeren Einheiten (Parsec usw.) und schließlich in Lichtjahren. Wenn ein Lichtteilchen in einer Sekunde einen Weg von 300 000 Kilometern zurücklegen kann, dabei aber schon das Licht von der Sonne zu uns 8 Minuten unterwegs ist, können wir uns vorstellen wie weit Sterne auseinander sein müssen, die Lichtjahre und oft Millionen davon, voneinander entfernt sind.

 

Ich muss an dieser Stelle wieder eine erklärende Zäsur machen: Diese Abhandlung, in der wir jetzt lesen, ist, wie schon betont, weder als populärwissenschaftlich physikalische noch astronomische gedacht. Aus diesem Grund werden Meßmethoden und experimentelle Nachweise von Zusammenhängen oder Größen nicht oder allenfalls nur dann angeführt wenn sie zum Verständnis eines Sachverhalts unmittelbar notwendig sind.

 

Es sind also, wie geschildert, innerhalb einer Gaswolke Sterne entstanden. Durch Druck und Temperatur im Innern dieser Sterne oder Sonnen bedingt, laufen nun Prozesse wie Wasserstoff- und Heliumbrennen ab (man sollte dies bei Interesse in Physikbüchern nachlesen), woraus jetzt andere, schwere Elemente wie Kohlenstoff, Sauerstoff, Edelgase und Metalle entstehen. Abhängig von der Masse eines Sterns können nun immer mehr und schwerere Elemente „erbrütet“ werden. Bei sehr massereichen Sternen, mit meist mehr als zwanzig Sonnenmassen, kommt es, infolge der Schwerkraft zu einem weiteren Phänomen. Weil eben die Schwerkraft nicht aufhört oder endlich ist und noch in der Masse des Sterns, einer Sonne wirkt, kann dieser in sich zusammenstürzen. In diesem Sterns wird die Masse dann ungeheuer dicht. Es entstehen wieder ungeheuere Drücke von Milliarden Atmosphären und Temperaturen von Millionen von Kelvin, was bei den Dimensionen, der Masse, um die es geht, gar nicht verwundert. Aber gerade die hohe Temperatur führt letzen Endes zur Explosion des Sterns (Supernova) wodurch, mit riesigem Energieaufwand (Leuchten) ungeheuere Massen an schweren Elementen – die nur in dem Stern unter den Bedingungen von Druck und Temperatur entstehen konnten - in den Raum geschleudert werden.

 

Im Raum des Universums sind somit neue Gaswolken entstanden, die also bereits schwere Elemente enthalten. Aus ihnen können, bei erneuter Konzentration wieder Sterne (Sonnen) entstehen, und sogar schon bestehende Sterne (und Planeten, wie unsere Erde) mit schweren Elementen regelrecht bombardiert werden.

 

Man könnte fast sagen, dass sich alles kreislaufartig wiederholt, das heißt die Entstehung von Sternen aus Gaswolken und ihr Vergehen, sei es als Supernova oder auf andere Art –was hier nicht zu beschreiben ist. Es ergibt sich aber daraus, dass etwa unsere Sonne und unsere Erde, die ja beide schwere Elemente enthalten, nicht aus den ersten, primordialen Nebeln entstanden sein können. Also können sie, Sonne und Erde, nicht seit dem Urknall bestehen.

 

Im Prinzip lief aber die Entstehung der Sonne - und der Erde - in der gleichen Weise wie die der anderen Sterne oder Sonnen ab. Und dies wird wohl im Universum so weitergehen.

 

Bezogen auf unser Sonnensystem kann man davon ausgehen, dass zunächst ein riesiger Nebel, der Sonnennebel, bestand, der bereits mit schweren Elementen angereichert war. Vor etwas mehr als 4,5 Milliarden Jahren stürzte dieser durch seine Gravitation in sich zusammen. Bei diesem Zusammenstürzen erhöhte sich die Rotationsgeschwindigkeit des Nebelkerns, da ja nicht alle Teilchen aus der Wolke gleichzeitig und aus allen Richtungen ankamen. Das System erhielt einen Drehimpuls. Die Masse im Zentrum erreichte dabei eine so hohe Dichte, dass wieder Wasserstoffatome zu Heliumatomen „verschmelzen“, fusionieren konnten. Dies ist der Prozess, der unsere Sonne entstehen ließ und ihr (und damit der Erde) die Energie liefert.

 

Es war jedoch nicht so, dass aus dem ursprünglichen Nebel alle Materie in „einen Kern stürzten“. Innerhalb des Nebels und durch den Drehimpuls, kam es zu weiteren Verdichtungen der Materie, man könnte sagen des „Materials“, aus dem schließlich, in unterschiedlichem Abstand zum Zentrum, der Sonne, die Planeten entstanden.

 

Die Prozesse die zur Sonnen- und Erdentstehung führten, sind bis heute noch im Gange. Sicher nicht in der spektakulären Form, aber zum Beispiel auf der Sonne als Wasserstoffbrennen, auf der Erde als Meteoriteneinschläge aus dem Sonnensystem. Um uns aber zunächst einmal von der Sonne zu verabschieden, können wir sagen, dass ihr Energievorrat durch das Wasserstoffbrennen, die Fusion zu Helium und schwereren Elementen, noch einmal so lange anhält, wie der Prozess schon dauert, also sicher mehr als 4 Milliarden Jahre.

 

 

Unsere Erde

 

Von nun an ist die Erde der Gegenstand der Erörterungen. Ein riesiger Gegenstand für jeden seiner Bewohner, ein winziger im Vergleich zum Sonnensystem oder gar zum All. Keineswegs war die Erde zu Beginn ihrer Existenz im heutigen Zustand. Auch sie bildete sich, wie alle Planeten, durch die Anziehung von Materie um einen Kern, der zunächst aus kleinsten Verdichtungen von Nebelteilen bestand. Auch hier bewirkte die Schwerkraft das Anziehen weiterer Teilchen aus der Wolke bzw. aus dem Raum um die Sonne, so dass die Erde „wuchs“. Sie war auch sehr heiß, praktisch in einem flüssigen Zustand. Die Schwerkraft in diesem neuen Planeten führte zum „Absinken“ schwerer Teilchen (Atome) zum Inneren dieses nun entstehenden Planeten hin. So bilden nun Verbindungen aus schweren Elementen den Eisen-Nickel-Kern, darum herum sind Silizium-Aluminium-Verbindungen vorherrschend. Es gab wohl eine Atmosphäre aus Wasserstoff und Helium, die aber aufgrund der hohen Temperatur nicht beständig war. Da noch viel Material in unterschiedlich großen Verdichtungskörpern im Sonnensystem vorhanden war, gab es ständig Einschläge mehr oder weniger großer Massen auf allen Planeten, natürlich auch auf der Erde. Beim Einschlag einer größeren Masse, bei dem die Erde wahrscheinlich von der Seite, also tangential getroffen wurde, ist wieder eine größere Masse aus der Erde herausgeschlagen und in den Raum katapultiert worden. Da aber die Erde bereits eine große Masse besaß, wirkte deren Schwerkraft der Zentrifugalkraft des herausgeschlagenen Erdstücks entgegen. Und als sich diese beiden Kräfte die Waage hielten blieb das Erdfragment von der Größe des heutigen Europa, in einer Entfernung von etwa 300 000 Kilometern von der ursprünglichen Erde als deren Mond in einer Umlaufbahn. Der Beweis, dass der Mond aus der Erde entstand, wurde durch den Nachweis von erdidentischem Material, das die Mondsonden auf die Erde brachten, geliefert.

 

Es soll hier nicht weiter über Drehimpuls des Mondes, die Phasen usw. gesprochen werden, weil dadurch kein anderes Bild, als es unsere Feststellung besagt, entsteht.

 

Die Erde hatte nun eine Zeit seit ihrer „Entstehung“ vor etwa 4,5 bis auf 2,5 Milliarden von Jahren zurückgelegt, die man Archaikum nennt. Dann erst war die Temperatur ihrer Oberfläche auf unter 1300 Kelvin abgesunken. Durch die Rotation des Erdkörpers um die eigene Achse konnte eine weitere Differenzierung in Schalen erfolgen. Eine erstarrte Kruste konnte sich über dem Erdmantel bilden, der aber, was für die weitere „Entwicklung“ des Planeten wichtig ist, heiß und flüssig blieb. Eine große Hitze blieb weiterhin im Erdkern, der aber, wegen der ungeheueren  Drücke der Massen, die der Schwerkraft unterliegend nach innen drückten, wiederum fest wurde. Die Erdkruste hingegen konnte, durch Abstrahlung in den Weltraum, weiter abkühlen.

 

Wir müssen wieder eine Zeitraffung von 2,5 Milliarden Jahren bis auf etwa 500 Millionen Jahre vor heute vornehmen. Dies sind immerhin 2 Milliarden Jahre, eine für uns mit einer Lebenserwartung von 70 bis 80 Jahren, kaum vorstellbare Zeit.

 

Gegen Ende dieser Zeitspanne, die als Proterozoikum bezeichnet wird, hatte sich die Oberfläche der Erde weiter abgekühlt. Das heißt nicht, dass es kalt war, aber, dass wohl im wesentlichen die Temperatur unter 100 Grad Celsius lag. Es konnte sich auch eine Atmosphäre bilden, die jedoch keineswegs unserer heutigen entsprach. Aber woraus bestand diese Atmosphäre? Woraus bestand die Erdkruste?

 

Man muss hier einiges erklärend einfügen: Nur bei solchen Temperaturen, wie sie jetzt herrschten (daher auch die Angabe in Grad Celsius und 100 Grad ist der Siedepunkt des Wassers, der Druck unberücksichtigt), konnte sich zum Beispiel Wasser auf der Erdoberfläche halten und verdampfte nicht sofort. Aber woher kam denn wieder das Wasser? Aus der Uratmosphäre durch Kondensation? Aber da müsste es in dieser schon Wasserdampf gegeben haben. Gab es aber nicht, obwohl ja überwiegend Wasserstoff neben Helium die Uratmosphäre bildete. Aber man kann doch aus 2 Wasserstoffatomen und 1 Sauerstoffatom, H2O also Wasser machen? Die Knallgasreaktion ist das. Geht auch nicht so einfach.

 

Um zunächst eine, vielleicht etwas vage Antwort auf die Entstehung des Wassers auf der Erde zu geben, lässt sich sagen, dass man Einschläge von Kometen und Meteoriten, die im Archaikum der Erde wesentlich häufiger waren, als den „Antransport“ von Wasser aus dem Weltraum vermutet. Zudem soll Wasser noch in flüssigem Gestein im Erdmantel gebunden sein und könnte sozusagen aufgestiegen sein. Dass man den Ursprung des Erdenwassers nicht oder noch nicht genau festlegen kann, heißt aber, dass sich die Physik und die Wissenschaft um Erklärung und Nachweis bemüht und nicht einfach stattdessen eine These oder ein Dogma kreiert.

 

Wir sollten nochmals auf die Knallgasreaktion zurückkommen. Ist doch ganz einfach:

 

H2    (+ Energie)   H  +  H  (Reaktionsbeginn)

 

2 H2 +  O2  2 H2 O

 

H + O2   OH  +  O

 

O + H2   OH  + H

 

OH + H2     H2O  +  H

 

Es ist also, beim Versuch im Chemielabor, Wasser entstanden und ein überzähliges, freies Wasserstoffatom. Als Nebenreaktion entstand sogar noch Wasserstoffperoxid (Wasserstoffsuperoxyd): H2  +  O2    H2O2

 

Wenn man die erste Zeile in dieser Reaktionsgleichung betrachtet, erkennt man etwas ganz Wesentliches: Die Zufuhr von Energie ist notwendig, um eine solche Reaktion ablaufen zu lassen. Im Experiment, im heutigen Chemiesaal einer Schule, kommt diese Energie vom Streichholz oder vom Bunsenbrenner. Wasserstoffgas und Sauerstoffgas müssen hier sowieso erst im Reagenzglas gemischt worden sein, und dann gibt es eben einen Knall.

Etwas weiteres lässt sich daraus noch ableiten: Keine Chemische und physikalische Reaktion kann ohne Zufuhr oder Freisetzung von Energie ablaufen. Und, Energie ist dabei immer Wärme. Ob wir energiereiche Verbindungen z. B. Erdöl verbrennen oder Atome verbinden, fusionieren wollen, immer entsteht Wärme oder muss, bei einer Fusion, zugeführt werden. Hier sind exotherme Fusionsreaktionen, die Energie freisetzen, an deren Möglichkeiten  noch geforscht wird, und Tunneleffekte nicht berücksichtigt. Dadurch werden die Naturgesetzt nicht verändert oder aufgehoben.

Dass man Wärme, Energie zwar umwandeln kann, etwa in Bewegung, aber nicht einfach vernichten, leitet sich aus den Naturgesetzen ab und ist schließlich im 1. Hauptsatz der Thermodynamik (auch Satz von der Erhaltung der Energie) formuliert:

1. Hauptsatz: Energie kann weder erzeugt noch vernichtet, sondern nur in andere Energiearten umgewandelt werden. Aber: Thermische Energie ist nicht in beliebigem Maße in andere Energiearten umwandelbar (2: Hauptsatz). Der Wärmeinhalt eines Systems (Enthalpie) bestimmt also seine Energie.

 

Nehmen wir nun einmal eine chemische Elementarreaktion an, bei der zwei Stoffe miteinander reagieren sollen (und müssen!) wie dies etwas in einem Lehrbuch der Chemie beschrieben ist, z. B. D + H2   H – D  +  H, so kann man beobachten, egal um welche Stoffe es sich hier handelt, dass diese immer den Reaktionsweg mit dem geringsten Energieaufwand suchen. dass aber auch immer, etwa bei Zufuhr größerer Energiemengen, ein ganz bestimmtes Reaktionsprodukt entsteht und kein anderes. Dies gilt in jeder Art von Reaktion, auch etwa bei der Bildung bestimmter Gesteine im Erdinneren.

 

Aber was soll nun diese ganze Erörterung über Energie und chemische Reaktionen? Was hat das mit der Entstehung und der heutigen Gestalt unserer Erde zu tun?

 

Nun, es ging zuletzt darum, dass auf der Erde das Vorhandensein von freiem Wasser anzunehmen war. Also bestand die vielleicht noch nicht so kühle Erde wie sie heute ist, aus Landmassen und Ozeanen. Sie hatte eine Atmosphäre aus Gasen und Wasserdampf, die jedoch keineswegs der Zusammensetzung unserer Luft entsprachen, wurde weiterhin, zeitlich unterschiedlich stark, durch Meteoriteneinschläge bombardiert und war der Einstrahlung durch das Sonnenlicht ausgesetzt.

 

Eigentlich dauern diese Prozesse noch bis heute an und werden niemals zu einem Stillstand, einem Endzustand kommen. Die oberflächliche Gestalt der Erde änderte sich und ändert sich weiter, wie noch dargestellt wird. Aber gerade durch die Fortdauer der zunächst rein physikalischen, dann chemischen Prozesse, was letztlich auch wieder Physik ist, konnte die Erde ihr heutiges Aussehen erlangen.

 

Sicher war, aus heutiger Sicht, ein Prozess sehr bedeutend: Wie auf populären, wahrscheinlich durchaus richtigen Darstellungen zu sehen ist, wurden kahle Gesteinsmassen vom Wasser riesiger Ozeane umspült. Die unter der Erdkruste flüssige und heiße Gesteinsmasse brach sich oft Bahn nach oben in Vulkanen. Dies war sowohl unter dem Ozean als auch am Land möglich. Zwischen den heißen Massen und Wasser konnten chemische Reaktionen ablaufen, genügend Energie war ja vorhanden. Schwerere Elemente, wie Kohlenstoff konnten sich mit Wasserstoff zu einem Gas, Methan, verbinden. Es brodelte in Vulkanen, in der Atmosphäre, Dämpfe und Gase stiegen auf, kühlten sich, je mehr sie aufstiegen, ab, da außen der Weltraum schon sehr kalt war, und regneten wieder nieder zur Erde. Dies war ein regelrechter Kreislauf. Ständig trafen die Sonnenstrahlen die Atmosphäre und, natürlich diese durchdringend, die Erdoberfläche. Nur eines gab es damals nicht: Organisches Leben in irgendeiner Form. Und was war der bedeutende Prozess?

 

Dass da irgendetwas passiert sein musste, bei so viel Masse und Energie, war klar, denn sonst müsste der geschilderte Zustand, wie er vor rund 500 Millionen Jahren bestand, so weitergehen, wie wenn nichts geschehen wäre. Dies dachten sich vor mehr als 50 Jahren, 1953, in Chicago, die Herren Stanley Miller und Harold Urey.

 

 

 

 

 

Wie entsteht Leben?

 

 

Miller und Urey  brauten in einem penibel gereinigten Glaskolben aus Wasserstoff, Wasserdampf, Kohlenmonoxid, Wasser, Methan und Ammoniak, eine „Ursuppe“ zusammen. Dies entsprach etwa der Zusammensetzung einer Wasserpfütze auf der Eroberfläche vor 500 Millionen Jahren. Wie damals, ließen sie jetzt Energie in Form von elektrischen Blitzen und Strahlung in Form einer Lampe mit ultraviolettem Licht auf ihre Ursuppe einwirken. Damit auch, wie auf der Erde, Wärme von unten kommt, die etwa Wasserdampf aufsteigen lässt, wurde der Glaskolben gelegentlich erwärmt.

 

Als man nach einigen Tagen das Experiment beendete und die Flüssigkeit im Kolben analysierte, fand man Zucker, gebildet aus Kohlenstoff und Wasserstoff, und einfache Aminosäuren, Glycin und Alanin, stickstoffhaltige Verbindungen, gebildet aus den Stickstoffverbindungen Ammoniak und Methan, zusammen mit Wasserstoff und Wasser.

 

Was ist nun das Herausragende an diesem Experiment? Es ist der Nachweis, dass aus anorganischem Material organisches entstehen kann. Ich will das sehr vereinfachend für bisher nicht naturwissenschaftlich Interessierte erklären: Anorganische Verbindungen wie Kochsalz ( NaCl), Salzsäure (HCl), Ammoniak (NH3), Siliziumdioxid (SiO2), also praktisch Quarzsand, werden als leblose, also anorganische, angesehen. Organische Verbindungen, wie die genannten Aminosäuren, bezeichnet man als „Bausteine des Lebens“. Dies ist insofern richtig, als es kein „Lebewesen“, auch nicht das einfachste, primitivste, wie etwa Viren, gibt, das nicht aus Millionen von Aminosäuren aufgebaut ist. Zwar sind es nur relativ wenige einzelne Aminosäuren, die aber durch unterschiedliche Reihenfolge ihrer Anordnung in Verbindungen, wieder unterschiedliche Moleküle bis Molekülketten und Riesenmoleküle bilden können.

 

Sehr salopp gesprochen könnte man aus dem Miller-Urey-Experiment ableiten, dass man aus Steinen Brot machen kann. Man mag darüber lachen oder es merkwürdig finden, aber obwohl man ja wusste, dass organische Verbindungen synthetisierbar sind, hat man noch um 1950 im Physik- und Chemieunterricht der Höheren Schulen gelehrt, dass nur lebende Wesen auch organische Verbindungen erzeugen können. Dies, obwohl es Friedrich Wöhler bereits 1828 gelungen war, Harnstoff aus anorganischen Ausgangsstoffen zu synthetisieren. Man hing also, in den Schulen, nicht an der Universität, immer noch der früher verbreiteten Vorstellung an, dass organische Substanzen nur unter Mitwirkung der so genannten „vis vitalis“ (Lebenskraft) hergestellt werden könnten und diese grundsätzlich nur in Lebewesen zu finden sei. Übrigens lehrte man auch, dass der Raum zwischen den Sternen, auch unser Interplanetarraum, mit „Äther“ erfüllt sei.

 

Zurück zu unserer Erde mit ihrer Uratmosphäre und der Sonneneinstrahlung. Letztere ist sehr entscheidend. Wir haben ja gesehen, dass organische Substanz auch unter Einwirkung von ultraviolettem Licht (uv-Licht) entstehen kann. Ultraviolettes Licht, das ja für uns nicht sichtbar ist, wird von der Sonne heute noch abgestrahlt, was uns sowohl Bräune wie auch Verbrennungen und Hautkrebs bescheren kann. Nun hätte ja eigentlich das Leben, unter Bildung immer größerer Aminosäureketten und –Verbindungen zu Wasser und zu Land stets wachsen können. Aber, das Problem ist, dass uv-Licht nicht nur synthetisierend sonder auch destruierend, wirken kann. Also erst entstandene Aminosäuren werden unter der Einwirkung von uv-Licht wieder zerlegt.

 

Größere Verbindungen konnten auf dieser Urerde also nur dann stabil bestehen, wenn die Einwirkung der ultravioletten Strahlung (uv-Strahlung) möglichst gering gehalten oder ausgeschlossen wird. Dies war eigentlich nur im Wasser, in einer Tiefe um einen Meter möglich, da das uv-Licht durch das Wasser herausgefiltert war. Und so geschah es auch, dass sich im Wasser, vom Präkambrium bis zum Kambrium, explosionsartig immer größere Moleküle bildeten. Diese konnten sich aneinander lagern, zu sehr komplizierten organischen Gebilden werden, die man schließlich als primitivste Lebewesen bezeichnen kann. Denn, wie wir bereits wissen, können physikalische und chemische Prozesse nur unter Einwirkung von Energie ablaufen. So auch hier. Die Energie kam aus dem normalen Licht und durch Moleküle, die dieses Licht in Energie zum Wachsen und für die Vermehrung umwandelten. Die Photosynthese war entstanden.

 

Es gab dabei ein „Abfallprodukt“, bei der Photosynthese, wichtig für das weitere Leben auf der Erde: Sauerstoff (O2). Zwar gab es schon Sauerstoff, ein schweres Element, gebunden in Gesteinen (Material des Sonnensystems, entstanden aus Gaswolken mit bereits schweren Elementen aus Supernovaexplosionen) und als Bestandteil des Wassermoleküls, aber nun konnte Sauerstoff mehr und mehr als freies Gas in der Atmosphäre angereichert werden. Ein Teil des Sauerstoffs, jeweils 3 Atome reinen Sauerstoffs (O), konnte sich zu Ozon (O3) zusammenfügen. Dieses Ozon in der Atmosphäre konnte wiederum, wie schon Wasser, die uv-Strahlung aus dem Sonnenlicht herausfiltern.

 

Dass diese Ozonschicht in der damaligen Atmosphäre, vor 500 Millionen Jahren, und heute noch lebenserhaltend ist, wissen wir, seit die Auswirkungen des „Ozonlochs“ bekannt sind, nämlich zunehmende Einstrahlung des lebensfeindlichen uv-Lichts auf die Erde. Denn Ozon kann durch Substanzen, die Fluormoleküle (Fluor ist ein Element aus der Halogenreihe, zu der noch Chlor, Brom, Jod gehören) freisetzen, die so genannten Fluorchlorkohlenwasserstoffe, wieder in reinen Sauerstoff O2 zerlegt werden. Dadurch geht aber auch die uv-Strahlung absorbierende Leistung des Ozons verloren.

 

Zudem war die Erde damals und ist sie heute noch weiterer Strahlung ausgesetzt. Höhenstrahlung, Sonnenwinde und ultraharte Strahlung, die bei höchsten Temperaturen aus der Sonne und aus dem Weltraum kommen, könnten die Erde treffen und jedes noch so einfache Leben zerstören. Auch dagegen gibt es einen Schutzschild – es gäbe uns sonst nicht – das Magnetfeld um die Erde. Die Entstehung dieses Magnetfeldes aus einem dynamoartigen Prozess im Erdinnern zu beschreiben, würde hier zu weit führen. Die elektromagnetische Wechselwirkung wurde bereits beschrieben. Zur Wirkung nur soviel: Durch das Magnetfeld um die Erde werden elektrisch geladene, ionisierte Teilchen und Strahlen, die auf der Erde auftreffen würden, weitgehend abgelenkt und erreichen uns nicht. In der Nähe der Erdpole, wo die Magnetfeldlinien zusammenlaufen, können wir manchmal sehen wie Strahlen und elektrisch geladene Teilchen in unsere Atmosphäre eindringen und diese zum Leuchten bringen. Dies sind dann die Polarlichter.

 

Nun, warum ist das so wichtig, dass Strahlung, welcher Art auch immer, von der Erde abgehalten werden soll? Ist nicht die Sonne, mit ihren Strahlen unser lebenserhaltender Energielieferant, letztlich unser Mutterstern? Gewiss, dies ist richtig. Eine Erde, die nicht als Trabant der Sonne in einem ganz bestimmten (habitablen, Leben ermöglichenden) Abstand entstanden wäre, wäre ein Planet ohne Leben. Aber neben dem sichtbaren Licht und der bereits wieder unsichtbaren ultra- oder infraroten Wärmestrahlung gibt es eben die schon beschriebene harte Strahlung und die uv-Strahlung im Spektrum des Sonnenlichts. Und gerade vor etwa 500 Millionen Jahren war die Strahlung, die die Erde traf, noch so stark, dass Leben nur in einem bestimmten Bereich des Wassers möglich war

 

Aber was war das für ein Leben? Was ist Leben überhaupt? Zunächst einmal welches Leben? Wir kennen aus dem Miller-Urey-Experiment, dass unter bestimmten Bedingungen im Wasser organische Moleküle entstehen können. Im Experiment dauerte dies, einschließlich der Analysen, einige Tage. Wenn wir davon reden, was nur in einer Wassertiefe von etwa einem Meter, als Schutz vor zu viel uv-Strahlung an Synthese und wieder Zerstörung möglich war, reden wir von einem Zeitraum etlicher Millionen von Jahren. Da konnten sich eher Riesenmoleküle bilden, die nicht gleich wieder zerfielen. Vor allem konnten sehr unterschiedliche Moleküle mit wechselnden Aminosäuresequenzen entstehen, die bestimmte Eigenschaften hatten, etwa die, die Verbindung bestimmter Molekülteile mit denen anderer Moleküle zu fördern. Das heißt, Enzyme, selbst wieder große Moleküle, förderten den Aufbau großer organischer Verbindungen, allerdings ohne dass man bereits von Leben sprechen kann.

 

Mit Sicherheit waren zudem nicht nur die im Miller-Urey-Experiment entstandenen neuen Moleküle die einzig möglichen. Auch ist die Polymerisation, die Aneinanderreihung von Molekülen mit Hilfe von Enzymen, nicht die einzig mögliche Art große Moleküle zu bilden. Diskutiert werden auch anorganische Substanzen, etwa Tonerden, die Verbindungen fördern, also als Katalysatoren fungieren. Wir müssen uns aber vor Augen halten, obwohl diese Molekülentstehung den Anschein der Zufälligkeit hat, dass stets die Ausgangsbedingungen einer Reaktion entscheidend für das Endprodukt sind. Also, es entsteht wie in der anorganischen Chemie, unter bestimmten Bedingungen, aus den Substanzen A + B stets die gleiche Substanz C und bei der Verbindung zweier Atomkerne ist die Besetzung der Elektronenschale im dann entstandenen Element immer die selbe, wie nach den Naturgesetzen vorgegeben.

 

Wenn ich jetzt das Zustandekommen und den Aufbau lebender Wesen auch nur annähernd darzustellen unternehmen wollte, müsste ich mir viele Jahre Zeit dazu nehmen, das Werk, Buch oder Artikel, würde riesig und kein Mensch könnte dieses ohne gleichzeitiges Studium verstehen. An dem Problem – oder besser gesagt an der Darstellung oder Entschlüsselung, weil es gar kein Problem ist, denn Probleme muss man lösen oder beseitigen – arbeiten an vielen Universitäten der Welt, an Forschungseinrichtungen von Staaten oder Industrien, Wissenschaftler mit höchster Qualifikation. Nanotechnologiephysiker, Chemiker, Biologen, Gentechniker und andere bearbeiten ein oft scheinbar kleines Gebiet, das doch riesig in Bezug auf unterschiedliche Verfahrenstechniken, Auswertungs- und Darstellungsmöglichkeiten (der ganze Laboraufwand mit Computersimulation und -Auswertung etc.) ist. Letztlich geht es um die Entschlüsselung des Genoms.

 

Ich will, trotz der geschilderten Unmöglichkeit meines Unterfangens, skizzenhaft und von mehreren Seiten beleuchtet, zu unserem, wenn auch oberflächlichen Verständnis, einiges ausführen. Das Pferd von hinten aufgezäumt: Was ist ein Genom, was ist das menschliche Genom? Nun, es ist die gespeicherte Erbinformation in einer Zelle. Aber, wie sieht das aus? Gehen wir zurück zum Miller-Urey-Experiment: Wir wissen: Es wurden anorganische Substanzen unter bestimmten Bedingungen mit uv-Licht bestrahlt. Bei der Analyse der bestrahlten Substanzen, fand man Aminosäuren, organische Substanz. Solche Substanzen haben eine Eigenschaft, die Affinität, sich miteinander zu verbinden. Dies, schlicht und einfach, weil unter den jeweiligen Bedingungen (Temperatur, Druck) bestimmte Molekülteile (OH- Gruppen usw.) miteinander reagieren müssen. Auf diese Weise können verschiedene Aminosäuren entstehen.

 

Nun gibt es vier Aminosäuren, die so genannten Kernbasen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Werden diesen Aminosäuren, wie es irgendwann, in der „Ursuppe“, im Weltraum oder wo auch immer geschieht, ein bestimmter Zucker hinzugefügt, verbinden sie sich zu Desoxy-Adenin-Monophosphat, Desoxy-Cytosin-Monophosphat usw. und dies sind eben die Nuklein- oder Kernbasen (Nucleus ist der Kern auf Lateinisch). Sie können sich aneinander reihen und einen Strang bilden. Und wenn sich schließlich zwei solche Stränge aneinander legen, wobei sich die Adenin- mit der Thymin- und die Guanin- mit der Cytosinverbindung. gegenüberliegen müssen, entsteht ein Riesenmolekül, die Desoxyribonucleinsäure DNS oder weil die Wissenschaftssprache heute Amerikanisch ist, die DNA (A für Acid = Säure). Sie, besteht, zum Beispiel beim Menschen, aber auch bei Säuge- und anderen Tieren, aus etwa drei Milliarden Basenpaaren (wie schon genannt Adenin-Thymin, Guanin-Cytosin). Und alles ist in einer einzigen Zelle untergebracht! Den “Trick“, dass dies in einer Zelle möglich ist, haben die amerikanischen Forsche Watson und Crick entdeckt, indem sie eine spindel- oder schneckenartige Struktur nachweisen konnten. Schon bei noch „niedrigen“ Mehrzellern ist bereits in der Zelle die DNA zudem auf die so genannten Chromosomen verteilt.

 

Sicher ist Vielen der Begriff DNA von den DNA-Analysen bekannt, die aus Speichelproben oder anderem Material (Haaren, Blut, Fleischfetzen an Knochen usw.) bei der Aufklärung von Vaterschaften oder Verbrechen (beides ist nicht dasselbe) gemacht werden.

 

Diese Anwendung bzw. Untersuchung zeigt uns nämlich die Bedeutung, die diese DNA hat. Denn man hat herausgefunden (in sehr vielen Forscherjahren, wie bei all diesen Untersuchungen), dass zwar immer die vier Kernbasen wie genannt, miteinander reagieren, dass aber die Anordnung wie die Basenpaare in der langen DNA-Kette aufeinander folgen, die Sequenz, unterschiedlich ist. Diese Sequenz ändert sich jedoch innerhalb der Zelle eines Individuums nicht, ist also individuell, aber von Individuum zu Individuum verschieden. Wenn man also vergleicht: Ist die DNA eines bestimmten Abschnitts aus dem ganzen Molekül in ihrer Sequenz identisch, zwischen der von Spermaspuren an der Frau und der der Speichelprobe eines Beschuldigten, so ist dieser mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter. Im andern Fall oder besser den anderen Fällen, weil oft Hunderte und mehr zu einer Speichelprobe müssen, sind diese auszuschließen, denn keiner wird die gleiche Gensequenz aufweisen wie die des genannten Täters.

 

Ich habe dieses Beispiel angeführt, um zu zeigen, dass aus scheinbar zweckfreier Grundlagenforschung, was es letztlich gar nicht gibt, auch praktische, allgemein bedeutende Anwendungen resultieren können. Aber gewiss ist diese Anwendung nicht die eigentliche Bedeutung der DNA Analyse. Wir wissen, dass die DNA spindelförmig angeordnet in der Zelle bzw. in den Chromosomen in der Zelle angeordnet ist. Immerhin geht es um Milliarden bzw. viele Millionen von Basenpaaren. Bei der Zellteilung geschieht nun folgendes: Die Spindel wird sozusagen „aufgewickelt“ und getrennt. Das Enzym Gyrase macht das. (Man denke an den Gyros, den Fleischspieß). Ist die Zelle geteilt, ist in jeder Zelle nur die halbe DNA, auch nur die Hälfte an Chromosomen. In der normalen Zelle – irgendeiner – wird aber dann der Chromosomensatz wieder verdoppelt und damit auch die DNA. Die neue Zelle ist identisch mit der aus der sie hervorgegangen ist.

 

Handelt es sich aber um eine Eizelle, so verdoppelt sie nicht wieder automatisch ihren Chromosomensatz, wenn sie sich geteilt hat. Kommt nun eine Samenzelle, die ebenfalls nur einen halben Chromosomensatz hat, hinzu, was wir Befruchtung nennen, so verschmelzen beide und haben sowohl wieder einen vollständigen Chromosomensatz als auch eine vollständige, aus zwei halben Spindeln zusammengesetzte DNA.

 

Nun wird man vielleicht fragen: Wozu ist das alles gut? Eine DNA aus Milliarden Basenpaaren, wozu? Nun, die Sequenz der Basen in der Eizelle bestimmt wieder die Eigenschaft die die Zellen im Laufe des Wachstums annehmen müssen. Sie tragen also eine Information. Auch wenn die ersten Zellen nach den Teilungen aus der ersten, befruchteten Zelle, sozusagen omnipotent sind, also alles werden können, ist schon festgelegt welches Gewebe, welches Organ, im Laufe des Wachstums aus den sich immer wieder teilenden Zellen entsteht.

 

Man kann also sagen, dass die DNA der Bauplan eines Individuums ist. Sie gibt damit sozusagen weiter Befehle, über die so genannte Ribonucleinsäure, RNA, welche Eiweiße und Zellprodukte noch in der Zelle produziert werden müssen. So besteht eine Information nicht nur darin, dass bestimmte Zellen eine Bauspeicheldrüse bilden müssen, sondern auch, welches Verdauungsenzym diese Drüse bilden muss. Nicht nur, dass im Organismus zwei Augen entstehen, sondern auch durch sie Lichtsignale aufgenommen, über Nerven an die Hirnrinde geleitet und von dort weiter, ist in dem Bauplan festgelegt und wird so ausgeführt.

 

Auch wenn das bisher Gesagte sehr viel Nach- und Mitdenken erfordert, vielleicht manchmal ermüdend ist und scheinbar wenig mit unserer Herkunft, dem Urknall und physikalischen Gesetzen zu tun hat, muss ich, da sich noch zeigen wird wie bedeutend es ist, einiges anfügen: Es wird nicht nur der körperliche Bauplan des Individuums mit der DNA übertragen, sondern auch seine Eigenschaften, was man zusammen auch den Phänotyp, seine äußerliche Erscheinung, nennt. Das heißt – nehmen wir ruhig den Menschen – nicht nur der körperliche Bau mit funktionierenden Organen, wie Nieren, Leber, Herz usw. und das ganz spezielle Aussehen (die Nase vom Großvater, die roten Haare von der Mutter) sondern auch besondere Funktionen und Verhaltungsweisen, also Charakter, Begabungen (Musik, Mathematik etc.), spätere Krankheiten, die Art des Gähnens bei Müdigkeit somit Eigenschaften, von denen man im allgemeinen nicht vermutet, dass sie „genetisch“ bedingt sind.

 

Dies führt uns zu dem Begriff des Gens. Wir haben eigentlich schon die ganze Zeit darüber gesprochen, nämlich indem wir von der Sequenz der Aminosäuren in der DNA und ihrer Verteilung auf die Chromosomen gesprochen haben. Die Gene stellen also einen bestimmten Abschnitt von Aminosäuresequenzen auf einem Chromosom dar. Am einleuchtendsten ist das, wenn man bedenkt, dass nur das Y Chromosom bei der Befruchtung einer Eizelle (beim Menschen etwa) entscheidend dafür ist, ob ein männliches oder ein weibliches Individuum entsteht. Bei der Reifeteilung der (männlichen) Spermien entstehen 50 Prozent Spermien mit nur dem Y-Chromsom aber auch 50 Prozent mit dem X-Chromosom, weil die ursprüngliche Samenzelle ein X- und ein Y-Chromosom enthielt. Nachdem die weibliche Zelle nur zwei X-Chromosomen hat, bei der Reifeteilung, mit der Hälfte des Chromosomensatzes also stets ein X-Chromosom in der Eizelle vorliegt, ist es wahrscheinlich nur vom Zufall abhängig, ob das sie befruchtende Spermium das Y-Chromosom enthält oder nicht. Nur mit Y gibt es ein männliches Individuum, weil nur XY männlich bedeutet.

 

Dass nun in der Zelle, einzelne Gene „springen“ können, Abschnitte auf den Genen, so genannte Allele an- oder abgeschaltet, der Locus, also der Ort auf dem Gen, der eine Eigenschaft bedingt, zugänglich ist oder nicht, was unter dem Begriff Epigenetik behandelt wird, das darzustellen würde hier zu speziell und zu aufwendig sein. Wichtig ist jedoch für spätere Betrachtungen, dass und auf welche Weise Eigenschaften weitergegeben werden können, auch, dass z. B. eineiige Zwillinge zwar die größtmögliche, jedoch keine absolute Identität haben.

 

Man folgert daraus, – und das gilt für alle Abschnitte der Aminosäuresequenz-, dass Veränderungen der Reihenfolge, wie ja bekannt, und oft geringste Änderungen an den Genen, zu unterschiedlichen Eigenschaften von Individuen führen können.

 

Ich will und muss nun, scheinbar abrupt, zu den eher physikalischen Zuständen auf der Erde zurückkehren. Es ging zuletzt darum, dass die ultraviolette Strahlung fast lebensfeindlich auf die Erde einwirkt. Aminosäuren können daher nur im Wasser beständig bleiben, und durch die Fotosynthese konnte gasförmiger, freier Sauerstoff entstehen. Doch zunächst wieder einmal, sehr, sehr vereinfacht dargestellt: Welche Wesen waren oder lebten da im Wasser, was ist die Fotosynthese und wie geht es weiter?

 

Wir wissen bereits, dass DNA- und RNA-Moleküle im Wasser waren. Ob nun durch eher zufällige Veränderungen in der DNA veranlasst über die RNA bestimmte Nukleinsäuren und Zucker, eben organische Substanzen, sich zu Membranen umformten (man kann dies heute auch in der Chemieindustrie machen) oder ob der Vorgang etwas anders verlief, ist nicht entscheidend. Jedenfalls entstanden Gebilde mit einer sie umgebenden, abgrenzenden und schützenden Membran. Es entstanden Zellen. Dass diese Vorgänge auch in Jahrmillionen abliefen, daran sei nur nebenbei erinnert.

 

Die Zellen also, die entstanden waren, von einer Membran umgeben, hatten ja einen Inhalt. Dieser bestand aus DNA, RNA, Polymerasen, so genannten Ribosomen und anderen Eiweißmolekülen. Diese Substanzen schwammen sozusagen in der Zelle und bildeten das Zytoplasma. Natürlich war die DNA nicht identisch mit der höherer Lebewesen oder gar des Menschen – was es ja noch nicht gab - aber sie erfüllte letztlich die gleichen Aufgaben. So konnte in den Zellen, mit Hilfe der in ihnen synthetisierten Substanz Chlorophyll (es gibt davon mehrere unterschiedliche) unter Einwirkung des normalen Sonnenlichts aus Wasser und Kohlensäure (CO2) Zucker (Glucose) und Sauerstoff synthetisiert werden. Letzterer, Sauerstoff, wurde in die Umgebung abgegeben, Eine sauerstoffhaltige Atmosphäre konnte entstehen. Der gebildete Zucker diente wieder der Energieversorgung der Zelle und der Vermehrung, die durch einfache Zellteilung erfolgt. Es gab damals schon mehrere Arten dieser algenartigen Zellen, die unterschiedliche Stoffwechselleistungen, etwa durch eine Art Atmung oder durch Gärung zustande brachten.

 

Schließlich gelang es infolge Veränderungen der DNA, sei es durch uv-Licht-einwirkung oder durch zufällige Veränderungen an den schon bestehenden Genen, die Zellen im Innern zu organisieren. Es entstand ein Kern, mit einer doppelten Membran vom übrigen Zellinhalt abgetrennt, in dem die DNA aufgewickelt war, auf Chromosomen verteilt. Weitere „Organellen“, die also organartige Funktionen erfüllten, wie Energiestoffwechsel in den so genannten Mitochondrien, Eiweißsynthese in Lysosomen usw. entstanden, so dass Zellen, die unseren heutigen Pflanzen- und Tierzellen entsprechen, gebildet wurden. Dass diese Vorgänge auch in Jahrmillionen abliefen, daran sei nochmals erinnert.

 

Aber wozu diese Erinnerung an die „Jahrmillionen“? Wir werde es verstehen, wenn wir bei den Katzen ohne Schwanz auf der Insel Man in der Irischen See sind. Eigenartig.

 

Nun, ich mache wieder eine Zeit- und Ereignisraffung. Als sich nämlich in einem Urozean, unter einer Uratmosphäre, die ersten Zellen gebildet hatten, schlossen sie sich zu Zellverbänden, zu Organen mit bestimmten Aufgaben in einem noch größeren Zellverband zusammen und konnten so überleben. Warum überleben? Nun, die Uralgen zum Beispiel, wären in einer Atmosphäre mit Sauerstoff, so wie sie dies heute noch tun, gestorben. Sie hatten den Sauerstoff zwar gebildet, aber in die Atmosphäre, in der sie ja nicht lebten, abgegeben. Es gab aber bereits Zellen oder Zellverbände, die brauchten Sauerstoff zum Überleben. Also könnte man sehr schlicht sagen, sie krochen aus dem sauerstoffarmen (nicht völlig sauerstofffreien) Wasser ans sauerstoffreiche Land. Dort bildeten sie Pflanzen, die durch ihre Photosynthese (Pflanzen sind grün weil sie Chlorophyll enthalten) die Atmosphäre weiter mit Sauerstoff anreicherten und die Tiere. Letztere brauchten den Sauerstoff (Oxygen) um aus den Pflanzen, die sie fraßen, durch Verbrennung (Oxygenierung) wieder Energie, Wärme, zu gewinnen.

 

Aber, betrachten wir einmal sehr „niedrige“ Wesen, Bakterien, Einzeller, ob sie nun einen Zellkern haben oder nicht, stets haben sie in ihrem Innern die DNA, Proteasen, Eiweiße, die bestimmte Funktionen erfüllen. Und über die DNA erhalten diese Zellen quasi den Befehl, sich zu vermehren. Eine erst doppelstrangige DNA spaltet sich auf, die äußere Zellmembran, die Hülle, schnürt sich ein, die Verbindung zwischen den Zellhälften wird getrennt und es sind zwei neue (identische) Zellen entstanden, mit denen das Gleiche wieder passiert.

 

Nun gut, das ist die normale Zellteilung, wie wir wissen. Aber wissen wir in welcher Zeit diese abläuft? Etwa so schnell wie ich es zu schreiben vermag! Das heißt, grob, im Minutentakt entstehen aus einer Zelle zwei, aus diesen vier, aus diesen acht usw. In einer Stunde sind wir bei Milliarden Zellen. Und wenn wir Tage, Jahre, Jahrhundert, Jahrtausende rechnen und gar viele Millionen? Nun gut. Das Universum würde aus Algen bestehen, wenn das nur mathematisch so weiter ginge.

 

Doch hier, spätestens, müssen Begriffe angesprochen werden wie Tod, Zelltod und Sterben, auf die später noch intensiv eingegangen wird. Nur, damit nicht ein Universum aus Algen, was hier wirklich nur als Metapher zu verstehen ist, entsteht, gibt es den Tod. Auch dieser ist in der DNA der Zelle festgelegt. Gemeint ist damit die Apoptose, die von der DNA einer Zelle ausgeht, in der dies vorprogrammiert ist und die den Selbsttod, oder nennen wir es Selbstmord, gerade dieser Zelle auslöst. Die DNA bewirkt dabei das Freisetzen von Enzymen, Eiweißen, die zu einer Auflösung der Zelle, einschließlich ihrer Wand, führen. Die Zelle existiert dann nicht mehr. Ihre DNA kann ebenfalls aufgespaltet und die Bruchstücke von anderen Zellen als Nahrung aufgenommen werden.

 

Auch innerhalb höher organisierter Wesen oder Organismen gibt es die Apoptose einzelner Zellen, die krank, durch Zellgifte oder Virusbefall oder nur das Alter reif dafür sind. Durch den Austritt von Zellinhalt durch die Wand der zu Grunde gehenden Zelle, werden über, ebenfalls von dieser Zelle produzierte, Botenstoffe an andere Zellen, Makrophagen, geschickt, die die Zellteile „abräumen“, auffressen. Auch dass im Herbst die Blätter gesunder Bäume welken, absterben und fallen, ist eine Form der Apoptose.

 

Natürlich kann ein Zelltod auch von außen durch mechanische Einwirkung, etwa Gewebszerfetzung bei einem Unfall, Verbrennung, Unterbindung der Sauerstoff und Nahrungszufuhr, zustande kommen. Hier spricht man von einer Nekrose der Zelle, was aber auch nichts andres als ihren Tod bezeichnet. Und schließlich bedeutet auch das „Gefressenwerden“ völlig gesunden Gewebes, gesunder Zellen, den Tod durch enzymatische Auflösung.

 

Doch kehren wir vom Sterben zur Vermehrung und der Rolle der DNA dabei zurück. Zellen vermehren sich nicht nur durch einfache Teilung, bei der auch DNA, Organellen zum Fressen und der Zellkern geteilt werden, was ungeschlechtlich ist. Schon von der Vermehrung von Einzellern, z. B. Wimpertierchen, Pantoffeltieren, weiß man aber, dass, wenn sich zwei solcher Zellen aneinander lagern, es zum Austausch von DNA Bruchstücken, also zum Austausch von Erbgut, von Eigenschaften in jeder Hinsicht, kommt. Das bedeutet bereits eine geschlechtliche Vermehrung. Es entstehen dann eben nicht mehr zu ihren Vorläufern identische Zellen.

 

Nun, könnte es sein, dass die neu entstandenen Zellen oder Wesen – denn es ist ja auch möglich, dass bei mehrzelligen Organismen Veränderungen an der DNA eintraten – andere Eigenschaften haben? Aber wozu? Vielleicht, dass einfach eine neue Art neben den bisherigen entsteht. Aber es könnte auch sein, dass es eine andere Folge, nicht einen anderen Grund hat. Denken wir zurück an die Uratmosphäre unserer Erde. Sie bestand zunächst nur aus Wasserstoff, Helium und Methan, dann kamen Kohlendioxyd, Stickstoff, schließlich langsam Sauerstoff hinzu. Aber das dauerte Milliarden Jahre. Das heißt, hier ist etwas sozusagen parallel gelaufen: Die Veränderung der Atmosphäre, der Bedingungen (ich will bewusst nicht sagen Lebensbedingungen) unter denen sich Zellwachstum und schließlich differenziertes Leben, bilden konnte, änderte sich im gleichen Zeitraum. Wir nennen das die Evolution.

 

Hieße das also, wie schon einmal gesagt, dass Zellen, dass das Leben, aus dem Wasser an Land gekrochen wären? Vielleicht, weil es im Wasser keine Überlebenschance mehr gab? Wäre es so, dass zuerst an Land Flechten und Moose gewachsen wären, aus Algen Schnecken wurden, die aus dem Wasser kamen und hätten diese abgeweidet, weil die Schnecken nicht ohne sie und auch ohne Algen, nicht denkbar gewesen wären, dann könnte man sagen: Keine Alge, keine Schnecke. Gibt es Schnecken, die etwas anderes fressen? Freilich, wir brauchen heute nur in unseren Garten zu gehen. Hat die Giraffe einen so langen Hals, damit sie die Blätter auf den Bäumen, hoch oben, abweiden kann? Wachsen seitdem die Bäume, um ihre Blätter „zu retten“, noch höher? Nun, das alles ist Unsinn. Es ist auch Unsinn, wenn man annimmt, dass etwa auf einer Insel mit bestimmten flügellosen Insekten, die früher dort mit Flügeln lebenden, wegen der starken Winde allmählich ihre Flügel verloren hätten, bis es nur noch flügellose Nachkommen gegeben hätte. Das ist missverstandener Darwinismus, auch wenn Darwin in der „Entstehung der Arten“ manches so gesehen hat. Nicht die Umwelt hat eine „natürliche Auslese“ bewirkt, sondern, es hat sich gezeigt, dass die eine oder andere genetische Variante ein Überleben unter bestimmten, ebenfalls im Laufe von Jahrmillionen veränderten Bedingungen, erst möglich macht.

 

Ich muss hier – sicher nicht zum letzten Mal – wieder eine Erklärung dazwischen schieben. Wir wissen ja, - und es ist nahezu Allgemeinwissen -, dass Eigenschaften vererbt werden. So auch die Eigenschaft von fehlenden Flügeln bestimmter Ameisen auf irgendwelchen Inseln. Nun hat da ein katholischer Geistlicher, ein gewisser Gregor Mendel, im Klostergarten einen Versuch gemacht, der mehr als berühmt wurde. Mendel hat seine 1865 veröffentlichte Beobachtung an  Bohnen und Erbsen gemacht. Einfach gesprochen war es so: Mendel hat die Stempel rot blühender Erbsen mit dem Blütenstaub weiß blühender bestäubt. Er hat dann die Samen der bestäubten Erbsen, also wieder Erbsen, gesammelt und wieder ausgesät. Doch da gab es plötzlich Blüten an den Erbsensträuchern von rosa Farbe, Mischlinge sozusagen. Von diesen hat er die Samen (Erbsen) wieder ausgesät, die Blüten untereinander bestäubt, die Samen gesammelt, und wieder ausgesät. Da entstanden zur Hälfte (zwei Viertel) rosa blühende, ein Viertel rot- und ein Viertel weiß- blühende Erbsen. Nun, die „Mendelschen Regeln“ der Vererbung waren entdeckt. Ist doch ganz einfach. Oder doch nicht?

 

Nun Mendel hat eigentlich Glück gehabt, so bewundernswert sein Vorgehen und die Überlegungen bei seinem Versuch auch waren. Denn, nehmen wir anstelle der weißen Erbse, wäre als Mutter ein „reinrassiger“ Riesenschnauzer gewesen, anstelle der roten als Vater, ein „reinrassiger“ Rottweiler, dann hätten die „Kinder“ sicher ganz anders ausgesehen, eben eine Mischung aus beiden. Und hätte man, ungeachtet einer Inzucht, ein Begriff der den Hunden wahrscheinlich unbekannt ist, diese Kinder wieder gekreuzt, sich untereinander vermehren lassen, so wären keineswegs wieder (zwei Viertel) Mischlinge (wie die Eltern) und (ein Viertel) „reinrassige“ Riesenschnauzer (wie die Großmutter) und (ein Viertel) Rottweiler (wie der Großvater), sondern nur irgendwelche Mischlinge insgesamt herausgekommen. Aber warum klappt das bei den Blumen und nicht bei Hunden? Übrigens, bei der Untersuchung an der Japanischen Wunderblume hat man herausgefunden, dass es nur ein Allel (ein Ausdrucksmerkmal, eine Eigenschaft, die auf einem Gen sitzt) für rot und eines für weiß gibt. Und hier funktioniert das mit rot und rot gibt rot, weiß und weiß gibt weiß und rot und weiß gibt rosa.

 

Ich will einmal vorsichtshalber anführen, dass, wenn ich den Begriff Rasse verwende, etwa bei den Hunden, reinrassig, es nicht um die von den Nationalsozialisten und ihren Vordenkern verwendeten, ausgrenzenden und wertenden Begriffe geht. Man kann gewöhnlich „Rassen“ gar nicht genetisch definieren, noch gibt es bessere, überlegene, unterlegene oder gar minderwertige Rassen. Das sei nur deshalb gesagt, weil der Rassenwahn in weit mehr als der Hälfte unserer Bevölkerung zum fundierten Wissen gehört. Es ist nicht so? „Wir sind keine Rassisten, wo wir doch wissen, dass sogar Neger und Chinesen klassische Musik spielen können“! Oder sind wir es gerade deshalb?

 

Wir müssen da wieder zur DNA zurückkehren. Wir wissen, dass bei der geschlechtlichen Vermehrung zwischen Ei- und Samenzelle, Chromosomen, Chromosomenbruchstücke und damit DNA, wieder zu einer „kompletten“, befruchteten Eizelle zusammengefügt werden. Etwas grob gesprochen werden Gene und die durch sie bestimmten Eigenschaften übertragen. Jedoch ist eine Eigenschaft selten nur von einem Gen abhängig. Schon weil – wir sind noch bei den Hunden - Vater und Mutter jeweils einen „Bauplan“, also ein Gen (meist sogar mehrere) für die charakteristische Schnauze mitbringen. Auf diese Weise kann ein Welpe die Schnauze von der Mutter, die Haarfarbe, die Farbe des Fells vom Vater haben.

 

Wir wollen die Vererbung, die auch beim Menschen nach den gleichen Regeln abläuft, nicht vertiefen, von dominanten und rezessiven Eigenschaften, die bei Erbkrankheiten von Bedeutung sind, reden. Wir wissen, dass solche Eigenschaften vererbt werden können. Übertrieben gesprochen, kann ein Kind die Nase sowohl vom Vater als auch der Mutter haben. Sagen wir, es kann sogar eine relativ „normale“ haben, wenn der Vater eine Haken-, die Mutter eine Stupsnase hatte. Nagelt mich jetzt nicht auf Nase und Gen fest; es war ein Beispiel. Also, trotz der Mendelschen Regeln, ist es höchst unwahrscheinlich, dass aus einer Ehe zwischen zwei farbigen Menschen afrikanischer Herkunft, die wieder aus Mischehen mit Weißen stammen, rein weiße, kaukasisch (europäisch) aussehende und tiefdunkle (negroide), sowie noch etliche „Mischlingskinder“ hervorgehen.

 

Aber, es ist ganz unwahrscheinlich, dass ein Kind mit einer flachgedrückten Nase geboren wird, nur weil sein Vater Boxer, mit einer eingedroschenen Nase ist. Und – dieses Beispiel habe ich gelesen – man kann 500 Generationen von Katzen oder Ratten, unmittelbar nach der Geburt den Schwanz abschneiden, es werden auch nach der 500. Generation keine Katzen oder Ratten ohne Schwanz geboren werden. Gewiss, es kann Veränderungen an der DNA, am Erbgut geben, wenn etwa Strahlen die Ei- oder Samenzellen treffen und dann können veränderte Individuen geboren werden. Aber darüber muss man extra sprechen.

 

Und warum die Katzen auf der Insel Man keinen Schwanz haben – ich habe noch keine von ihnen gesehen – kann ich jetzt auch nicht erklären. Sicher nicht  weil alle, die einen Schwanz hatten, so lange in die Irische See geweht wurden, bis nur noch schwanzlose übrig blieben. Es soll nämlich noch Inseln in rauer See geben, auf denen durchaus Katzen mit Schwänzen leben.

 

Macht man nun eine kleine Zwischenbilanz nach all den Ausführungen über Gene Vererbung und Evolution, so lässt sich sagen, dass sich auf unserer Erde das Leben von den einfachsten Formen, die nur im Wasser überleben konnten, zu einer ungeheueren Artenvielfalt an Pflanzen und Tieren bis heute entwickeln konnte. Das eben bezeichnen wir als Evolution. Und dies alles fand in einem Zeitraum ab dem Ende des so genannten Proterozoikums vor knapp einer Milliarde bis 500 Millionen von Jahren, bis heute statt.

 

In dieser für uns schier unermesslichen Zeit hat sich auch, wie wir wissen, die Erde selbst gewandelt. Riesige Landmassen und Urozeane drifteten auf dem Magma der Erdrinde auseinander. Kontinente bildeten sich, verschmolzen erneut und trennten sich wieder. Meere entstanden und verschwanden, hinterließen Sedimentschichten auf ihren Böden. Übereinanderschiebungen von Kontinentalschollen führten zu Falten in der Erdkruste, die die Gebirge der Erdoberfläche wurden. Durch Erosion wurden sie wieder abgetragen; und sie entstanden neu.

 

Klimazonen mit ihrer typischen Flora und Fauna, mit Kälte an den Polen, kamen durch die Stellung der Erdachse zur Sonne zustande. Warm- und Eiszeiten wechselten, soviel wir wissen in der jüngeren Erdgeschichte, einander ab. All diese Vorgänge sind noch heute im Gange, auch wenn wir sie kaum bemerken. Und das Leben muss unter diesen Bedingungen weiter bestehen.

 

Aber die stets sich ändernden Bedingungen – gebrauchen wir einmal den modernen Begriff Umwelt – formten, veränderten das Leben nicht, passten es sich nicht an. Auch hatte umgekehrt das Leben keinerlei Einfluss auf sie, wie wir heute, bei dem Gedanken an Ozonloch und Treibhausgase annehmen müssen.

 

Ein Überleben, im wahren Sinn des Wortes, eine weitere Entwicklung des Lebens, eben die Evolution, war nur möglich dadurch, dass es in der DNA, in den Genen ständig zu Mutationen, spontanen Veränderungen kam. Die Einwirkung von Strahlen auf das genetische Material, soll hier bewusst ausgeklammert werden. Die spontanen Mutationen betrafen aber nie das gesamte Genmaterial, sondern allenfalls einzelne Gene oder Gensequenzen. Das Gros der Gene wurde sicher unverändert weitergegeben, also vererbt. Aber die scheinbar nur wenigen Mutationen, konnten durchaus zu sichtbaren Veränderungen in der Erscheinungsform führen. Wenn letztere zu einem Überlebensvorteil führte, garantierte sie eben ein Fortbestehen der Art unter den gegenüber früher geänderten Bedingungen.

 

Ich will ein fiktives, wahrscheinlich unwirkliches Beispiel anführen: Wenn durch eine Mutation ein Löwe mit einem größeren Maul entstanden wäre, er und seine Nachkommen mehr Beute machen konnten, die „Kleinmäuler“, allerdings im Laufe von Hunderttausenden von Jahren dann hungern, weniger Nachkommen ernähren konnten und schließlich ausstarben – wäre durch die Evolution eine neue Unterart entstanden. Löwen sind die „neuen“ Tiere immer noch. Man würde dann sagen: Früher, in der Urzeit, gab es auch Löwen mit kleinerem Maul.

 

Aber wieso gibt es Millionen Arten und Unterarten von ausgestorbenen und heute noch lebenden Pflanzen und Tieren? Alles nur dadurch, dass eine DNA sich immer ein klein wenig veränderte, von der in der Blaualge bis zu der im heutigen Genie? Und mag dies im Prinzip zutreffen, so ist es doch nicht so einfach, so grad mal hin zu erklären. Jedoch, wenn ich im Folgenden, für mich sehr mühsam, Erklärungen zusammenfügen muss, so ist doch eines sicher, dass keine Fiktion, keine passende Annahme, kein Axiom, „dass wenn, dann“, Grundlage der Erörterung ist. Es sind auch nicht meine Erkenntnisse mit denen ich die Welt überraschen will, sondern, es sind die Ergebnisse, die in vielen Forscherleben auch mühsam erarbeitet wurden. Sie sind alle -  und das ist zu betonen -, reproduzierbar, nachprüfbar und nicht erfunden. Dass es selbst hier noch Wissenslücken gibt, bedeutet nicht, dass ein Geheimnis, das ein Idiot im Talar lüften kann, vorliegt. Nochnichtwissen, auch Nichtwissen bestimmter Phänomene, ist Teil echter Wissenschaft.

 

Natürlich kann ich, anknüpfend an die letzten Sätze, nicht eine Art Lehrbuchartikel oder eine wissenschaftliche Abhandlung bringen. Einmal, weil ich das nicht kann, zum andern, weil es unnötig, weil längst vorhanden ist und ich nur eine allgemein verständliche Erklärung zum Verstehen des Späteren liefern will.

 

Also zur Vielfalt der Arten und zur DNA. Schon in der einfachsten (nicht primitivsten) Zelle gibt es „Werkzeuge“, Enzyme, bestimmte Aminosäuren, die die DNA in der Zelle, bei spontanen Mutationen in den Genen, die sehr häufig sind, wieder „reparieren“, auf den Ausgangszustand bringen. Diese Vorgänge nennt man Repair-Mechanismen. Auch können DNA-Stränge durch „Enzymscheren“ abgeschnitten und an anderer Stelle wieder zusammengefügt werden. Enzyme, die dies können, nennt man Polymerasen. Von der Polymerase-Kettenreaktion, die auch in der Kriminologie angewendet wird, um aus Spuren von organischem Material untersuchbare Eiweißmengen zu gewinnen, habe die meisten Krimi-Leser schon gehört. Die DNA in Zellen ist so im Laufe der Zeit, selbst wenn die einfachsten Formen aus Millionen von Aminosäuresequenzen bestanden, größer, länger geworden.

 

Nun wird die DNA im Zellkern der Zellen, die einen solchen haben, in den Chromosomen sozusagen abgelagert. Bei der geschlechtlichen Vermehrung (hier habe ich wieder einen zeitlichen und sachlichen  Sprung gemacht) wird, wie wir wissen Chromosomenmaterial aus Ei- und Samenzellen wieder vereinigt. Jedoch ist hier eines Voraussetzung: Die Chromosomen müssen passen. Wenn nämlich durch spontane Mutation von Zellen, ohne dass Repair-Mechanismen dies beheben konnten, längere, anders zusammengesetzte DNA-Stränge entstanden und diese nicht nur auf andere Chromosomen verteilt wurden sondern sich die Chromosomenzahl änderte, ist eine neue Zellart entstanden. Zellart deshalb, weil eine solche Zelle – nehmen wir an mit vier Chromosomen – sich nicht mit einer Zelle mit fünf wieder vereinigen kann.

 

Diese neue Zellart kann sich durchaus mit einer gleichartigen, auch aus einer Mutation hervorgegangenen, vereinen und so zum Ausgangspunkt einer neuen, anderen Art werden. Dies ist nicht unwahrscheinlich bei niederen Lebewesen, etwa Bakterien, die in Milliardenpopulationen einen Vermehrungszyklus im Minutentakt haben. Bei höheren Wesen dauert es, bis eine neue Art entsteht oft hunderttausende von Jahren.

 

Noch zwei Anmerkungen zu den Chromosomen: Einmal, die Anzahl der Chromosomen, in die die DNA „verpackt“ ist, sagt nichts aus über die Entwicklungsstufe im Laufe der Evolution. So haben Ameise, Gorilla, Schimpanse, Tabak und Kartoffel jeweils die gleiche Chromosomenanzahl von 48. Die Fruchtfliege Drosophila melanogaster hat 8, ein Einsiedlerkrebs 254 und Farne haben oft über 600 Chromosomen. Der Mensch hat 46 Chromosomen.

 

Zum andern: Natürlich ist nicht die Anzahl sondern Art und „Inhalt“ an DNA im Chromosom von Bedeutung. Wir brauchen also nicht darüber zu spekulieren, warum man einen Schimpansen nicht mit einer Kartoffel kreuzen kann.

 

Und noch etwas, was für den Menschen von Bedeutung ist: Bei der Reifeteilung (Ei- und Samenzellen werden gebildet) kann es vorkommen, dass sich die Chromosomen nicht genau teilen oder geteilt haben. So kann z. B. das Chromosom 21 anstatt sich zu teilen und jeweils einfach in die Eizelle zu gelangen, doppelt in diese gelangen, weil es sich eben nicht geteilt hat. Bei der Vereinigung mit der Samenzelle, die auch ein Chromosom 21 mitbringt, sind dann in der befruchteten Eizelle aus der der Embryo wird, drei Chromosomen 21 vorhanden. Dies ist eine Trisomie (21), die als Down-Syndrom oder Mongolismus bekannt ist. Das heißt aus menschlichen Embryonen mit der Trisomie 21 entstehen mongoloide Kinder. Es gibt noch mehr solcher Krankheiten, die durch Genmutationen bedingt sind, was wir aber nicht weiter besprechen müssen, weil es nur um ein erklärendes Beispiel ging.

 

Wir können jetzt, ohne noch einmal alles erneut aufzurollen, wieder eine Zwischenbilanz ziehen: Aus einer Ur-DNA, einer Urzelle, entstanden Pflanzen und Millionen von Pflanzenarten. Wie und unter welchen Bedingungen, lässt sich in jedem seriösen, wissenschaftlichen Biologie- oder Botanikwerk nachlesen. Im Prinzip wird es keine diesem Abriss widersprechende Erklärung geben. Das gleiche gilt für die Tierwelt. Auch hier entstanden und entstehen Arten und starben aus. Dies alles geschah in, sagen wir, etwas mehr als einer halben Milliarde von Jahren. Heute ist für uns, und nur für uns, ein gewisser Endpunkt erreicht, vor allem weil wir in einem ganz, ganz winzige Zeitraum der Erdgeschichte leben und in ihm einigermaßen vorstellbar denken können. Und noch ein weiteres muss betont werden: Durch all die Erkenntnisse und Ergebnisse der biologischen und geologischen Forschung, die den gewaltigen Zeitraum ab dem Urknall umfassen, die uns Milliarden von Molekülen mit ebensolchen Milliarden von Kombinations- und Entwicklungsmöglichkeit bringen, sind die Naturkräfte mit ihren Wechselwirkungen keinesfalls unwichtig, abgelöst oder gar ungültig. Ohne sie wäre die Evolution nicht gewesen.

 

Doch ich will, weil es mir für das Folgende wichtig erscheint, zu den scheinbar vorletzten und letzten Gliedern der Evolution kommen. Als Charles Darwin Mitte des 19. Jahrhunderts sein Werk „Über die Entstehung der Arten“, und vor allem 1871 sein Buch „The Descent of Man, and Selection in Relation to Sexveröffentlichte, wurde er mehr als heftig von allen Seiten, der Theologie und der damaligen Naturwissenschaft angegriffen. Beide sind und waren zwar keine Wissenschaften, aber sie behaupteten für sich das wahre Weltbild, oder die Wahrheit schlechthin, als ihr Eigentum zu besitzen. Es waren ja auch die Naturwissenschaften in Anhänger und Verdammer der Darwinschen Theorie gespalten. Es ging aber nicht darum, ob Darwins Ansicht über die Schnäbel der Galapagosfinken oder der Schildkröten zutrifft, sondern einzig und allein darum, ob der Mensch vom Affen abstammt. Darwin wies aber auf die Verwandtschaft des Menschen mit den Affen, mit dem er gemeinsame Vorfahren teilt, hin. Huxley und Haeckel hatte diese Ansicht bereits vorher öffentlich vertreten. Letzterer wurde dann zu einem Rassepropagandisten. Nur, Darwin hatte für seine Annahme Gründe, die man durchaus als wissenschaftlich bezeichnen muss. Auch habe sich der Mensch zuerst in Afrika entwickelt, nahm er an, was sich heute als richtig erwies. Darwin führte auch die geistigen Eigenschaften des Menschen auf evolutionäre Vorgänge zurück.

 

Das alles konnte, durfte nicht sein. Nur, zur Beruhigung frommer und verdummter Massen, die heute noch schreien, nicht vom Affen abzustammen sondern als Individuen geschaffene Menschen zu sein, sei darauf hingewiesen, dass in der Wissenschaft dies niemand annimmt. Es ist ja auch, wie wir wissen, eine direkte Nachkommenschaft des Menschen aus dem Affen nicht möglich, schon wegen der unterschiedlichen Zahl der Chromosomen, 48 und 46, in den Eizellen. Zwei solche Individuen, Affe und Mensch, können und konnten sich nicht vermehren. Eigentlich schade, denn die wunderbare Geschichte von dem Menschenaffen und einer Bayrischen Prinzessin, als deren Ergebnis ein hoher Bayerischer Regierungsbeamter entstand, ist leider nur eine Fiktion, die Herbert Rosendorfer in seiner „Deutschen Suite“ schildert.

 

Doch zurück zu unserem Urahn, dem Affen, dem Menschenaffen. Was wäre so schlimm, so moralisch verwerflich, wenn es so wäre? Als vor Millionen Jahren im Laufe der Evolution, eben durch Genmutationen, allmählich, keineswegs in einem Sprung, sich aus Reptilien schließlich flugfähige Wesen, letztlich die Vögel entwickelten, haben, hier muss ich sagen wahrscheinlich, letztere nicht aufgeschrieen, dass sie nicht von Schlangen oder solchem Zeug abstammen wollten.

 

Aber der Mensch, der Mensch, die Krone der Schöpfung! Das ist doch etwas ganz anderes. Wirklich? Sehen wir uns einen Menschenaffen, einen Orang Utan, einen Gorilla oder einen Schimpansen einmal näher an. Ist er nicht dem Menschen äußerlich ähnlich? Gibt es nicht Schwarzafrikaner, die einen gorillaähnlichen Gesichtsausdruck haben? Hat der Orang Utan nicht ein entfernt „asiatisches“ Aussehen? Ich will damit keineswegs rassistische Vergleiche ziehen, auch nicht versteckte, wie „die Asiaten stammen von Orang Utan, die Neger vom Gorilla und die Europäer oder Kaukasier vom Schimpansen. Welcher ist der „höherwertige“ Affe, welcher der höherwertige Mensch? Aber konnten nicht Veränderungen in bestimmten Allelen der Gene ein besseres Überleben der Nachkommen in einer bestimmten Umgebung ermöglichen? Man kann nur retrograd, also rückblickend überlegen, ob die Umweltbedingungen, die für alle Arten in dem Gebiet gleich waren, bei Mensch und Tier, Arten mit angepassten, schützenden Mutationen, vor starker Sonneneinstrahlung etwa, besser überleben ließen. Wir werden noch mal darauf zu sprechen kommen.

 

Doch der Menschenaffe ist kein Mensch. Ist ja lächerlich. Er kann nicht lesen, nicht schreiben, nicht rechnen, nicht sprechen und Werkzeuge kann er kaum herstellen und gebrauchen? Wirklich? Bei letzterem, den Werkzeugen, könnten wir schon unsicher werden. Mit einem Holzstäbchen können Ameisen und Termiten aus dem Bau gestochert und dann gefressen werden. Mit einem Schraubenschlüssel schrauben Orangs, wenn der Wärter weg ist, Muttern auf, gebrauchen dieses Werkzeug also richtig. Und wie ist das mit lesen, schreiben und sprechen? Nun, das meiste wissen oder verstehen wir nicht. Sicher genügen die Urlaute und Gesten den Affen untereinander zur Kommunikation, zum Beispiel zur Absprache etwa, mit Holzknüppeln bewaffnet, gemeinsam, einen Leoparden anzugreifen und ihn zu verjagen. Können, in einem Affenhaus gehaltene Schimpansen auf einem Papier mit Kreide wilde Kreise malen, so wie man es ihnen vorgemacht hat? Aber können sie das später lesen? Könnten sie eine Schrift lesen? Keinesfalls. Der Mensch kann das; zumindest besser, selbst wenn er Legastheniker ist. Müssen diese Affen, wie die meisten Säugetiere, wie auch der Mensch, nicht ihren Nachwuchs sorgsam aufziehen, weil er sonst überhaupt nicht lebensfähig wäre?

 

Aber warum das ganze Gerede um die Affen? Will der (ich) die Affen menschengleich machen und wozu?

 

Die Erklärung ist einfach. Ich will nur darauf Bezug nehmen, dass „alle Kreatur“ durch die Evolution, durch das Entstehen neuer, anderer, zusätzlicher und veränderter Gene, eine stetige Entwicklung durchmachte. Und diese Gene kamen, wie es der Evolution entspricht, nach und nach zum Zug. Dass sich Organe, von Fortpflanzungsorganen bis zu einem Nervensystem oder einem Gehirn, bilden konnten, diese ihre Funktion im Dienste eines Gesamtorganismus erfüllten, ist in den Genen (ob über eine Messenger-RNS oder einen anderen Weg, den sie „kodieren“) festgelegt und wird vererbt. Die Vererbung garantiert, dass zumindest der jeweilige Status der Evolution wieder erreicht wird. Das heißt: Alle bis dahin entstandenen Gene und ihre Eigenschaften sind im Individuum reproduzierbar vorhanden. Sie bilden sozusagen eine Basis auf der, durch Gen-Mutationen andere, eventuell durchsetzungsfähige Eigenschaften entstehen und weiter vererbt werden können. Das ist keine Werteskala, denn eine solche wäre willkürlich, menschlich.

 

Im gewissen Sinne einen Beweis, dass dies so ist, liefert die Ontogenese, das ist die Reifung eines Individuums von der Eizelle bis zur endgültigen Gestalt, während der die gesamte Phylogenese, das sind die Organbildungen der Evolution, geradezu durchlaufen werden. Also eine Eizelle teilt sich, diese Zellen teilen sich wieder, bilden einen Mehrzellhaufen, aus dem sich Organe bilden, vorübergehend auch solche, etwa Kiemen der Fische, die im Gesamtorganismus später gar nicht mehr nachweisbar sind. Auch werden Organe zunächst zweigeschlechtlich angelegt, wie die Geschlechtsorgane, die sich erst in einem späteren Reifestadium eines Embryos differenzieren.

 

Ein Beispiel: In meiner klinischen, ärztlichen Tätigkeit bekam ich einen gesunden, das heißt beschwerdefreien Mann zugewiesen, der an der linken Halsseite eine gut faustgroße, prallelastische Geschwulst hatte. Diese flüssigkeitsgefüllte Geschwulst erwies sich durch den Nachweis von embryonalem Kiemengangsgewebe als Kiemengangszyste, also ein Relikt aus der Evolution, eben als die Kiemen das Überleben der Art ermöglichten. Dass solche Relikte die ursprüngliche Anlage zeigen, von der weiteren Evolution sozusagen überholt werden, und dann doch, durch welchen genetischen Mechanismus auch immer, plötzlich einen weiteren Reifungsgrad erreichen, ist ein seltenes aber keineswegs unerklärliches Phänomen.

 

Gelegentlich kann man dies sehen, wenn wahrscheinlich ein Gen oder Gene nicht von „on auf off“ geschaltet wurden. So werden im Laufe des Lebens Gene und damit Eigenschaften, etwa Krankheiten, aktiviert, von off auf on geschaltet und bleiben klinisch sichtbar oder deaktiviert, das heißt, der Schutz vor ihnen wird aufgehoben, also von on oder off geschaltet. Dies ist häufig bei Stoffwechselerkrankungen so, die nicht mit der Geburt sondern erst im Laufe des Lebens, oft erst im Alter, auftreten.

 

 

Der Mensch

 

Was und wer sind wir?

 

Ich werde auch im Laufe des nun folgenden großen Schritts in dieser Abhandlung noch häufig auf die Genetik, die DNA, auf Eigenschaften der Arten und diese selbst zurückkommen. Doch muss ich mich dem übergeordneten Thema „was und wer sind wir“ zuwenden. Nun sind wir also beim Menschen, der Krone der Schöpfung, angelangt. Wer aber hat geschöpft? Gott? Zum ersten Mal wird hier der Begriff Gott genannt. Die Fiktion Gott, die menschlichste aller Schöpfungen und die misslungenste, bedürfte eigentlich keiner weiteren Mühe der Erörterung. Wohl aber im Interesse aller Kreatur, die unseren Planeten bewohnt hat und bewohnen wird, die von den Verwaltern des einzigen Nichts, das nicht wirklich existiert, geschützt werden muss, muss ich weiter schreiben.

 

 

Wenn man heute annimmt, dass die Menschwerdung etwa vor 8.5 Millionen Jahren vor unserer heutigen Zeit stattfand, so heißt das nicht, dass es seitdem Menschen gibt. Und, damit wir nicht ganz vom Affen loskommen, kann man diesen Zeitpunkt – besser Zeitraum, denn es war kein Geschehen von einem Tag zum andern – als den bezeichnen, zu dem sich eine neue Art von der der Schimpansen in Ostafrika abtrennte. Wir wissen, das Mutationen in der DNA, dem Erbgut einer Art, dazu führen können. Das heißt aber nicht, dass damit die Schimpansen ausstarben und die neue Art ihr genetisches Fortbestehen sicherte. Es ist durchaus möglich, wie es wahrscheinlich war, dass zwei Arten nebeneinander leben. Die Schimpansen leben heute noch, wie wir sehen. Und ob es tatsächlich die Schimpansen waren und nicht diese ebenso wie der Mensch letztlich auf einen der Dryopithecinen, der vor 20 Millionen Jahren lebte und auf allen Vieren ging, zurückzuführen sind, wissen wir  nicht.

 

Auch ob das Nebeneinanderleben in Ost- oder Südafrika war, ist einmal von geografischen Definitionen und weiter von den Fundstellen der Relikte der ersten Arten von Hominiden also menschenähnlichen Wesen und den Affen, abhängig. Wir können heute annehmen, dass „die Wiege des Menschen“, die wohl alles andere als eine solche war, in Afrika stand.

 

Zunächst war wohl ein Australopithecus ein gewisser Urstammvater, aus dem vor drei bis vier Millionen von Jahren weitere, wie der Australopithecus afarensis (benannt nach der Afar Region in Äthiopien) und aus diesem Homo habilis (geschickt) und Homo erectus (aufrecht) hervor gingen. Von letzterem sollen sich wieder Homo sapiens neanderthalensis und Homo sapiens sapiens (weise) getrennt und eigen entwickelt haben. Zumindest die letzten beiden Arten sind vor etwa 50 bis 70 000 Jahren aus Afrika ausgewandert und haben sich über die damals bewohnbare Erde ausgebreitet. Dieses „out of Africa“, scheint zuzutreffen, auch wenn angenommen wurde, dass schon früher eine Auswanderung aus Afrika, vor Millionen von Jahren stattfand und sich unabhängig voneinander der Homo sapiens sapiens in verschiedenen Erdteilen entwickelte.

 

Was aber wissen wir von diesen Vor- oder Urmenschen? Von ihnen haben Paläoanthropologen, also Menschenkundler, die sich mit den Frühformen dieser Art speziell befassen, aus oft kleinen Knochenresten, nur wenigen gänzlich erhaltenen Knochen und, erst jüngeren Arten zuzuordnenden, Skelettteilen oder Skeletten, einen Stammbaum aufgrund bestimmter Merkmale errichtet. Sie gaben den Funden, die sie unterschiedlichen Arten oder Unterarten zuordneten, Namen, meist nach den Fundorten. Die Charakteristika, die sie einer zeitlich aufsteigenden Reihe zugrunde legten, waren vor allem die Art des Ganges und die Schädelgröße. So kam man vom gebeugt, oft die Hände zur Unterstützung der Fortbewegung benutzenden Australopithecus bis zum immer aufrechter gehenden Homo sapiens. Aus der Form der Handknochen zum Beispiel, die noch affenähnlich waren, an den Fingerrücken Belastungsspuren zeigten, konnten sie dies schließen.

 

Die Schädelgröße, die ebenfalls in aufsteigender Linie zunahm, wurde als Charakteristikum der zunehmenden Intelligenz dieser Vormenschen gedeutet. Aber hier zeigte sich, dass die Regel, die Masse macht’s, nicht ganz zutrifft. Oder doch? Wohl nahm die Schädelgröße vom Australopithecus afarensis über Homo habilis bis zum Home erectus zu, aber dann war das Schädelvolumen beim Neandertaler um etwa 200 ml größer als beim heutigen Menschen. Was soll man daraus schließen? Es könnte einmal sein, dass dieser Neandertaler, den es nicht nur im Neandertal bei Düsseldorf, dem Fundort seiner Überreste, sondern in ganz Eurasien gab, intelligenter war als der heutige Mensch. Man war ja und ist auch heute teilweise noch der Ansicht, dass sich dieser Neandertaler nicht nur parallel zum Homo sapiens sapiens, also uns, entwickelte, sondern sich mit unserer heutigen Art vermischte, paarte, genetisches Material austauschte. Hätten wir dann die Intelligenz von Neandertalern? Wahrscheinlich trifft letzteres nicht zu. Genanalysen am Y-Chromosom der früheren Homo erectus Arten, der Neandertaler gehört dazu, und der heutigen Menschen, die man erstaunlicher Weise noch zustande brachte, sprechen dagegen. Gänzlich ausschließen können sie eine Vermischung nicht.

 

Aber keineswegs kann man aufgrund der früheren „primitiveren“ Lebensweise des Neandertalers, den Schluss ziehen, er wäre uns „unterlegen“ gewesen. Die Art der damaligen Werkzeuge und ihres Gebrauchs sagen keinesfalls etwas über die spätere Entwicklung aus. Auch unsere direkten Vorfahren lebten als Nomaden unter primitiven Umständen und haben sich zu der, nach eigener Einschätzung vermeintlich „stolzen Spezies“ entwickelt. Dass die Entwicklung des Neandertalers offensichtlich abgebrochen wurde, sagt keineswegs, dass dies auf einer Unterlegenheit gegenüber der sich dann ausbreitenden Art Homo sapiens sapiens beruhte.

 

Natürlich war die Schädelgröße und damit die Größe des Gehirns bis in unsere allerjüngste Zeit ein Kriterium für die Intelligenz. Weibliche Menschen, also Frauen, haben im Mittel ein etwas kleineres Gehirn, folglich sind sie weniger intelligent. Ich möchte nicht fragen wie viel Menschen diesen idiotischen letzten Satz für wenigstens teilweise zutreffend halten. Einige Universitätsprofessoren, die dieser Meinung sind oder waren, kenne ich.

 

Sehen wir uns ein weiteres Kriterium für die Evolution des Menschen – hier ist der Begriff Evolution im Sinne einer kulturellen Entwicklung ohne Bezug zur Genetik gebraucht – den Gebrauch von Werkzeugen, einmal an. Es waren Steine und Knochen. Zunächst unbearbeitet, dann der Aufgabe entsprechend zugerichtet. Beides kannten die Menschenaffen auch. Selbst die Organisation der Jagd im Verband, ist den Affen bekannt. Auch eher künstliche Behausungen wie Blätterhäuser für die Nacht oder zum Schutz vor Regen beherrschen sie noch heute. Aber wir kommen um die Erkenntnis kaum herum, dass dies wohl keine lediglich erworbenen Eigenschaften sind, jetzt im Sinne der biologischen Evolution, sondern wohl schon anlagebedingte, genetische. Auch die in der Evolutionsreihe älteren Vögel beherrschen ja einen oft sehr komplizierten Nestbau.

 

Einen Überlebensvorteil gegenüber allen anderen Arten, die sich auf der Erde ausgebreitet hatten, erwarb sich der Mensch wahrscheinlich durch den Gebrauch des Feuers. Es kann als gesichert gelten, dass bereits der Homo erectus, also vor 400 00 bis 500 000 Jahren mit dem Feuer umzugehen wusste. In China und in der Bretagne fand man entsprechende Spuren. Bei dem Feuergebrauch handelt es sich wahrscheinlich nicht um eine vererbte, sondern um eine unter Lebenden weitergegebene Information.

 

Also ist der Homo sapiens sapiens, unser direkter Vorfahr, als er vor 70 000 bis 50 000 Jahren aus Afrika aufbrach, sich über die Erde ausbreitete und dabei sicher auf Vormenschen stieß, mit etwa dem Genpool, den wir heute haben, also den gleichen Chromosomen und Genen, und ein bisschen erworbener Information, ausgestattet gewesen.

 

Aus den Menschen der Urheimat Afrika leitet sich also die Herkunft aller heutigen Menschen ab. Und was dieser Mensch ist, was alle Menschen sind, ist, u. a. dadurch definiert, dass sie sich untereinander paaren, also vermehren können. Dies ungeachtet der so genannten Rassen, die letztlich nur durch Genvariationen, DNA – Veränderungen einzelner Allele, zustande kommen. Also Asiaten können sich mit Schwarzafrikanern, Europäern, Indios und australischen Ureinwohnern paaren und Nachkommen erzeugen.

 

Dass es verschiedene Verbreitungs- und Ausbreitungswege, keinesfalls, auch wenn dies oft behauptet wird, verschiedene Entwicklungen der Menschen gab, liegt an den geologischen und klimabedingten Gegebenheiten. Man muss bedenken, dass, setzt man das Erscheinen der ersten Hominiden, Menschenvorfahren, deren Stammbaum von dem der Affen verschieden war, mit etwa 8 Millionen von Jahren an, und dies ein kleiner Zeitraum in der Erdgeschichte ist, ist es doch ein riesiger in der Geschichte der Menschheit. Das Skelett eines Australopithecinen -„Weibchens“, das man Lucy nannte (die Geschichte der Namensgebung will ich nicht auch noch anführen) war etwa 3.18 Millionen Jahre alt, als man es fand. Zu dieser Zeit waren die Kontinente längst in ihrer heutigen Gestalt fest gefügt, auch wenn man die immer noch anhaltende Plattentektonik berücksichtig.

 

Es soll später noch darauf näher eingegangen werden, wie sich „Familien“ von Menschen von Afrika aus über Eurasien, ob über die Behringstraße oder über das Meer nach Amerika ausbreiteten, dass es genetische Differenzierungen gab, sonst wären die Nachkommen der Asiaten nicht „gelb“, die der Afrikaner nicht „schwarz“ – was nicht als Wertung in irgendeiner Art zu verstehen ist – wenn man über Kulturen sprechen muss. Die Besiedelung des australischen Kontinents, wird man gesondert besprechen müssen.

 

Zunächst aber ist festzuhalten, dass sich der Mensch, welcher Unterart oder Familie er auch angehörte, den Umweltbedingungen anpassen musste. Es gab Eiszeiten und Wärmeperioden in relativ raschem Wechsel, auch wenn es dabei „nur“ um Zehntausende von Jahren ging.

 

Ich muss hier einflechten, dass wir seit etwa 2.5 Millionen Jahren in einer Eiszeit leben. Auch wenn uns das etwas eigenartig vorkommt, soll darauf hingewiesen werden, dass es viel wärmere Perioden in der Erdgeschichte gab. Um nicht noch mehr in die Breite zu gehen, sei als Beispiel angeführt, dass heute schon jedes Kind bei uns von den „Dinos“ weiß, den Dinosauriern in der Jurazeit, die vor etwa 200 bis 145 Millionen Jahren lebten. Damals war eine Warmzeit, in der ein subtropisches bis tropisches Klima herrschte. Alle Eiszeiten aber, waren von meist kürzeren Wärmeperioden unterbrochen. Die letzte, „unsere Eiszeit“ (das Holozän) ist nur von einer seit 11 000 Jahren andauernden Wärmeperiode unterbrochen.

 

In den letzten Kalt- und Warmphasen musste der nun als Homo sapiens sapiens bezeichnete Vorfahr leben. Der Mensch passte sich an seine Umwelt aber nicht genetisch, sondern in der ihm durchaus möglichen Art an. Er wurde entweder Jäger und Sammler, bediente sich der Felle der Beutetiere als Kälteschutz, lebte in präformierten, schon bestehenden Höhlen oder Felsvorsprüngen (Abri) oder zog als nomadisierender Viehzüchter mit seinen Familienangehörigen über die Lande, oder er wurde schließlich zum sesshaften Ackerbauern.

 

Doch was wissen wir genauer aus der damaligen Zeit und aus welchen Quellen? Nun, da wird argumentiert, dass man aus Funden von Werkzeugen, aus Überresten von Beutetieren und aus Rudimenten wahrscheinlicher Lagerstätten, sich ein Bild der Menschen und ihrer Lebensart machen könnte. Und, weil man ja keine Metallgegenstände fand, wurde die Zeit seit jeher, seit es eine seriöse Geschichtsforschung gibt, als Steinzeit bezeichnet. Allerdings lässt man in den Unterteilungen der Steinzeit, die Altsteinzeit bereits 2.5 Millionen von Jahren, im Pleistozän, einem der Erdzeitalter, beginnen und etwa 8000 v. Chr. enden. Dass damit nicht nur der zeitlich größte Abschnitt der Menschheitsgeschichte festgelegt wird, sondern auch der Homo habilis und Homo erectus in diese einbezogen werden, scheint bemerkenswert. Denn diese Vorvorfahren, die wir mit dem Neandertaler gemeinsam haben, haben ja bereits selbstgefertigte Steinwerkzeuge wie Faustkeile gekannt. Ab etwa 600 000 v. Chr. wird von einer regelrechten Werkzeugkultur gesprochen.

 

Doch ab welcher Zeit kann man überhaupt von einer „Kultur in unserem Sinne“ reden? Vielleicht sollten wir eher vorsichtig sein, eine Kultur beginnen oder enden zu lassen, dies vor allem, weil wir nur aus Teilaspekten auf eine gesamte Lebensweise, also die Kultur schließen. Wir schließen aus dem, was uns erhalten und oft ohne Absicht hinterlassen wurde. Dies sind besonders die Gräber. Doch weil wir nur aus der Art der Totenbestattung, vor allem der Grabbeigaben rückschließen, meinen wir oft an einem ältesten Punkt angekommen zu sein.

 

Ob ein solcher „ältester Punkt“ ein Grab, 200 Kilometer östlich von Moskau ist, das erst bei Ausgrabungen 1955 entdeckt wurde, trifft nur so lange zu, bis ein noch älteres Grab gefunden wird. Das Bemerkenswerte aber, an diesem Grab eines älteren Mannes und zweier Kinder, das etwa 28 000 bis 30 000 Jahre alt ist, sind die Beigaben eines aufwendigen Schmucks und sind Reste von Bekleidung. Dies bedeutet, dass die Menschen, die in dieser Art ihre Toten bestatteten, doch einen hohen Stand an Kultur gehabt haben mussten. Dass zwei Kinder mit begraben wurden, lässt auf familiären Zusammenhalt schließen, der in späteren Kulturen, in Königsgräbern, zu prunkvoller Demonstration dynastischer Macht führte.

 

Noch mehr Information über unsere Vorfahren erhalten wir aus den Höhlenmalereien in Frankreich und Spanien sowie aus Borneo, wobei letztere „nur“ etwa 10 000 Jahre alt sind.

 

Die ältesten bisher gefundenen Malereien und Zeichnungen durch Menschen findet man in der Chauvet-Höhle in der Nähe von Vallon-Pont-d’Arc im Tal der Ardèche in Südfrankreich. Durch die Datierung mittels der Radiokarbonmethode (C14-Methode) wird ein Alter der Malereien zwischen 33 000 und 30 000 Jahren angenommen. Die Erklärung der Radiokarbonmethode muss ich darauf beschränken, dass man durch Messung der Radioaktivität eines Isotops des Kohlenstoffatoms, die eine Halbwertszeit (um die Hälfte abnimmt) von 5730 Jahren hat, auf das Alter des Kohlenstoffs in einer Substanz, insbesondere einer organischen, schließen kann.

 

Warum ich überhaupt auf die Altersbestimmung einging, hat seine Grund darin, dass man die Malereien der Chauvet-Höhle für Fälschungen aus jüngster Zeit hielt, was wirklich auszuschließen ist. Die eiszeitlichen Menschen, die beim Malen auch ihre Fußspuren im Lehm hinterließen, schufen nicht nur Darstellungen von höchster Fertigkeit (den Begriff Qualität zu verwenden verbietet sich hier meines Erachtens) und Kunst, sondern geben uns darüber hinaus einen Einblick in ihre damalige Umwelt und ihr Leben.

 

In der Höhle, die im Dezember 1994 durch Jean-Marie Chauvet entdeckt wurde, findet man die Darstellung von Wollnashörnern, Wildpferden, Löwen, Mammuts und anderen Tieren, die offenbar damals, in der Eiszeit, lebten. Auch fand man viele Knochen, insbesondere von Bären, am Boden der Höhle.

 

Weitere Höhlen wie die von Altamira in Kantabrien, Spanien, 30 km westlich von Santander, enthalten steinzeitliche Höhlenmalerei, die man auch vom künstlerischen Standpunkt her, nur bestaunen kann. Die Altamirahöhle, 1868 entdeckt,  wurde wahrscheinlich von 16 000 v. Chr. bis zu ihrem Einsturz 11 000 v. Chr. also rund 5000 Jahre genutzt.

 

Die berühmte Höhle von Lascaux im Tal der Vézère, im französischen Département Dordogne, 1940 entdeckt, enthält Höhlenmalereien aus der Zeit zwischen 17 000 und 15 000 Jahren v. Chr. Man spricht von den mit ältesten bekannten darstellenden Kunstwerken der Geschichte der Menschen, was aber für die schon geschilderten Malereien ebenso zutrifft. Auch hier sind sehr realistische Bilder von größeren Tieren wie Wildrinder, Auerochse, Pferd und Hirsch dargestellt, die zu dieser Zeit gelebt haben. Auch Umrisse der menschlichen Hand findet man häufig, was nach meinem Ermessen eine bewusste Individualität bedeutet.

 

Wenn ich noch die Höhle von Rouffignac, im französischen Périgord, die als Höhle der hundert Mammuts bezeichnet wird anführe, - ich will nicht durch bloße Aufzählung ermüden -  dann liegt der Grund darin, dass sie bereits 1575 von François de Belleforrest in seiner „Cosmographie Universelle“ erwähnt wurde. Ob man die Kenntnis von dieser Höhle vergessen oder bewusst ignoriert hat; lässt sich heute nicht mehr sagen. Jedenfalls wurden die über 250 Höhlenmalereien erst 1956 neu beschrieben. Die Malereien findet man an der Decke eines verbreiterten Raumes, also müssen die damaligen Künstler Leitern oder Gerüste sowie künstliche Beleuchtung benutzt haben. Die Malereien und Gravuren im Stein sind über 13 000 Jahre alt. Hauptsächlich abgebildet sind Mammuts, Büffel, Nashörner und Steinböcke. Aus wahrscheinlich noch früherer Zeit stammen die Krallenspuren von Höhlenbären an den Felswänden.

 

Die schon erwähnten Höhlen auf Borneo enthalten über 1000 Malereien, die älter als 10 000 Jahre sind.

 

Doch warum wurden diese Höhlen und ihre Malereien überhaupt als bedeutend für die Menschheitsgeschichte aufgeführt? Man kann viele Schlüsse daraus ziehen und lernen, doch will ich mich hüten – falls es mir gelingt – schamanenhafte Interpretationen zu geben. Einmal zeigt sich also wie die Welt in einer Eiszeit, die wahrscheinlich eher eine Wärmeperiode war, rein biologisch aussah. Sie dürfte sich kaum von der heutigen unterschieden haben. Sie ist auf jeden Fall nicht mit einer jurassischen, saurierstampfenden Schachtelhalmwelt vor 250 Millionen Jahren oder der Welt des Karbons auch nur annähernd gleichzusetzen.

 

Man findet eine Säugetierwelt – erst in der Jungsteinzeit, als man schon nachträglich definierte Kulturepochen hat, gibt es meines Wissens Darstellungen von Reptilien, Fischen und Vögeln – die die heute existierende von subtropischen bis fast polaren Zonen umfasst. Aber, dass Löwen, Nashörner und Mammuts neben Rindern und Bären abgebildet sind, lässt darauf schließen, dass der Kontakt zwischen Mensch und Tieren, vielleicht nicht innig, doch, was etwa die Jagd und letztlich die Ernährung betrifft, sehr konkret war. Dass Tierarten wie das Mammut, sicher nicht plötzlich aber individuell, bei blitzartigen Kälteeinbrüchen, wie man von gut erhaltenen Überresten im Permafrost der Tundra weiß, ausgestorben sind, unterscheidet sich nicht von heutigen Gegebenheiten, die einfach den Lebensraum der Tiere beengen oder vernichten.

 

Sichere Darstellungen unserer Vorvorfahren, der Menschenaffen, findet man in den Höhlen in Frankreich oder Spanien nicht, was darauf schließen lässt, dass sich die Populationen der Menschen in Eurasien und Afrika eigenständig kulturell entwickelten. Es ist also nicht wahrscheinlich, dass der Mensch neben Affen gleichzeitig in Eurasien lebte. Felszeichnungen aus Namibia sind bekannt, die auf ein Alter von 25 000 Jahren geschätzt werden. Die meisten Felszeichnungen an wettergeschützten Wänden sind deutlich jünger, aber doch bis um 5000 Jahre alt.

 

Unsere vermeintliche Kenntnis über die Lebensweise unserer eiszeitlichen Vorfahren, leiten wir also von den Höhlenmalereien und Felszeichnungen ab. Es wird auch reichlich von mehr oder weniger kompetenten Fachleuten erst interpretiert, was die Abbildungen zeigen sollen. Vor allem darf ein Rind kein Rind als solches sein, sondern hat eine übergeordnete Bedeutung zu haben. Ich denke, dass man sich hier auf sehr unsicheres wenn auch übliches Terrain begibt. Nur zu oft sind die Schamanen, die man sehen soll, die Abbilder ihrer Interpreten. Viel eher sollte man meinem Erachten nach – wobei sich niemand meiner Meinung anzuschließen braucht – die zweifellos großartigen Kunstwerke als absolute Gegebenheiten nehmen. Sie sind dadurch nicht weniger wertvoll.

 

Es gibt nämlich, außer den reinen Naturwissenschaften keine einzige, die ohne Spekulationen, Axiomen und Dogmen auskommt. Und hier, bei den Höhlenmalereien beginnt die menschliche Eigenschaft nachprüfbares und reproduzierbares Wissen und ihm zugrunde liegende Fakten durch Intuition, Vermutungen und Autorität zu ersetzen. Dies bezieht sich keineswegs, nur um ein Beispiel anzuführen, allein auf den französischen Prähistoriker Émile Cartailhac, der die Malereien in der Höhle von Altamira als „vulgären Streich eines Schmierers“ bezeichnete, die er und seine Zeitgenossen nicht einmal ansehen wollten. Die Entdeckung musste 23 Jahre warten, bis man sie anerkannte. Cartailhac, der zum Sinnbild der archäologischen Ignoranz wurde, entschuldigte sich später in einem Aufsatz (Mea culpa d´un sceptique) bei dem Eigentümer der Höhle, Marquis de Sautuola, was man, weil in der Wissenschaft ziemlich unüblich, fast als Größe bezeichnen muss.

 

Aber was können wir, was ich nicht im Gegensatz zum eben Gesagten sehe, an Überlegungen zur damaligen Zeit aus den Höhlenmalereien ableiten? Doch einmal nur, dass sich das eigentliche Leben außerhalb der Höhlen abgespielt haben muss und dass wir darüber herzlich wenig wissen. Es ist ja gerade das Einzigartige an den Höhlenmalereien, dass sie gleichsam in einer Schutzatmosphäre, bei gleich bleibender Temperatur und Luftfeuchte, eben vor Verwitterung geschützt, überdauern konnten. Wie wichtig das ist, zeigte sich, als man einige Höhlen zur Besichtigung freigab, und allein durch die Kohlensäureabatmung der Besucher Farbänderungen, Abblassen, also Verwitterung einsetzte, so dass man die Höhlen für den allgemeinen Besuch wieder schließen musste.

 

Doch alles, was an Leben unserer Vorfahren über der Erde, in Auen und Wäldern stattfand, ist ohne Spuren geblieben. Dies ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt in welch kurzer Zeit unbewohnte Häuser verfallen, Buschwerk und Wälder innerhalb eines Menschenlebens eine zuvor kultivierte Landschaft überwuchern können. Es gab in der Eiszeit mit Sicherheit Klimaschwankungen, die über unsere derzeitigen weit hinausgingen. Aber sollten deshalb die Menschen damals ausschließlich oder allenfalls nur nachts oder im Winter, in Höhlen oder unter Abris gelebt haben? Warum sollten sie keine Hütten oder Häuser über der Erde gebaut haben? Nur weil wir nichts mehr davon finden, ist dies nicht ausgeschlossen.

 

Gewiss gibt es am Mittelrhein, in der Nähe der Eifel, von Asche und Lava zugeschüttete so genannte Rastplätze von Menschen, die 15 000 bis 10 000 Jahre v. Chr. als die Eifelvulkane noch tätig waren, dort lebten. Ich will es nicht trivialisieren, aber aus den Überresten eines Campingplatzes wird man in 15 000 Jahren nicht die „Höhe“ unserer heutigen Kultur ablesen können.

 

Was wird man also in 200 Millionen Jahren von uns und unserer Kultur noch finden, außer vielleicht einigen Knochen in luftdicht verschlossenen, trockenen Gräbern, oder Massengräbern? Was werden die Nachkommen, die es wahrscheinlich gar nicht mehr gibt über uns und unsere Kultur sagen? Sie würden wohl das Gleiche sagen wie wir über die Zeit des Jura: „Sedimente von längst nicht mehr bestehenden Meeren, Spuren untergegangener Gebirge, Gesteine und Mineralien eigenartiger Zusammensetzung, sind das Interessante was wir von damals wissen. Wir können es genauestens untersuchen aber kaum deuten, nichts sicher wissen“.

 

Wahrscheinlich gibt es in 200 Millionen Jahren echte Versteinerungen von heute lebendem Getier, einschließlich uns Menschen und von Pflanzen, was sich eben von einem von 50 Millionen Jahre währenden Zeitraum erhalten konnte. Aber da ist ein Zeitraum von 50 000 Jahren an, seit unsere unmittelbaren Vorfahren Afrika verließen, nur 0.1 Prozent der 50 Millionen. Und wenn man dann wie wir heute in irgendeiner Formation des Jura, eine Schicht von 1 cm Dicke findet, die der Ablagerung von 50 000 Jahren im Meer entsprechen könnte, was wird man dann sagen? Vielleicht, dass wir mit Glück, eine Muschelart fanden und annehmen können, dass das Meer damals warm gewesen sein muss. Jedoch wie die Muschel und andere Tiere in diesen 50 000 Jahren lebten, kann man nicht sagen, nicht wissen.

 

Was wir aber nicht wissen, das darf es nicht geben. Oder doch? Wissen wir ob die Eiszeitmenschen nicht eine Sprache hatten oder gar eine Schrift? Ihr Gehirn war so ausgereift, besser von gleichem Aufbau wie unser heutiges. Ob es tatsächlich seit damals genetische Veränderungen gab, nur weil mit Wahrscheinlichkeit, nach den Knochenfunden, die Menschen etwas kleiner waren, ist zu bezweifeln. Es mag Schwankungen in der Körpergröße gegeben haben, denn eine kontinuierliche Entwicklung ist wenig wahrscheinlich. Wir haben ja auch in den letzten beiden Generationen in Europa einen Längenwachstumsschub erlebt (wahrscheinlich durch bessere Ernährung bedingt) von dem aus man nicht einfach zurück interpolieren kann. Das berühmte Beispiel: Wenn man die Größe der heutigen Menschen mit der im Mittelalter, nach deren Rüstungen zu schließen, vergleicht, müssten, rückgerechnet, die Soldaten Wilhelms des Eroberers im Jahr 1006 in der Schlacht bei Hastings etwa 20 bis 25 cm groß gewesen sein. Na, also, geht doch.

 

Und so wenig sich das Genom, unsere genetische Grundausstattung, von damals bis heute geändert hat, so wenig ist einmal eine geringere Intelligenz unserer Vorfahren anzunehmen. Anderes Aussehen, etwa wegen der Körpergröße oder eine etwas andere Hautfarbe, heben uns so wenig von ihnen ab, wie es Unterschiede in der Intelligenz zwischen Afrikanern und Europäern gibt. Natürlich wird man argumentieren, dass doch alle Erfindungen der Neuzeit aus Europa und allenfalls Amerika, wobei man schlauerweise ganz Asien ausklammert, stammen. Da vergisst man etwas Grundlegendes: Man muss den Menschen die Möglichkeit geben oder besser, sie ihnen nicht nehmen oder verweigern, sich Wissen, was nicht eo ipso Intelligenz ist, zu erwerben. Und so gut wie wir mit Asiaten und Afrikanern und diese untereinander gemeinsame Kinder zeugen können, so gut können wir uns vorstellen, uns auch mit den Eiszeitmenschen gepaart zu haben. Mal ein nettes Eiszeitmädchen oder einen knackigen Natureiszeitburschen? Wäre doch toll, was?

 

Wir sollten wieder einmal ein Fazit ziehen. Seit der Auswanderung eines Teil der Menschen vor 70 000 bis 50 000 Jahren aus Afrika und dessen Verbreitung über Eurasien und – bisher nicht besprochen – wahrscheinlich über Amerika, hat sich das Genom, die Erbmasse, der Bauplan dieser Menschen, nicht bedeutsam oder gar grundlegend geändert. Nach unseren Kenntnissen entsprachen die klimatischen Bedingungen damals einer Eiszeit mit Kälte und Wärmeperioden, - was für heute noch zutrifft. Über die Fauna und Flora wissen wir etwas aus Höhlenmalereien und paläontologischen Untersuchungen von Ausgrabungen. Was wir über die Lebensweise des Menschen seit diesem Exodus wissen ist wenig und stammt aus allerneuester Zeit.

 

Den Zeitraum dieser Betrachtung müssen wir etwas willkürlich um 10 000 v. Chr. enden lassen. Bis dahin lebten die Menschen wahrscheinlich unter primitiveren Verhältnissen als wir heute. Sie sollten jedoch nicht als primitiv angesehen werden, nur weil wir keine Kenntnis darüber hatten, was wir heute als Kultur bezeichnen. Genealogisch besteht sicher ein Kontinuum von damals bis heute. Genetisch bedingte Varianten des Menschen ändern nichts an seiner Zugehörigkeit zu einer Art. Und, so große Schritte wir bisher in der Entwicklung des Lebens, und daraus fortgeführt in der der Menschheit sahen, so klein werden sie jetzt in einer nachvollziehbaren Geschichte werden. – allerdings nur relativ gesehen zur Dauer der Erdzeitalter. Nachvollziehbar wird die Geschichte insofern, als immer mehr Funde ihrer jeweiligen Kultur zutage treten, die Vergleiche ermöglichen, was noch zu erklären ist.

 

Auch wenn wir heute, wie von Geologen erklärt wird, noch in einer Eiszeit leben, war doch, für uns noch einigermaßen begrifflich fassbar, die Eiszeit im historischen Sinn um 11 000 v. Chr. zu Ende. Es gab seit damals einen von Kälteperioden unterbrochenen, insgesamt starken Temperaturanstieg. Dass dieser weltweit gewesen sein muss, geht daraus hervor, dass sich nach Abtauen von Landeismassen und Gebirgsgletschern, der Meeresspiegel um bis zu 130 m gehoben hat. Es kam zu einem Vegetationswechsel. Tundren und Steppen wurden wieder bewaldet. Und, dass zwangsläufig der Mensch auf diesen Klimawechsel reagierte, Wanderungen mit Viehherden zunahmen, eine Änderung der Fauna auftrat und mit ihr sich die Jagdgewohnheiten ändern mussten, ja in der etwas späteren Jungsteinzeit ein Sesshaftwerden mit Ackerbau eintrat, ist ein nahezu logischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte.

 

Aber, zu der ständigen Enteisung der Landschaft kam etwas hinzu: Offensichtlich gab es auch tektonische Ereignisse, die Landschaft und Klima beeinflussten. Außer der kaum zurückliegenden Vulkantätigkeit kam es zu Hebungen und Senkungen der Erdoberfläche, oft in sehr umschriebenen Gebieten. Flussläufe änderten sich. Landmassen, wie Teile der heutigen Niederlande, wurden  überflutet oder zu Inseln. Die Nordsee und der Ärmelkanal entstanden in ihrer heutigen Ausdehnung endgültig erst um 6000 v. Chr. Die Anstiegsgeschwindigkeit des Meeresspiegel betrug in diesen Gebiet mehr als 200 m pro Jahrhundert.

 

Diese rasanten, freilich nicht an einem Menschenalter zu messenden geologischen Veränderungen, gingen auch mit kulturellen einher. Aber so unterschiedlich die regionalen geologischen Änderungen waren, so waren es auch die kulturellen. Wir wollen nun nicht die einzelnen Abschnitte der mittleren und jüngeren Steinzeit bei uns, etwa Linearband-, Strichband-, Schnurkeramiker usw. abhandeln. Doch in diesen Zeiten wurden, freilich neben steinzeitlichen Werkzeugen, um 7500 v. Chr. in Anatolien bereits Metalle gewonnen und verarbeitet. Eine Kupferzeit begann in Mitteleuropa um 4300 v. Chr. Der Gletschermann (die Bezeichnung Mumie ist mir zuwider) „Ötzi“, der etwa um 3300 v. Chr. lebte, trug bereits ein Kupferbeil mit sich, neben Steinzeitgerätschaft. Zu dieser Zeit hatten die Sumerer schon Städte, eine Schrift, Rollsiegel, eine Sprache. 2000 Jahre bevor in Mitteleuropa die frühe Bronzezeit (um 2300 v. Chr.) begann, entstanden die ersten Herrscherdynastien in Ägypten, sowie eine Schrift. Als die Spätbronzezeit, von der uns nur Waffen und sicher sehr künstlerische Gerätschaften wie Kratere und riesige Kessel erhalten sind, bei uns um 1000 v. Chr. zu Ende war, war in Ägypten das „Neue Reich“, in dem auch Ramses II herrschte, schon vorbei. Als bei uns um 750 v. Chr. die Eisenzeit begann, wurde Rom gegründet. Wir wissen aus den Gräberfunden von Hallstatt und denen aus der Latènezeit wohl einiges über die Lebensart der damaligen Menschen, aber nichts über ihre Sprache, über ihr Leben, soweit es nicht nur durch den Bergbau bestimmt war. In der gesamten antiken Welt, einschließlich Ägyptens und des Vorderen Orients, gab es längst außer Schrifttum und Geschichtsschreibung, eine hohe Dichtkunst.

 

Um 2000 v. Chr. herrschte in China eine „Xia-Dynastie“.

 

Doch wozu die ganze bisherige Aufzählung? Soll sie eine Wertung der Kulturen oder gar eine Abwertung der mittel- und nordeuropäischen sein? Keineswegs. Einmal ging es ja darum, dass die klimatischen und geologischen Gegebenheiten einen direkten Einfluss auf die Entwicklung von Kulturen haben können. Zum andern sagt das Fehlen von schriftlichen Zeugnissen nichts darüber aus ob es eine Sprache gab und welche. Es soll nicht darüber spekuliert werden, ob vielleicht nicht konservierbares Schreibmaterial verwendet wurde, weshalb wir nichts finden. Wir finden eben nichts, außer in römischen Quellen. Dass man sich in einem, wenn auch zunächst einzigen Mal, mit der Kolossalmacht Roms messen konnte, zeigt die Varusschlacht  im Jahr 9 n. Chr. Auch das wissen wir aus römischen Quellen, wie wir noch mehr über uns durch Caesars Bellum Gallicum und Tacitus’ De Germania wissen. Dass später die Germanischen Stämme oder Völker, dem Römerreich den Garaus machten, ist wieder eine andere Geschichte. Es wäre aber ein Unding die Menschheitsgeschichte nur am Schicksal Germaniens oder des Römerreiches zu sehen. Wir müssen, wenn wir mehr über unsere Geschichte, vielleicht auch über unsere Zukunft, wissen wollen, die gesamte Antike, das heißt die gesamte damals bekannte Welt, nicht nur Europa, in unsere Untersuchung einbeziehen.

 

Damit sind wir, die Menschen, in einer historischen Zeit angelangt, die nicht nur auf archäologischen Funden basiert. Wir müssen nicht mehr aus einem Knochen mit einem eingeritzten Rentier die Glaubenswelt nordischer Völker deuten oder mit viel Fantasie rekonstruieren, oder aus dem Zahn eines Opfertieres den Aufbau eines Tempels. Wir müssen nicht mehr vermuten sondern können nachlesen, wie die Völker lebten, was sie an Vorstellungen über ihr Dasein, über ihre Kultur hatten. Dass wir Handlungsweisen, ja Kultur, aus heutiger Sicht, mit unserem Wissen, unseren Vorstellungen, betrachten, ist verständlich. Noch vor zweihundert Jahren wäre uns dies nicht möglich gewesen. Erst die Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen und der assyrisch-babylonischen Keilschrift erlaubte uns etwas autochthon zur Kenntnis zu nehmen und nicht allein auf Herodot und die griechisch-römischen Schriftsteller zurückgreifen zu müssen.

 

Wir haben jetzt die Möglichkeit frühere Kulturen und die sie formenden Menschen, unter Zugrundelegung der damaligen Kenntnisse zu verstehen. Dass wir aber immer wieder auf unsere tierischen Vorfahren zurückkommen müssen, liegt daran, dass trotz Kultur und Entwicklung – was nicht Evolution heißt – die Naturgesetze immer noch und unverändert gelten.

 

Was soll das wieder heißen? Nun, es ist, seit wir von Kultur sprechen können, nichts eingetreten, was die Naturgesetze widerlegt oder auch nur fraglich gemacht hätte. Dass wir die Kenntnis dieser Naturgesetze haben, ist nicht einer Gabe oder gar Gnade „von oben“ zu verdanken, sondern beruht auf dem, was wir am besten als erworbenes Wissen bezeichnen. Es waren Entdeckungen, im wahren Sinne des Wortes, die in der neuesten Zeit der Menschheitsgeschichte, in der Einstein-Planck-Ära gemacht wurden. Aber sie wären ohne das Wissen der Planck-Einstein-Vorgänger, der Physiker, sogar aller Wissenschaftler vorher, selbst ohne das Wissen unserer menschlichen Vorfahren insgesamt, nicht möglich gewesen.

 

Allerdings hatten die früheren Generationen, seit der Zeit der Ägypter oder Sumerer, diese Kenntnisse nicht. Jedoch wurden auch Erkenntnisse, wie etwa die Keplerschen Gesetze, von beherrschenden Teilen der Menschheit nicht nur nicht wahrgenommen sondern negiert oder bewusst ignoriert. Diesen Herrschenden, nicht Einstein oder Planck und ihren wissenschaftlichen Vorgängern, ist der Vorwurf zu machen, die Menschheit erstmals in ihrer Geschichte dahin gebracht zu haben, ihren eigenen Lebensraum, die Erde zu vernichten.

 

Doch sehen wir uns die Geschichte seit sie fassbar ist an: Kriege, Unterwerfung, Vernichtung. Dieser Herrscher und jener Gott. Aber wie wird man Herrscher, wie wird man Gott?

 

Der erste Mensch, der sich zum Herrscher machte, war ein Schurke. Er war allerdings, und wenn er nur eine Frau beherrschte oder eine Frau ihn, ein Abhängiger seiner Gene. Er konnte nicht frei wählen wenn er einem Tier oder einem anderen Menschen begegnete, ob er freundlich und gesellig sein soll oder nicht, wenn er Hunger hatte. Das Tier, selbst der andere Mensch, sein Nahrungskonkurrent, wurden Beute und getötet. Freilich konnte er sich auch mit dem anderen Menschen arrangieren und mit ihm gemeinsam auf die Jagd gehen und Beute machen. Wahrscheinlich taten sich mehrere zusammen und einer, der Schurke und der Verschlagenste, vielleicht auch der körperlich Kräftigste, machte den Anführer, den, der die Strategie bestimmte.

 

Es ist nicht anzunehmen, dass die Zusammenrottung einzelner Individuen erst mühsam erlernt werden musste. Wer lehrt einem Rudel Wölfe unter Führung eines Leitwolfs, der auch eine Wölfin sein kann, ein Tier, einen Elch, den kein einzelner Wolf erbeuten könnte, zu jagen? Gibt es nicht eine Rangordnung, wer dann fressen darf? Und dann gibt es bei den Menschen Herrscher, Fürsten, Könige, hervorgegangen aus Kleinschurken, Anführern von Banden, die mit Mord, Brudermord, Bestechung, Gewalt, zu dem wurden was sie waren. Adel. In allen so genannten Kulturen! Gab es das schon bei den Tieren? Ach so, der König der Tiere, der Löwe. Die Jagd auf Beute obliegt stets den Löwinnen. Allerdings hat dann der Mähnenbewehrte das Recht als erster an der Beute zu fressen. Er frisst auch die männlichen Nachkommen auf, nicht alle vielleicht, wenn sie ihm in der Verbreitung seines Erbguts zu nahe kommen könnten.

 

Und was machen die Beutetiere? Ob man das Instinkt – was eine angeborene Handlungsweise, die kein Erlernen erfordert, ist – nennen soll, weiß ich nicht. Aber wenn man einen Sardinenschwarm, der von Raubfischen zur Beute ausgemacht wird, beobachtet, dann sieht man, dass in ihm die Sardinen in einem immer enger und dichter werdendem Knäuel kreisen und kreisen, und von immer in dieses Knäuel hineinstoßenden Räubern gefressen werden, bis die letzte Sardine verschwunden ist. Ist dies ein organisierter Opfertod oder hofft jede Sardine (ich weiß nicht ob Sardinen hoffen können) es möge erst die andere gefressen werden?

 

Nun, es gibt da die zweite, eher noch gefährlichere Art von Schurken, die Priester. Sie erklären, dass und warum andere sterben müssen, warum der Einzelne oder gar das Volk zum Opfer bestimmt sind. Aber wie wird man Priester, Schamane oder selbst Medium eines Schamanen? Genetisch unterscheiden sich Priester wohl kaum vom übrigen Volk. Sie können allenfalls, in der Variationsbreite der möglichen individuellen Intelligenz (später wird intensiv davon die Rede sein) einen winzigen Intelligenzvorsprung gehabt haben. Sie waren schlauer, gerissener als der Durchschnitt des Volkes. Sie konnten sich hinstellen und verkünden was sie in Gesichten, Träumen und direkten Eingebungen ihrer Götter gerade hatten. Keiner der Nichtpriester konnte ihnen beweisen, dass es nicht so sei. Und so gewannen die Priester Macht, die über die von Königen hinaus ging, weil sie nicht nur das jetzige Leben verwalteten, sondern auch das der schon Toten und der künftighin Toten.

 

Gut, dass die Handlungen und Verkündigungen der Schamanen und Priester, seit Ururzeiten, vielleicht seit fast zwei Millionen Jahren, auf bloßer Erfindung, nicht auf Wahrheit beruhten, konnte niemand widerlegen. Aber konnten die Priester selbst das Gegenteil, auch nur vor sich, nämlich, dass es einen Gott ihrer Darstellung und Verkündigung gab, beweisen?

 

Natürlich wird man jetzt überlegen sagen: In religiösen und in Glaubensdingen hat man nichts zu beweisen. Es ist bewiesen durch den Glauben. Stimmt. Dies ist die Idiotie, die das Ende der Menschheit bedeutet. Aber kommen wir zu dem Urschamanen zurück. Setzen wir ihn an ein Feuer und jetzt soll er darüber nachdenken und es sagen, wie er zu seinem Gott kommt. Dazu, und dies ist ganz wesentlich, braucht er nicht die Erkenntnisse, die der heutige Mensch durch die Wissenschaft hat. Der Urschamane kann nur sagen, es ist so weil ich es sage. Marduk war es, oder die große Weltschlange, oder die Sonne, die es mir sagten. Und der Schamane wird immer mehr und Genaueres wissen, was seinen Gott angeht, je länger er nachdenkt. Und, wenn er seine Gedanken darüber anderen sagt, die dieses dann als Wahrheit glauben, ohne nachzudenken, schließlich noch etwas dazu denken, haben wir eine Religion. Dann können auch, im Namen der Religion, Schweinereien wie Opfer, Mord, Verfolgung und Ächtung entstehen.

 

Wenn ich von Schweinereien rede, muss ich mich bei dem armen Tier, dem Schwein entschuldigen. Es ist genetisch, wie alle Säuger, nah mit dem Menschen verwandt. Sein Gewebe, etwa von Leber Herz, Nieren, ist unter dem Mikroskop dem des Menschen sehr ähnlich. Dass es ein Glied in unserer Nahrungskette ist, akzeptieren nur Juden und Muslime nicht. Ich will und muss aber den Begriff Schwein im Sinne eines Professor Galetti gebrauchen, der sagte: „Das Schwein verdient seinen Namen zu Recht, denn es ist in der Tat ein sehr unreinliches Tier“. Diese Aussage ist zwar falsch, aber ich will mit Schwein sagen, dass ich etwas Abscheuungswürdiges damit verbinde und den Begriff, auch bezogen auf Schamanen, Priester, Päpste und Herrscher jeder Art, wenn es nach ihren Taten zutrifft, anwenden werde.

 

 

Die Religionen

 

Nun, wir sind damit bei der Religion. Ich muss Singular, Religion, schreiben, weil ich, nach all den Gesagten, keinen Grund zur Differenzierung sehe. Es würde mir auch jeder Angehörige irgendeiner Religion zustimmen, wenn ich alle andern, außer der seinen, für falsch erklärte. Er wird dafür mehr als tausend Gründe haben. Die hat jeder. Es ist daher müßig, jede Religion auf ihr Besser oder Schlechter, auf ihre Glaubwürdigkeit oder gar Wahrheit hin, durchzudiskutieren. Wenn ich mich später trotzdem mit einzelnen Religionen befasse, liegt dies daran, dass diese oft die Kultur, die Lebensart und die Politik in Furcht erregender Weise prägen. Zu den Religionen muss ich auch Ideologien zählen, die eine Staatsform darstellen, die sich mit einem Absolutheitsanspruch dem Individuum gegenüber gebärden, wie politisch mächtige Religionen.

 

Natürlich wird man sagen: Wie kommt der (ich) dazu sich über die Religion auszulassen? Welches Recht dazu hat er? Kann jemand, der nicht glaubt überhaupt etwas von der Religion wissen. Haben wir dafür nicht Gelehrte, Religionswissenschaftler und die Wissenschaft der Theologie? Nun, letzteres ist keine Begründung sondern ein Irrtum. Etwas, was nur aus sich selbst zu erklären ist, aber nicht mit objektiven Methoden nachprüfbar und reproduzierbar ist, ist keine Wissenschaft. Man kann zwar alles eine Wissenschaft nennen, was sich nach selbst gegebenen und verfassten Gesetzen oder Schriften, die man als von Gott, Allah oder sonst wem eingegeben definiert, aber das ist es wohl auch.

 

Nun gut, wird man sagen, auch wenn es keinen Nachweis für die Richtigkeit des Inhalts einer Religion gibt, wenigstens nicht mit unseren physikalischen Mitteln und wenn man schon den Glauben nicht als Gottes- oder sonstigen Beweis anerkennen will, muss man deshalb jede Religion ablehnen oder gar verdammen? Der Mensch braucht eine Religion! Das hat zwar Tucholsky schon so geschrieben, aber ist es nicht richtig so? „Hat Gott oder haben die Götter – verdammt, jetzt sind es schon mehrere, was ja umso mehr Gewicht bedeutet – den Menschen nicht die Religion gegeben, um in Frieden leben zu können? Und wenn die Menschen bei diesem Schaffungs- nicht Schöpfungsprozess ein wenig mitgeholfen haben, was soll es? Die Menschen wollen Trost und Frieden.“

 

Wenn ich jede Religion, aber auch jede, für eine menschliche Erfindung halte, muss ich wohl auch einen menschlichen Irrtum korrigieren, nämlich den, dass es auch friedliche oder friedliebende Religionen gibt.

 

Selbst der Buddhismus, von dem allgemein angenommen wird, dass er friedlich und gewaltlos sei, hat sich durch Kriege, die oft weltliche Herrscher in seinem Namen führten, ausgebreitet. Dies war nach den Lehren des Buddhismus sogar legitim, da die Gewaltlosigkeit nur für den einzelnen Menschen nicht aber für Staaten und Völker gefordert wurde. Auch wenn Siddhartha Gautama, etwa um 563 v. Chr. geboren, gesagt haben soll weder ein Gott zu sein noch im Auftrag eines Gottes zu handeln, sondern seine Lehren nur durch eigene Meditation gefunden zu haben, wurde seine Lehre zur Religion mit Gesetzen und Strafen. Bald nach seinem Tod wurden Konzile einberufen, die die Reinheit und Gültigkeit der Lehre festlegten. Dann wurden von verschiedenen Gruppierungen, die sich gebildet hatten, Kriege gegen Häretiker bis zur Zerstörung ihrer Klöster und Kriege um Reliquien geführt. Im 9. Jahrhundert n. Chr. wurde die Tendai-Sekte in Japan wegen ihrer Glaubensabweichung mit Krieg überzogen Letztlich halten gewaltsame Auseinandersetzunge um die Rechtmäßigkeit der jeweils vertretenen Lehre unter einzelnen Gruppierungen des Buddhismus bis heute an. Und schließlich gab und gibt es die innere Bedrohung für den Menschen, durch Nichtbefolgung der Lehren, in den ewigen Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt kommen zu müssen.

 

Man wird über den Buddhismus, auch wenn er die viertgrößte Religionsgemeinschaft der Erde darstellt und hauptsächlich in Asien verbreitet ist, nicht weiter diskutieren müssen. Auf welche Weise auch immer die Welt geschaffen wurde und von wem, nach buddhistischer Überlieferung, ist irrelevant. Nach unserem heutigen Wissen um die Naturgesetze kann alles nur einem Mythos entsprechen. So ist der Buddhismus Religion, ob er sich auf einen personifizierten Gott zurückführt oder nicht. Auch die Masse an Menschen, die ihm anhängen, einschließlich der neuen, schwärmerischen „Erwachten“ in der westlichen Welt, kann nicht als Wahrheitsbeweis, in welchem Sinn auch immer, angesehen werden. Im Gegenteil: Keiner der heutigen Buddhisten, ob tibetischer Mönch und Lama, ob Zen Anhänger in Japan, wird der Meinung sein, dass man wegen neuer, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse eine Änderung im Glauben, der Lebensweise, der Sicht der Lehren der Weisen, vornehmen muss. Dass dies kein Anhänger einer Religion tut, ist eben der Beweis, dass es keinen gibt. Damit meine ich große Strömungen oder Varianten dieser Religion und letztlich aller, für die einzeln zutrifft, was man über den Buddhismus aussagen muss – Denen, die meinen: „Da muss doch etwas dran sein“, wünsche ich eine fröhliche  Wiedergeburt. Als was?

 

Wenn ich den Hinduismus noch vor Christentum und Islam anführen will, dann nicht, weil er noch mehr Anhänger hat als der Buddhismus. Mit diesem hat er vieles gemein, besonders die Lehre von der Wiedergeburt. Er grenzt sich aber vom Buddhismus selbst ab, obwohl in der Verfassung des heutigen Indiens unter Hinduismus auch weitere Religionen wie der Buddhismus, der Jainismus und der Sikhismus verstanden werden. Je nach Betrachtungsweise ist der Hinduismus eine alte Religion, wenn man von den um angeblich um 1500 v. Chr. entstandenen Veden,, heiligen Schriften, ausgeht oder eine neue, die im 19. Jahrhundert n. Chr. entstand. Die Datierungen sind hier so unsicher wie die Definition dieser Religion. Es gibt sehr viele Untergruppen im Hinduismus. Mehrheitlich polytheistischen , also vielen Göttern anhängenden, stehen einige monotheistische gegenüber. Allen gemeinsam ist ein Kastenwesen, das zwar von der Indischen Zentralregierung abgeschafft ist, dennoch aber stärksten Einfluss auf Lebensweise, Status in der Bevölkerung und im beruflichen Fortkommen hat. Im heutigen Staat Indien steht einer sehr kleinen, äußerst reichen Oberschicht eine ungeheuere, nach vielen Millionen zählende, äußerst arme Unterschicht gegenüber. Doch die Religion selbst, der Hinduismus generell, ist die Legitimation für diesen ungeheuerlichen Zustand: Man ist hineingeboren, dann ist es eben so. Nur für das Rindvieh ist es ist ein gewisses Glück, dass nahezu alle Gruppen der Hindus den Verzehr von Rindfleisch ablehnen. Ausgleichende Gerechtigkeit für die Ablehnung von Schweinefleisch im Islam?

 

Für den Hinduismus gilt, wie für die anderen Religionen auch, dass er menschlicher Fantasie entsprungen ist. Er ist politisch, kriegerisch, in erster Linie gegen andere Religionen, insbesondere gegen den Islam, der sich ja sehr frühzeitig vom Vorderen Orient aus über Indien ausgebreitet hat. Die Propagierung der Gewaltlosigkeit bei der Befreiung von der britischen Oberherrschaft auf diesem Subkontinent im vergangenen Jahrhundert, insbesondere durch Mahatma Gandhi, war weit eher eine politisch kluge Entscheidung als eine religiös motivierte Vorgehensweise.

 

Wenn ich China mit seinen Religionen, neben Buddhismus und Hinduismus gesondert erwähne, dann nicht wegen der Masse an Menschen, die dort, im Reich der Mitte, irgendeinem Glauben anhängen. Vielmehr ist es der Umstand, dass von den vielen Richtungen einer „Chinesischen Religion“ ein starker kultureller Einfluss auf die westliche Welt ausgeübt wird. Dabei geht heutzutage und seit Beginn des 20. Jahrhunderts der Einfluss nicht von China aus, sondern ist in der westlichen Welt selbst, in esoterisch-mystischen Kreisen, zu suchen, die ihre Lebensart, auch ihre Medizin, um nur ein Beispiel zu nennen, aus alten chinesischen Überlieferungen und Lehren herleiten.

 

Natürlich gab es schon frühere Kontakte seitens der westlichen Welt zu China. Abgesehen von den Berichten, die Marco Polo zugeschrieben werden, und die der Welt den ungeheuer wichtigen Streit, ob die Nudel in China oder in Italien erfunden wurde, bescherte, versuchten bereits Mitte des 17. Jahrhunderts Jesuiten ihren Glauben in China zu verbreiten. Der Erfolg war sehr mäßig.

 

Was China selbst betrifft beginnen die etwas sichereren Überlieferungen mit seinem Altertum, um 2000 v. Chr. Damals soll bereits eine Herrscherdynastie bestanden haben, was durch archäologische Befunde gestützt wird. Schriftliche Zeugnisse hat man davon nicht. Es muss aber ein organisiertes Gemeinwesen, welcher Ausdehnung und Macht auch immer, bereits gegeben haben. Dass damals auch eine Art Religion mit Priestern bestand, gilt als sicher. Schamanen, also Zauberpriester, pflegten den Ahnenkult und eine gewisse Naturverehrung.

 

Genaueres wissen wir seit schriftliche Überlieferungen ab spätestens 1500 v. Chr. dem Beginn der Shang-Dynastie, vorhanden sind. Um 500 v. Chr. entstand der Konfuzianismus, den man heute noch als bestimmend in der chinesischen Kultur sieht. Auch der Daoismus, von Laotse, gegründet, entstand damals. Er hatte vieles von den Lehren seiner Vorläufer übernommen wie Atemtechniken zur Erzielung von Langlebigkeit oder gar Unsterblichkeit. Der Buddhismus, der sich von Indien aus über China verbreitete, wurde weitgehend den herrschenden chinesischen Glaubensvorstellungen angepasst.

 

Einen Götterglauben gab es wohl schon zu Zeiten der Shang-Dynastie. Die Könige des damaligen Reiches hielten sich für die Vertreter eines Gottes auf Erden und hatten damit sowohl die größte weltliche als auch geistige Macht. Auch wenn sie, was sie ja in ihrer Familientradition sehen konnten, nicht unsterblich waren, so glaubten sie doch an ein Leben nach dem Tod. Dies zeigte sich in den Grabbeigaben, die unter vielem Gerät auch hunderte von Sklaven enthielten, die ganz offensichtlich lebendig begraben worden waren. Auch im Ägypten der damaligen Zeit, hat man ja ähnliche Gebräuche bei der Bestattung der Pharaonen gehabt, wenn auch in zahlenmäßig etwas kleinerem Maße.

 

Die Schamanen, die ursprünglichsten Priester der chinesischen Religionen, sind dies über alle Dynastien hinweg, bis heute geblieben. Ihr Metier waren Zukunftsvorhersagen mittels Astrologie, magischer Kulte, Dämonenaustreibung (Exorzismus) und medizinischer Rituale. Wenn man glaubt, dies könnte es auch in unserer westlichen Zivilisation geben, irrt man nicht. Es ist so.

 

Die Annahme, mit dem Einzug des Kommunismus anfangs des 20. Jahrhunderts sei in China eine neue, beherrschende Lehre entstanden, trifft allenfalls für einen sehr kurzen Zeitraum zu. Während der Kulturrevolution von 1966 bis 1976 wurde zwar auf Anweisung Mao tse Tungs (Mao Zedong nach derzeit vermutet richtiger Schreibweise) und der Partei eine radikale Abkehr von der traditionellen Kultur vollzogen, was mit ungeheueren Umerziehungsmaßnahmen und auch Toten einher ging. Aber schon unter dem Nachfolger Maos, Deng Xiao Ping erfolgte eine gewisse Liberalisierung, die zur vorsichtigen und teilweisen Rückkehr zu den alten Traditionen führte. Es kam zur Duldung letztlich aller Religionen in China, soweit diese nicht den Führungsanspruch, das Priorat der Partei, anzweifelten. Selbst katholische Bischöfe, wenn sie aus China waren und nicht vom Vatikan ernannt wurden, konnten unter den Bedingungen der Partei existieren.

 

Es wäre nun wieder müßig, eine Diskussion über Wahrheiten und Teilwahrheiten dieser Religionen in China sowie den anderen Ländern Ostasiens wie Japan, Korea, der Mongolei anzustellen. Natürlich sind sie untereinander in vielen Bräuchen, mystischen Grundlagen und geistigen, selbstverfassten Lehren verschieden, doch ist jede eine menschliche, mehr oder weniger alte Erfindung.

 

Wenn ich zu den so genannten monotheistischen Religionen komme, möchte ich daran erinnern, dass die Erde, dieser Planet, vor etwa viereinhalb Milliarden Jahren, mit dem Sonnensystem letztlich aus einer Gaswolke des Universums entstand. Es bildeten sich aus Elementen, die in Sternen erbrütet waren, anorganische und organische chemische Verbindungen und über die Verbindung, das Riesenmolekül DNA, Organismen, letztlich bis zur heutigen Pflanzen- und Tierwelt, ja bis zum Menschen.

 

Man muss dies nicht glauben. Es lässt sich nachvollziehen, nachrechnen und experimentell beweisen. Kein Gott ist dazu notwendig. Es gibt ihn nicht. Es gibt keinen Schöpfer.

 

Nun ist das wohl das Schwerste, was sich der Mensch vorstellen kann, vor allem, weil sich damit die bewusste Erschaffung seiner selbst und seiner Bedeutung in nichts auflöst. Nur Teil einer Evolution zu sein, wenn auch der, der erstmals im Stande ist die Erde, besser das Leben auf ihr, wieder zu vernichten, scheint unerträglich. Für die meisten Menschen zumindest trifft dies zu.

 

Der Mensch konstruiert sich daher ein Escapephänomen, das ihm, sobald er nur den Hauch geistiger Tätigkeit im kindlichen Gehirn spüren lässt, quasi „mit der Muttermilch“ eingeflößt wird. Es sind dies die Begriffe von Gott, von Glaube, Seele, Sünde und Vergebung, und, wenn es wenig ist, dann doch mindestens „das darf man nicht.“ Lauter Ungeheuerlichkeiten. Aber ich will, keineswegs sine ira et studio, zunächst historisch vorgehen.

 

„Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. So beginnt das Buch der Juden und ihrer Nachfolger, der Christen. Letztlich wieder deren Nachfolger, der Islam ließ die Welt auch in sechs Tagen von Gott, Allah, erschaffen. Dies ist keineswegs der älteste bekannte Schöpfungsmythos, wohl aber der am meisten verbreitete. Dass er nicht der älteste bekannte ist, ist zweitrangig, da sämtliche Mythen gleichwertig sind, eben Mythen.

 

Wie alt der biblische Schöpfungsmythos tatsächlich ist, lässt sich nach meinem Ermessen nicht sagen. Nur die genealogische Aufzählung im Neuen Testament, von Adam und Eva bis zu Christi Geburt ist kein auch nur ungefährer Zeitmaßstab. Auf dieser Grundlage hat schon im 19. Jahrhundert ein Pietist das Alter der Erde bestimmt, was man aber als verzeihliche Absurdität ansehen kann. Zeitlich sicher sind in der Bibel die historischen Daten, das Volk Israel betreffend, anzusehen, da es dazu außerbiblische Quellen zur Bestätigung gibt. Insbesondere die Geschichtsschreibung der Ägypter bestätigt Krieg mit den Israeliten, deren Gefangenschaft und Rückkehr „ins gelobte Land“. Auch die Babylonische Gefangenschaft lässt sich nachvollziehen. Die Könige David und Salomon, der Tempelbau in Jerusalem, die Beziehungen zur Königin von Saba, sind, wohl etwas mit Legenden durchwoben, historische Fakten. Naturkatastrophen wie die Ägyptischen Plagen, Dürren, ja letztlich die Sintflut, wurden entweder aus eigener Erfahrung oder aus einer Überlieferung auf unbekanntem Wege, als solche geschildert und sind wohl keine zurechtgezimmerte Erfindung.

 

Gerade letzteres aber, die Sintflut, dazu Naturkatastrophen und historische Ereignisse, sind Anlass für eine heutige, trotzige, so genannte Forschung, die sagt: „Und die Bibel hat doch Recht!“ Dabei würde es niemandem einfallen naturwissenschaftliche, geographische oder geologische Erkenntnisse oder Forschung in einen Gegensatz zu Aussagen der Bibel zu stellen, zumal sie nachvollzogen, ja bestätigt werden können. Selbst Mythen, wie eine dreitägige Verfinsterung der Sonne und der Riss des Vorhangs im Tempel von Jerusalem, beim Tod Christi, wird man als solche, Mythen, nehmen können uns muss nicht versuchen sie unbedingt wissenschaftlich zu erklären. Es nimmt auch niemand an, dass germanische Mythen, die Sonne werde im Winter von einem Untier verschluckt und komme erst im Frühjahr wieder, idiotisch und falsch seien, nur weil es vielleicht kein solches Untier gibt.

 

Nun wird aber heute, und man darf ruhig sagen von böswillig Unwissenden, der Schluss gezogen: Wenn die Bibel also doch Recht hat, was sich aus den Berichten über Sintflut usw. zeigt, dann ist auch alles andere richtig und wahr, nämlich die Schöpfung der Welt durch Gott, die religiösen Vorschriften, die Prophezeiungen im Alten Testament, ja schließlich die Religion der Juden und Christen bis heute.

 

Es wäre jedoch ein Aberwitz zu sagen: Weil wir aufgrund neuzeitlicher Forschung andere Erkenntnisse haben, können wir über die Überlieferung und die Vorstellungen der Alten nur lachen und sagen, verbrennt die Bibel und alles was mit Religion zu tun hat. Dann wären wir wieder Religion. Aber, und das kann keineswegs eine wohlwollende Gnade unsererseits sein, wenn wir den Alten – darunter verstehe ich alle Angehörigen der früheren, zum Teil auch der jetzigen Völker – wenigstens zugestehen, dass sie gar nicht anders handeln und glauben konnten. Dies ist den Jetzigen gegenüber, die sich dem traditionellen Glauben verpflichtet fühlen, kein Eingeständnis, kein „also doch“, im Sinne der Wahrheit des früheren Glaubens.

 

Natürlich haben ihre Priester, hat Moses, ihnen Gesetze gegeben, um das Volk zusammen zu halten, um es vor kulturellen, wirtschaftlichen, die Eigenständigkeit bedrohenden Einflüssen zu schützen. Und dies war kein Betrug am Volk, ob nun Moses im Dornbusch Gott geschaut hat oder nicht, ob dieser ihm die Gesetzestafeln mal so rüber geschoben hat oder nicht. Ob Moses, oder wer auch immer, die Zehn Gebote wohlüberlegt so formuliert oder in einem, vielleicht von ihm selber so empfundenen, Trancezustand gesagt bekam, ist irrelevant. Dass ein Gott, ob rauschebärtig oder als abstraktes Wesen zur Rechtfertigung und zur Verbindlichkeit der Gesetze herhalten musste, ist wohl zu ihrer Akzeptanz eine Notwendigkeit gewesen.

 

Und war die Religion des Volkes Israel nicht den gleichen Einflüssen von außen ausgesetzt wie die der Babylonier und Assyrer – auf Tontafeln in Keilschrift niedergeschrieben? Gab es nicht einen Tanz ums Goldene Kalb, keine Baalpriester? Aber darin wird der Urgrund jeder Religion sichtbar: Die Abgrenzung gegenüber Anderen, zur Erhaltung der eigenen Macht. Dies gilt für Priester und weltliche Herrscher. Denn, wenn es keine Abgrenzung gegen anders Denkende gäbe und man sagen könnte: „Ihr habt auch Recht“, wäre der eigene Rechtsanspruch, die Durchsetzung der eigenen Macht hinfällig. Wir werden später nochmals darauf zurück kommen müssen.

 

Auch der eigentliche Schöpfungsbericht in der Bibel, wonach Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen hat, ist für frühe Völker und Religionen – da diese Art des Schöpfungsberichts nicht auf die Bibel beschränkt ist – unter der Annahme eines Allmächtigen durchaus verständlich. Unsinnig sind selbstredend Rettungsversuche für den Wahrheitsgehalt des Schöpfungsberichts durch heutige Gläubige, unter dem Bibelhinweis, dass vor Gott tausend Jahre wie ein Tag seien. Und wären es Millionen Jahre für einen Tag, wäre es ebenso sinnlos. Und das meist gewundene Zugeständnis der Geistlichkeit, dass dies doch nur Metaphern zum Verständnis für das einfache Volk seien, ist argumentativ ebenso schwach wie die mit Absolutheitsanspruch vorgetragene These, dass Gott und alles was mit ihm zu tun hat, keines Beweises bedarf. Gewiss, nichts kann man nicht beweisen. Auch darauf werden wir später nochmals zurück kommen müssen.

 

Wenn ich nun sage, dass die Priester Israels und aller anderen Religionen alle ihre Handlungen, seien es Rituale oder gesprochene Anweisungen an das Volk, an die Laien – schon diese Bezeichnung und, was man darunter zu verstehen hat, Laie, entspricht einem überheblichen Abgrenzungsanspruch – nur zur Erhaltung ihrer Macht gebrauchten, dann gilt dies bereits für die ersten dieser Kaste. Einmal hätten auch sie bedenken können, was wäre, wenn sie das was sie sagen nicht glauben. Hätte sie Gott, welcher auch immer, bestraft? Nein, ganz gewiss nicht, so lange sie dies nicht anderen gesagt hätten. Dann erst nämlich hätte sie Gott, und wäre es durch die Hände anderer Menschen gewesen, bestraft.

 

Aber Priester aller Religionen, haben aus ihrem übergeordneten Werkzeug weitere, zur besseren Handhabung von Macht und Religion, erdacht. Dies sind die schon genannten Begriffe von Gott selbst natürlich, von Glaube, Seele, Sünde und Vergebung. Nun über einen Gott ist an dieser Stelle nicht zu diskutieren. Aber was ist der Glaube? Gibt es einen Glauben, wenn es den christlichen, den katholischen, den protestantischen – im Gegensatz zum vorigen -, den mosaischen, wie er im Pass eines Deutschen im Kaiserreich genannt wurde, einen buddhistischen, einen mohammedanischen? Und jeder richtig, oder der richtige?

 

Glaube ist nie etwas, was ein Mensch aus sich selbst und für sich selbst finden kann. Er muss immer einen Vergleich zu einem anderen Glauben haben und beschließen, dass dies aber für ihn nicht zutreffen kann. Also muss ihm ein Glaube erst gelehrt werden. Natürliche Furcht oder Angst hat daher mit Glaube nichts zu tun. Wenn sich ein Mensch, der ohne jeden Kontakt zur Zivilisation aufgewachsen ist – was es kaum gibt – vor dem Blitz oder dem Donner fürchtet, dann, weil er entweder damit eine schlechte Erfahrung gemacht hat oder dieses Phänomens nicht deuten kann. Erst wenn man ihm sagt, dass dies eine Bedeutung zu seinem Leben hat, was für keinen Blitz zutrifft, wird er das Phänomen mit einer höheren Macht, die ihn beherrscht, verbinden. Natürlich muss es irgendwann einen „Schlaumeier“ gegeben haben, der sich etwas ersann, was der Blitz sein könnte und wie er damit seinen Nachbarn etwas zügeln könnte. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts musste ich mit einigen Psychologen zusammenarbeiten. Einer davon brachte seine kleinen Kinder mit der Drohung das Gewitter zu holen, zum angstvollen Schreien und zum Kuschen.

 

Gewiss kann man jetzt sagen, dass dies primitiv sei, kindliche Angst, missbraucht durch einen nicht sehr klugen Psychologen, zum Beispiel für die Entstehung oder die Macht des Glaubens, anzuführen. Man wird gleich hunderte Zeugen, die im Glauben Trost fanden, die nur dadurch überleben oder ihren Tod ertragen konnten, anführen. Gemach, ich werde noch darauf zurück kommen. Aber, ist der Glaube, „der höher ist als alle unsere Vernunft“ nicht etwas, was eben der Vernunft und jeder naturwissenschaftlichen Erkenntnis zuwider läuft? Warum gibt es, in jeder Religion, ein Glaubensbekenntnis, das rituell hergesagt werden muss? Und heißt es nicht im christlichen Glaubensbekenntnis, im katholischen Credo, „geboren aus Maria der Jungfrau“? Das konnte man zur Zeit um Christi Geburt vielleicht so sehen, vielleicht auch etwas später noch. Aber, so wird das Glaubensbekenntnis heute noch gesprochen. Joachim Fest, ein Historiker und so etwas wie Journalist, der eine hervorragende Hitlerbiografie schrieb, hat in diesem Jahrhundert noch fest an die unbefleckte Empfängnis Marias geglaubt. Er hat geglaubt.

 

Wenn wir beim Credo bleiben und von der Dreifaltigkeit oder der Dreieinigkeit Gottes hören müssen, müssen wir das glauben. Dass Gott den Menschen schuf, auf zweierlei Weise sogar, um sicher zu gehen, falls ein Versuch misslingt, also einmal aus Lehm, wie er schon die Tiere gemacht hat, dann, die Frau wenigstens aus einer Rippe. Also, man soll da nicht so pingelig sein. Verstehen, außer mit rabulistischen Verdrehungsversuchen eines Priesters, können wir das auch nicht. Können wir nie. Aber dazu hat man den Glauben auch nicht! So wenig wie man ihn für die Auferstehung und den Heiligen Geist hat. Eben. Insgesamt wird man also sagen müssen, dass man beim Nachbeten des Credo genau das sagen muss, was jeder Erkenntnis, und hier darf man getrost sagen, jeder Wahrheit, zuwider läuft.

 

Doch wozu dieses Ereifern? Das ist eben der Glaube, der christliche, das Fundament unserer Kultur. Und es ist auch der Glaube der Väter, für die Juden. Aber auch für diese ist der Glaube Erfindung. Auch wenn er das Volk zusammengehalten hat, ob in der Diaspora oder wo immer. Ohne den Glauben gäbe es das Volk Israel nicht mehr. Gewiss, das ist richtig. Doch hätten die Juden an Baal geglaubt, dies mit der gleichen Inbrunst, mit dem gleichen Ritual vertreten, gäbe es das Volk Israel immer noch. Das ist keine Schmälerung der Jüdischen Religion und, was ich wohl nicht beweisen muss, kein Antisemitismus, sondern eine Überlegung, die sich aus den Naturgesetzen herleitet, die für alles in der Welt, auch im Weltall, gelten.

 

Von einem historischen Standpunkt aus gesehen, findet die Jüdische Religion, ihre unmittelbare Fortsetzung im Christentum. Eine Fortsetzung des Judentums im Christentum zur Zeit von Christi Geburt, ist unstreitig. Jesus, eine wohl historische Gestalt, dessen Leben bis zu seinem Tod durch die Kreuzigung durchaus nachvollziehbar in den Evangelien überliefert ist, hat sich kaum für etwas anderes als einen Juden gehalten. Es waren erst seine Adepten, seine Jünger, die seine Geschichte später niederschrieben, vor allem, sie interpretierten. Aber doch die Verse des Alten und des Neuen Testaments, mit Psalmen und hohem dichterischen, moralischen Pathos, ja die Worte Jesu: Sind sie nicht ein Zeugnis, über die Historie hinaus, für den Glauben, die Wahrheit. Wirklich? War Jesus denn wirklich Jude, was im gesamten Christentum verneint wird und was vielen peinlich wäre?

 

Auch wenn ich später erst zur Sünde komme, kann ich sagen: Jesus war Jude, ganz im Sinn wie es heute noch im Orient ist. Hat man schon einmal über einen der am häufigsten zitierten Verse aus den Neuen Testament nachgedacht, als es um die Steinigung der Ehebrecherin ging? „Wer von Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein? Jesus war also keineswegs gegen die Steinigung einer Frau. Es fragte sich nur durch wen. Dass die Chance einen Menschen ohne Sünde zu finden – Sünde nach damaliger und heutiger Auffassung – gering war, ändert nichts an der Tatsache der Anerkennung des Rechts, eine Frau steinigen zu dürfen. Das ist nicht göttlich sondern entspricht menschlicher Vorstellung vom Recht der gerade nicht direkt Betroffenen.

 

Aber haben die Jünger, die Apostel, um zum Neuen Testament zurückzukommen, etwas anderes gesagt, als man es in anderen Religionen schon kannte? Die Jungfernzeugung, also die unbefleckte Empfängnis, ein dreieiniger Gott, den es in andern Religionen auch gibt. Der Vater im Himmel für Christus, seinen Sohn? Die Wunder Christi, einschließlich der Wiedererweckung der Toten? Läppische Wunderchen, wie Wasser in Wein verwandeln, auf dem Wasser gehen, die Speisung von Fünftausend, waren und sind doch willkommenster Anlass für geschraubte Erklärungsversuche, im Sinne von „die Bibel hat doch Recht“. Schließlich die Auferstehung, die in nahezu keiner Religion nicht vorkommt! Immer ist irgendein Gott, nachdem ihn das Böse auf irgendeine Weise umgebracht hat, wieder auferstanden, ob Germane oder Assyrer oder Ägypter.

 

Nun, es geht bei diesen Überlegungen nicht darum: Seht, Ihr habt gar nicht Recht, könnt nie Recht haben. Ihr solltet dieses oder jenes glauben. Keineswegs. Es geht darum, mit dem Glauben, und zwar mit jedem, die Rechtfertigung für Unheil, Vergewaltigung, Demütigung und gewaltsamen Tod der Menschen, zu begründen. Ich sage nicht den Glauben dazu zu missbrauchen, denn dann gäbe es einen guten, wahren Glauben, unter dem dies alles nicht  absegnet wird.

 

Aus dem Glauben leiten sich aber noch weitere furchtbare Begriffe her: Die Seele, die Sünde und die Vergebung. Heben wir uns zunächst die Seele für später auf und fragen: was ist Sünde und warum ist etwas Sünde?

 

Nun, ohne den Glauben gäbe es gar keine Sünde. Denn, Sünde ist doch immer nur ein Verstoß gegen eine festgesetzte Norm, gegen ein Gebot, das man ja glauben muss, auch wenn es gegen Logik und Erkenntnis verstößt. Wenn ich ein Schwein schlachte und das Fleisch esse, weil ich leben muss, weil ich einen Eiweißbedarf habe und das Schwein gerade zu diesem Zweck, geschlachtet zu werden, gemästet wurde, so ist dies keine Sünde. Wenn ich aber Jude bin oder Moslem, dann darf ich das nicht. Dann ist Schweinfleisch zu essen eine Sünde, die mich, unter welchen Bedingungen auch immer, das ewige Leben kosten kann.

 

Wenn ich Ehebruch begehe, ist dies eine Sünde und ich kann dafür bestraft werden, wie es dem unkeuschen Hirtenjungen, der mit einer Schäferin unverheiratet Geschlechtsverkehr hatte und deshalb zu Tode geprügelt wurde (Marie von Ebner-Eschenbach: „Er lasst die Hand küssen“), erging. Dies war und ist Sünde, was der Hirtenjunge beging. Wenn ich der heilig gesprochene Karl der Große bin, weder lesen noch schreiben kann, Frau und viele Kebsweiber habe und Kinder mit ihnen, dann ist dies keine Sünde. Für Kaiser Maximilian I, den letzten Ritter, und den ganzen ihn umgebenden Klerus, waren die 16 unehelichen Söhne, für welche die Rentkammer zahlen musste, auch keine Sünde. Wir wollen nicht von Päpsten reden, weil dies noch kommt. Sünde ist also eine Auslegungssache und es kommt darauf an, wer sie begeht. Quod licet Jovi non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Rindvieh (noch lange) nicht erlaubt. Haha, Jupiter war doch ein heidnischer Gott, also gab es ihn nicht. Es gab ihn so gut wie es einen Gott gibt. Aber ganz allgemein darf ich am Freitag kein Fleisch essen, nicht an der Jungfrau Maria zweifeln, den Heiligen Geist weder anzweifeln noch beleidigen, meinen sexuellen Gelüsten nicht nachkommen, außer es ist eheliche Pflicht und dient der Fortpflanzung, dann ist es etwas anderes: und was man noch so alles machen kann.

 

Es ist klar, dass die konstruierte Sünde ein Machtmittel zur Unterdrückung der Menschen ist. Die Sünde wird dazu von der Priesterschaft, egal in welcher Religion, auch kategorisiert. Es gibt, lässliche Sünden, Sünden und Todsünden. Je nach weltlicher Macht der Geistlichkeit, wird die Sünde vergeben oder bestraft, was bei gedanklichen Abweichungen von einem vorgeschriebenen Glauben mit dem Tod, etwa bei Ketzern, bis zur gnädigen Vergebung bei königlichen Vater- und Brudermördern geht.

 

Nachdem man, in allen der so genannten monotheistischen Religionen, dem Menschen beigebracht hat was Sünde ist, ihm, wenn er glaubt, ein schlechtes Gewissen eingepflanzt hat, wird man ihn auch strafen, läutern oder entsühnen können. Ab einer gewissen Schwere der Sünde und je nach weltlicher Macht, wie schon gesagt, ist – nur weil heute die Macht fehlt, will ich nicht von war reden – ein Autodafe das Mittel, um einen Missetäter oder Missgläubigen derart zu bestrafen, dass er keinerlei Gnade des ansonsten doch so gnädigen Gottes mehr anheim fällt. Er wird verbrannt, mitsamt seiner Seele (kommt noch) und mit allem Fleisch, weil ja nur begrabenes, also erhaltenes Fleisch, am Jüngsten Tag wieder auferstehen kann. Das ist Rache, weit, weit über den Tod hinaus. Christlich. Wenn man heute gebissknirschend die Verbrennung eines an sich vielleicht Gläubigen mal so dahingehen lässt und keinen Segen verweigert, dann ist dies ja ein immenser Fortschritt in Richtung Aufklärung. Nun, Sünde kann also auch keine sein und vor allem, sie kann vergeben werden. Ja natürlich nur von geweihten Priestern. Je nach Ansehen der Person, wie etwa beim schon genannten königlichen Vater- oder Brudermord, kann gegen einen entsprechenden Obolus, und sei es nur Geld, Land oder einträglicher Machtzuwachs als Sühne, die Sünde vergeben werden. Die Reue natürlich, nicht zu vergessen, ist ebenfalls, seitens des Sünders, notwendig. Damit hat man, wenigstens im christlichen Mittelalter und noch später, den Delinquenten, Täter, Mörder (Sünder gehört in den Zuständigkeitsbereich der Kirche) der weltlichen Gerichtsbarkeit entzogen. Daran erkennt man aber die göttliche Macht des Glaubens, der Kirche, die über jeder weltlicher steht. Man stelle sich vor: Weil der Vater ihm sein späteres Erbe nicht vorzeitig auszahlen wollte und der Sohn ihn deshalb erschlug, steht der Vatermörder vor einem weltlichen Gericht. Da sagt er dann: „das ist mir aber jetzt peinlich, ich bereue es auch. Soll nicht wieder vorkommen.“ Da wird das Gericht sicher sagen: ist ja gut, wenn du es nur einsiehst. Oder nicht?

 

Doch das ist das Verhältnis zwischen der Religion und dem Menschen. Dieser ist, weltweit und in jeder Kultur, der Indoktrination durch Religion oder Ideologie ausgeliefert und wird von ihr beherrscht, auch wenn er meint nicht betroffen, frei zu sein. Ich würde meinerseits den Religionen, speziell den Kirchen, zugestehen als soziale Einrichtungen durchaus notwendig zu sein. Mein „zugestehen“ würde allerdings nichteinmal ein müdes Lächeln oder eine wegwischende Handbewegung bei den Betroffenen auslösen. Dessen bin ich mir sicher.

 

Aber wenn ich trotzdem eine Diskussion, mit wem auch immer, beginne – ein Dialog ist es aus dem genannten Grund sowieso nicht, wahrscheinlich mit mir also die Diskussion -, dann, weil ich um Giordano Bruno, die Ketzer, Katarer, die Inquisition, nicht herum komme. Sie stehen, insbesondere Giordano Bruno, leider muss ich sagen, nur als Metaphern für Ungeheuerlichkeiten unvorstellbaren Ausmaßes, für kirchliche Verbrechen an der Menschheit. Dass sie bis heute nicht nur nicht eingesehen, von bereut will ich gar nicht reden, sondern gerechtfertigt werden, ist die Ungeheuerlichkeit schlechthin. Hier würde ich gerne die, die es betrifft, exkommunizieren, wenn so etwas möglich und sinnvoll wäre. So werde ich noch öfters den Satz schreiben müssen: Ja, wenn Giordano Bruno nicht wäre.

 

Im Jahr 2005 führte ein Dr. phil., Journalist, bei einer katholischen Zeitung tätig, seine Mitschüler anlässlich eines Klassentreffens durch eine barocke Klosterkirche und schwafelte etwas vom Heiligen Bruno, der auf dem Altar dargestellt sei. Auf die Frage, ob dieser Giordano Bruno sei, antwortete er, nach einigem Überlegen, mit Ja. - Deshalb für diejenigen, die nicht wissen wer Giordano Bruno war eine kurze Biografie: Giordano Bruno, (Filippo Bruno) geboren 1548 in Nola bei Neapel, wurde am 17. Februar 1600 in Rom am Campo de’fiori verbrannt. 1563 war er in den Dominikanerorden in Neapel eingetreten, verließ ihn jedoch 1580 wegen seiner philosophischen, pantheistischen Anschauung wieder. Er war dann Dichter und Philosoph, lehrte in verschiedenen Ländern, auch in Deutschland, zuletzt in Padua. 1592 wurde er, nach Venedig gelockt, dort denunziert, gefangen, an die Inquisition übergeben und nach Rom ausgeliefert. Nach achtjähriger Gefangenschaft wurde er wegen Ketzerei und Magie durch die Inquisition zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt. Im Jahr 2000 erklärten der päpstliche Kulturrat und eine theologische Kommission die Hinrichtung Giordano Brunos durch Mitglieder der Kirche, nicht durch die Kirche selbst, für Unrecht.

 

Die Metapher Giordano Bruno soll nun einfach für einen Aufschrei stehen, der jedes Mal kommen müsste, wenn, wie üblich unter vielen Windungen, wieder ein Mal das „ach das war doch so nicht gemeint“ oder „ach die Kirche ist doch nicht so“, Religion ist friedlich“ usw. daher geredet wird. „Und der Glaube?“

 

Wenn ich im alten Judentum und dann im frühen Christentum erneut beginne, dann deshalb, weil die Lehren und Zustände von damals heute noch gängige Diktion sind. Ich muss meine Ausführungen zum Gott der Väter, zum Tempel in Jerusalem und so weiter, nicht wiederholen. Wenn aber heute ein jüdischer Siedler aus religiösen Motiven mit der Maschinenpistole auf betende Moslems in einer Mosche schießt und ein Massaker anrichtet, dann ist dies durch nichts, durch keinen Glauben, also wirklich durch nichts, zu rechtfertigen. Auch wenn ein Jude seinen jüdischen Präsidenten, den des Staates Israel, Jitzchak Rabin, ermordet und dies religiös begründet, ist dies ein idiotischer Frevel an der Menschheit. Durch kein noch so inbrünstiges Gebet an der Klagemauer kann man als Außenstehender und nach meiner Meinung auch als Jude zu keinem tolerierenden Verständnis kommen.

 

In der Geschichte hat sich die jüdische Religion nicht anders verhalten als die übrigen Religionen auch. Schon in der Antike kannte man heterodox-häretische Gruppen wie Samaritaner und die antitalmudischen Karäer. Nachdem Palästina, der jüdische Staat im Laufe der  Geschichte, im Altertum, selten frei von Besatzung durch fremde Mächte war, zumindest häufig tributpflichtig, wurde von den Juden ihre Religion im Ganzen oft in Gefahr gesehen. So gab es, als man in den griechischen Diadochenreichen nach Alexander dem Großen versuchte, alle Einwohner Judäas zu Opfern im nun griechischen Tempel zu zwingen, einen bewaffneten Aufstand. Die Kämpfe um die Religionsfreiheit, die die Hasmonäer unter ihrem Priester Judas Makkabäus und seiner Nachfolger führten, erreichten sogar eine kurzzeitige politische Unabhängigkeit.

 

Auch später, nach dem Tod Jesu, als die Herodianer (sie waren zwangsweise eingesetzte, nichtjüdische Herrscher) im Jahr 66 ausgestorben waren, waren die Juden sehr kurzzeitig frei. Doch 70. n. Chr. wurde Jerusalem vom römischen Kaiser Titus erobert und mitsamt dem Tempel zerstört. 600 000 Juden, angeblich ein Viertel der Einwohner, wurden, vor allem durch die anschließenden Hinrichtungen, getötet. Die Juden blieben aber unter der römischen Besatzung im Land und es kam ständig weiter zu Aufständen, besonders als Kaiser Hadrian auf den Trümmern des Tempels 130 n. Chr. einen Jupitertempel errichten wollte: In diesem „zweiten jüdischen Aufstand“ (132 - 135 n. Chr.) unterlagen die Juden und alle wurden daraufhin aus Palästina vertrieben und als Sklaven von den Römern in alle Teile ihres Reiches verkauft. Dies war das Ende des Jüdischen Reiches in Palästina, nicht des Jüdischen Volkes, das verstreut, „in der Diaspora“ in der damals bekannten Welt auch im Vorderen Orient, weiterlebte.

 

Die Glaubenskämpfe der Juden untereinander setzten sich dann auch in der Diaspora fort. Im 17. Jahrhundert wurden die messianisch inspirierten Anhänger des Sabbatai Zwi als jüdische Häretiker angesehen. Das orthodoxe Judentum stuft heute noch als häretisch ein, was von den traditionellen  biblisch-talmudischen, jüdischen Überlieferungen abweicht. Der Glaube spielte und spielt damit also immer noch eine politische Rolle.

 

Dieser Glaube der Väter mag deshalb für den Bestand des Judentums durchaus von Bedeutung sein und ich will und kann dies nicht werten. Aber als Religion ist sie, der Glaube der Väter, eine unter vielen und nicht besser oder schlechter als alle. Und, wie es keinen Gott gibt, gibt es auch keinen Gott der Juden. Das Unrecht jedoch, das man dem Volk der Juden, den jüdischen Menschen, eigentlich seit Menschengedenken zufügt, ist durch nichts begründbar, zu erklären oder zu verteidigen.

 

Die unmittelbare Fortsetzung des Judentums ist das Christentum. Auch wenn es eine gewisse Teilung und dann getrennte Entwicklung gab, ist die Wurzel des Christentums jüdisch. Darunter ist nicht einfach zu verstehen, dass man doch das Alte und das Neue Testament hat und man schließlich ersteres schon wegen des Gottesbezugs seit der Genesis braucht. Auch für die Christen war damals, nach Christi Geburt – etliche sind heute noch der Meinung – die Schöpfung das Werk Gottes, vor rund viertausend Jahren.

 

Doch bleiben wir zunächst bei der wohl historischen Gestalt des Jesus von Nazareth. Auch wenn wir die Information über Jesus nur aus dem Neuen Testament haben und dieses sicher nicht vor einem Menschenalter nach seinem Tod verfasst wurde und damit alles was man als Wunsch, Vorstellung und Legende hineinpacken konnte, auch hinein packte, müssen wir uns daran halten, was gesagt wird. Wir haben keine anderen, nichtchristlichen Quellen. Der Umstand, dass man etwa die Statthalterschaft eines Pontius Pilatus in Palästina auch aus römischen Quellen kennt, heißt nicht, dass alles andere so war, wie im Neuen Testament geschildert. Es heißt auch nicht, dass es so nicht war.

 

Ich muss hier einen Einschub im Fortlauf der Erörterungen machen, den ich später noch sehr ausführlich begründen werde. Als Statement meinerseits – mit dem ich keineswegs alleine bin – muss ich sagen, dass die Theologie keine Wissenschaft, in welchem Sinn auch immer, ist. Sie kann nichts beweisen, nichts nachvollziehbar berechnen oder reproduzieren. Dass sie allgemein als die erste und als die alles umfassende Wissenschaft angesehen wird, ändert daran nichts. Ich sage das im Hinblick auf die religiösen Aussagen des Jesus von Nazareth mit denen sich die Theologen herumschlagen sollen. Aber, nach allem was über Gott gesagt ist, nämlich, dass er nicht existiert, kann man sich nüchtern kaum ein Bild davon machen, wie ein Sohn im Himmel zur Rechten eines Nichts sitzt.

 

Aber ist der historische Jesus nicht eine menschlich verständliche Gestalt? Ist er nicht eine Lichtgestalt, die man als Vorbild ansehen könnte? War es verwunderlich, dass er Anhänger, Jünger an sich gezogen hatte? Ganz gewiss nicht. Und hat es nicht schon vor und nach ihm „Religionsstifter“ (die meistens gar nicht wussten, dass sie es waren) Propheten und mit besonderen politischen Wertvorstellungen ausgestattete Menschen gegeben, die einen ungeheueren Zulauf hatten? Aus jüdischer Sicht war Jesus von Nazareth damals ein Rabbi, der mit seinen Schülern und Anhänger wie viele andere pharisäische Rabbis durch das Land zog. Und, konnte da ein Mann, Jesus, „getragen von einer Welle der Sympathie“, nicht ein eigenes Sendungsbewusstsein entwickeln? Konnte er, bei den damaligen naturwissenschaftlichen Kenntnissen, die sowieso nur Spekulation und Annahmen waren, nicht plötzlich einen göttlichen Auftrag, ja eine göttliche Abkunft in sich gespürt haben? Wäre er damit der erste gewesen, der von sich dies geglaubt hätte? Keineswegs.

 

Und, dass er schließlich die eigene Opferung als vorherbestimmt ansah, war dies ungewöhnlich? Wie viele Menschen haben sich nicht für eine Idee ganz wissentlich geopfert, selbst wenn sie bei Widerruf frei geworden wären? Das sind alles die rein menschlichen, keineswegs theologischen Aspekte der Gestalt des Jesus. Dass er politisch gesehen mit seinen Ideen scheitern musste, war und ist klar. Er hatte eine Grundregel missachtet, die heißt, dass man den Herrschenden, in diesem Fall den Priestern, nicht an die Macht und ans Geld gehen soll. Heute noch würde er, mit seinen Ideen an unserer Gesellschaft scheitern.

 

Aber das Christentum hat dann doch einen ungeheueren Siegeszug angetreten! An diesem, in nahezu allen Geschichts- und Religionsbücher vorkommenden, sozusagen Standardsatz, ist nur eines richtig: ungeheuer. Wenn es eine Ungeheuerlichkeit zum Schaden der Menschheit gibt, dann ist dies der Siegeszug des Christentums. Allerdings muss ich sagen, dass das Ungeheuerliche auf jede Religion zutrifft, die einen Absolutheitsanspruch stellt, das Christentum also keine „schlechtere Religion“ ist. Dass das Christentum die unmittelbare Fortsetzung des Judentum ist, habe ich schon erläutert. Ein „Wunderrabbi“, der gleichzeitig auch der Sohn Gottes, selbstverständlich des jüdischen Gottes und dazu noch der Messias für das Volk Israel war, war der Grundstein, die geistige Grundlage zur Ausbreitung seiner Lehre, die Mission, geworden.

 

Während ja ein Jahrhundert nach Christi Tod die Juden noch in Palästina lebten, begannen die Adepten der neuen Lehre bereits missionierend, in fremden Revieren zu wildern. Paulus beglückte die Galater, Korinther, Römer und andere mit Predigten und Briefen. Auch die anderen Jünger, nun Apostel, sollen ja nach dem Pfingstwunder mit fremden Zungen geredet haben. Gut, sollen sie haben. Aber sie trafen ja nicht auf eine areligiöse Welt. Dass sie, vor allem in Rom, auf eine Vielzahl von Religionen trafen, ist erwiesen. Und sie trafen noch nicht einmal auf eine intolerante Gesellschaft. Es gab nicht nur die alten griechisch-römischen Götter, vom Jupiter abwärts, es gab Anhänger des Mithras, ägyptische Götter und viele aus den vorderasiatischen Ländern. Alle bestanden sie nebeneinander. Und es gab dann – noch nicht zur Zeit eines Paulus oder Petrus – einen ganz besonderen Gott, den Kaiser.

 

Nachdem aber so viele Religionen nebeneinander in Rom bestehen konnten, erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass auch die ersten zugewanderten Juden, die sich Christen nannten, dort ihr Auskommen, auch im religiösen Sinn gehabt haben könnten. Wir wissen nicht ob und in welchem Maße Anhänger der vielen Religionen verfolgt und unterdrückt wurden. Bei den vielen Göttern, was ja eine polytheistische Religion kennzeichnet, in der sich aber die Verehrer etwa Junos nicht mit denen der Venus oder des Apoll bekriegten, ist es nicht wahrscheinlich, dass man intolerant gegenüber dem, den andern Göttern Opfernden, war. Aber diese Toleranz scheint keineswegs im Sinne des aufkeimenden Christentums gewesen zu sein. Man konnte sich natürlich noch nicht des Umstands bewusst sein, dass man später, was die Vielzahl der für das jeweilige Sujet zuständigen Götter, die man dann Heilige nannte, alles in den Schatten stellen würde, was das antike, heidnische Rom hervorbrachte.

 

Man trat mit einem Absolutheitsanspruch in die Geschichte, den man für die eigenen Anhänger noch hätte hinnehmen können. Der Behauptung im alleinigen Besitz der (göttlichen) Wahrheit zu sein, hatten sich alle anderen Religionen und Anschauungen unterzuordnen. Sie konnten nicht als solche weiter bestehen, sondern hatten sich aufzulösen, abzuschwören. Dass dies heute noch so, und zwar ganz explizit noch so ist, macht das Verehrungswürdige, Wahrhaftige und Göttliche des Christentums aus. Wenn und dass es keinen Gott gibt, bleibt davon ja unberührt oder, ja was denn?

 

Der Absolutheitsanspruch der Christen leitet sich ja letztlich von ihren Vorvätern, den Juden, her. Es soll nicht abwertend gesagt sein, aber die Verbissenheit, mit der man den eigenen Glauben im Judentum verteidigte, wie man auch zum Beispiel nicht den Göttern der Griechen in deren Tempel opferte, hat sich direkt auf die Christen übertragen. Selbst wenn man dem eigenen Gott ungehindert opfern konnte, kam es nie in Frage im antiken Rom dem Kaiser zu opfern. Man brauchte Märtyrer und man wollte Märtyrer sein. So kam es denn zur Christenverfolgung und zu unzähligen Legenden.

 

Nun kennt die christliche Mythologie bereits eine lückenlose Reihenfolge der Päpste in Rom seit Petrus, aber da wird man wohl doch na ja, eben Mythos, sagen. Auch ob die ersten christlichen Bischöfe von Rom Päpste oder doch nur Bischöfe waren, mag ein kirchenhistorisches Streitthema sein, ist aber nichtssagend und unwichtig, allenfalls brotgebend für theologische Seminarleiter. Wir wissen über die Anfänge des Christentums in Rom wenig und dieses nur aus zurechtgezimmerten Legenden.

 

Die Christenverfolgung haben wir bereits genannt. Sie begann mit der Legende vom Tod des Petrus, dem man gerne noch den gleichzeitigen des Paulus angehängt hätte. Streitthema unter Theologen. Dem Heiligen Andreas – war er nun Apostel oder nicht – verdanken wir, weil er „nicht würdig war wie Jesus zu sterben“, das umgekehrte Kreuz, an das man ihn nagelte, und das jetzt Bahnübergänge kennzeichnet. Dass viele Christen fast Jahrhunderte lang unter der Erde in Katakomben lebten, dort sogar ihre Toten, einschließlich der Heiligen begruben, rührt ungeheuer an. Der ganze Mitraskult hat sich zwar auch unter der Erde abgespielt, aber was soll es.

 

Doch nun kommt die Lichtgestalt Konstantin der Große, der Heilige Konstantin. Von 306 bis 337 war er römischer Kaiser. Allein, ohne Mitherrscher oder Konkurrenten, war er dies erst ab 324.. Er hat das Christentum der Menschheit gebracht! Gemach einmal. Dieser Satz über Konstantin ist absoluter Quatsch, auch wenn er oft gehört wird. Der Reihe nach: Er hat die Christenverfolgung nicht eingestellt und nicht das Christentum zur Staatsreligion erhoben. Wir wollen zunächst gar nicht untersuchen wie er zum Kaiser von Rom wurde. Sagen wir, sein Vorgänger Diokletian, dem die „letzte, grausame Christenverfolgung“ zugeschrieben wird, hatte diese schon um 300 n. Chr. eingestellt. Einer der letzten unmittelbaren Gegner Konstantins, jener Maxentius, den er an der Milvischen Brücke besiegt hatte, hatte bereits ein Edikt erlassen, das den Christen Religionsfreiheit zusicherte. Aber dies Konstantin zuzuschreiben, macht sich besser.

 

Die Christenverfolgung wird ja bereits als bei Kaiser Claudius beginnend angesetzt, wobei bei ihm und seinen Nachfolgern bis Trajan (98 – 117 n. Chr.) Juden und Christen noch eins waren, nämlich Juden. Erst danach blieben diese was sie waren (erst 132 n. Chr. unter Hadrian mussten sie in die Diaspora) und die Christen breiteten sich als solche in Rom aus. Die spätere Verfolgung richtete sich zudem nicht gegen die Christen an sich, wegen ihres, vielleicht für die polytheistischen, römischen „Heiden“, falschen Glaubens, sondern einzig und alleine gegen aggressiv den römischen Staat in Frage stellende Religionen.

 

Die gesamten später zu Heiligenviten und in der Kunst zu unzähligen Gemälden und Legenden hochstilisierten Märtyrerschicksale, waren doch das willkommenste Werkzeug zur Beherrschung der weniger allgemein gebildeten Menschen. Nicht, dass ich, weder generell noch im einzelnen, ein Martyrium in Frage stellen wollte (analog einer Holcaustleugnung), aber immer der nicht nachvollziehbare Duktus, nach welchem unten auf dem Rost, andächtig die Hände faltend, der Heilige Lorenz verglüht oder die Heilige Katharina mit den Rad verhackstückt wird, jubilieren oben im Himmel die Engel und freuen sich, bald wieder einen neuen Märtyrer begrüßen zu dürfen.

 

Es ist für heutige und war für frühere Generationen schön und erschaudernd zu wissen und sich vorzustellen wie im Kolosseum die andächtigen und frommen Christen von den Löwen zerfetzt und gefressen wurden und was man halt so gemacht hat mit ihnen. Nur, dass dies nicht wahr ist. Kein einziger Christ kam im Kolosseum zu Tode. Aber, das ist eben doch zu schön, es zu glauben. Nicht, dass keine Christen unter Martern gestorben wären. Aber sie wollten sterben, für ihren Glauben.

 

Und, weil wir eigentlich bei Konstantin sind, dem heiligen, dem Großen: Man hat ihm zum Beispiel im Jahr 2007 eine große Ausstellung in seiner ehemaligen Kaiserstadt Treverum, in Trier, gewidmet. Einen Ausstellungskatalog, ein wirklich großes, künstlerisches Werk wurde herausgebracht. Es sind viele hervorragende Beiträge von ausgewiesenen Historikern darin enthalten, die ich aus anderen Werken schon kannte und von denen ich meine bescheidenen oder nicht bescheidenen, Kenntnisse der Spätantike habe. Unter einigen geschichtswissenschaftlichen Beiträgen ist auch einer von kirchlich katholischer Seite. Da wird, weil der hochgeistliche Verfasser des Artikels wohl die anderen Beiträge nicht gelesen hat, die trotzdem noch einigermaßen wohlwollend waren, ausgeführt, dass doch Konstantin der Große, der Heilige, das Christentum zum Sieg geführt hat.

 

Gut, soll er haben. Aber, dass wenn es Schweine auf dem Römischen Kaiserthron gab, Konstantin davon eines der größten war, soll man ruhig einmal zur Kenntnis nehmen. Gewiss soll man Politiker, und seien es römische Kaiser, nicht nach ihrem Leben, nicht nach unseren Moralvorstellungen, messen. Aber wenn einer, ein Kaiser, seinen Schwiegervater, seinen Schwager, seinen Neffen, seinen Sohn, seine Frau, und insgesamt die Mehrzahl seiner Verwandten, einfach ermorden lässt oder ermordet, wenn er missliebige Beamte, auch christliche Bischöfe, die er an seinen Hof geholt hatte, einfach hinrichten ließ, dann sind dies Taten, die man nicht unbedingt mit politischer Notwendigkeit entschuldigen kann. Voltaire, der französische Philosoph, hat ihn einen „politisch nicht unbegabten Kriminellen“ genannt.

 

Der angeblich blutrünstige, in meine Augen noch noble Kaiser (an den Händen aller klebte Blut) Diokletian, hatte sich nach zwanzigjähriger Regierungszeit vom Kaisertum zurückgezogen und Kohl gezüchtet und war nie, wie andere, wieder auf den Kaiserthron zurückgekehrt. Dieser Diokletian hatte die Tetrarchie gegründet, nach der, anstelle eines Kaisers, vier Kaiser (zwei Augusti, zwei Caesaren) herrschen sollten. Konstantin, dem eigentlich keine direkte Nachfolge in der Tetrarchie zustand, weil er bereits der Sohn eines Caesars war, war es aber, der alle je in der Nachfolge Diokletian aufgetretenen Augusti und Caesaren niedermachte. Einer der ersten war Maxentius, der, der den Christen schon Religionsfreiheit zugesichert hatte und der sich Konstantin dummerweise mit seinen Soldaten an der Milvischen Brücke in den Weg stellte.

 

Die rührende, oft dargestellte Geschichte der Schlacht, mit dem Sieg verheißenden, leuchtenden Kreuzessymbol am Himmel, kann nur als Kitsch, Geschichtsklitterung und verlogene Rechtfertigung einer insgesamt brutalen, wenn auch gängigen politischen Karriere gesehen werden. Nur so nebenbei bemerkt: Das Kreuzsymbol auf Labrum und Schilden der Soldaten Konstantins, stand neben dem Symbol für Sol, den Sonnengott, der sich später, bei den Germanen, in den Sonntag einschlich. Konstantin gefiel die Religion des Sonnengottes sehr. Er, der vor zahllosen Morden nicht zurückschreckte, mit Frauen und Konkubinen eine Menge Kinder zeugte, was ihn aber, da er sicher keine Empfängnisverhütung betrieb der späteren, schon damals katholischen Kirche sehr nahe brachte, er ließ auch „heidnische“ Kulte mitkommen. Die Haruspices, die Vogelbeschauer, durften nach einem Blitzeinschlag zum Beispiel, das getroffene Haus entsühnen. Damit waren nicht nur solche Berufszweige versorgt und rebellierten nicht, sondern man hatte vielleicht doch mit dem Blitze schleudernden Jupiter oder Zeus, so etwas wie eine kleine Rückversicherung.

 

Und was sagten die Christen unter Konstantin zu all dem? Sicher müssen wir heute berücksichtigen, dass für die damaligen Christen die Welt mit Adam und Eva begann. Sie konnten nichts anderes wissen, nichts von Karbon, Devon, Jura, Sauriern und so. Auch scheint das Menschenleben nicht ganz so wertvoll gewesen sein, aber das gilt nur für die Christen. Die Römer? Kannten die Adam und Eva? Hatten sie nicht viel mehr Götter, nicht nur einen? Der Heilige Konstantin, der Große, hatte ja auch mehrere. Den Sonnengott, Sol, zum Beispiel, wie schon genannt. Aber die Christen zeigten es ihnen schon: Zu Konstantins Zeiten bereits setzte eine Verfolgung, zunächst vor allem der so genannten Häretiker in den eigenen Reihen ein. Fromme Selbstkastraten, die ihre Fleischeslust hatten unterdrücken wollen, ehemalige Weihrauchstreuer für den Kaiser, unter den Christen, wurden nicht weniger grausam verfolgt, als es die Christenverfolgung vorher getan haben soll. Es gab Privilegien für die Christen, die den Nichtchristen, die es immer noch gab, erheblich wirtschaftlich schadeten. Man konstruierte später Schenkungen Konstantins, über seine Zuwendung von Grund für Kirchen hinaus, die dann als Fälschungen entlarvt wurden. Tatsächlich hat er, neben Kirchen, den früheren Palast seiner ermordeten Frau Fausta dem Papst Sylvester als Bischofsresidenz geschenkt. Die Konstantinischen Schenkungen werden von der nichtkatholischen Geschichtsschreibung als „eine der unverschämtesten und zugleich erfolgreichsten Fälschungen der Weltgeschichte“ bezeichnet. Freilich sah dies die katholische Kirche lange Zeit anders. Sie hatte ja auch eigene Historiker. So den Geschichtsschreiber Konstantins, Eusebius von Caesarea, den der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt als den „ersten durch und durch unredlichen Geschichtsschreiber des Altertums“ bezeichnete.

 

Fast hätte die damalige antike Welt Roms Glück gehabt, als Kaiser Julian Apostata (361–363) nochmals versuchte, nichtchristlichen Kulten zur Gleichberechtigung neben der christlichen Lehre zu verhelfen. Doch Kaiser Theodosius I, nicht schon Konstantin, erhob 380 das Christentum zur Staatsreligion. Damit war die Religionsfreiheit, die die Christen immer für sich, den antiken Götter- und Kaiserkulten gegenüber, gefordert hatten, abgeschafft. Theodosius verbot alle nichtchristlichen Kulte.

 

Aber war das denn so schlimm? Erstrahlte nicht das Licht Gottes in seinem Glanz? Ging die Sonne nicht jeden Morgen genau so pünktlich und strahlend auf wie früher unter Apoll? War nicht endlich Frieden unter den Menschen, im Reich und in den Provinzen? Wenn man dieser Meinung ist, sollte man die Geschichte der Spätantike und des Mittelalters studieren. Eigentlich genügt schon überfliegen. Denn, es kommt nichts heraus als Krieg, Verfolgung, Unterdrückung.

 

Als das Weströmische Reich unterging, das oströmische, christliche bestand weiter, war es ja ein christliches. Und seinen Untergang bereiteten keineswegs Heiden, sondern bereits christianisierte, germanische Stämme. Goten, die schon ihre Ulfilabibel unterm Arm hatten, Alemannen, Lombarden, Markomannen. Doch der Glaube an den einen Gott einte dann doch alle, die Germanischen Stämme und den Rest des Reiches. Niedlich. Theologisch, was nicht wissenschaftlich heißt, gab es jedoch nur Streit, den man durchaus auch blutig austrug. Schon die Germanen hatten sich auf den falschen Ast des Lebensbaums gesetzt. Sie waren Anhänger des Bischofs Arius, also Arianer. Dass dies der falsche Glaube war, weiß man. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass sich der Heilige Konstantin der Große erst auf seinem Sterbebett taufen ließ, und zwar von einem arianischen Bischof, igitt, hoffentlich weiß das niemand.

 

In Kirchenversammlungen, so genannten Konzilen, begann man an der Dreifaltigkeit herumzubasteln. Ob Jesus nur Gottes Sohn war, auch Mensch, oder beides, gleichzeitig oder nacheinander, das war zu klären. Nicht dass man Anwandlungen von logischem Denken gehabt hätte, mitnichten. Man ging theologisch vor, nicht demokratisch, weil man ja diesen Begriff bis heute in den Kirchen nicht kennt. Aber man stimmte ab. Notfalls, um das gewünschte Ergebnis einiger zu erzielen, wurde abgestimmt, während die andern kurzzeitig aus dem Saal waren. Nun, das sind ja nur so kleine menschliche Taschenspielereien und man sollte sich daran nicht festbeißen sondern immer das Große und Ganze, die Religion im Auge behalten, auch wenn dies dann schmerzt.

 

Man hatte jetzt – ja doch eigentlich schon seit Petrus – das Papsttum. Eine göttliche Instanz, weil Stellvertreter Gottes, die moralisch, geistig, menschlich, über allem erhaben war. In der Liste der Päpste von Petrus, der um 67 n. Chr. gestorben sein soll, bis zu Bonifatius II , gestorben 532, sind von 57 Päpsten (sechs Gegenpäpste nicht mitgezählt) 50 Heilige! Sie wurden heilig gesprochen.

 

Ich suche nun keine Polemik gegen das Papsttum, aber, weil es mir um den Menschen geht, der unter einer solchen Einrichtung furchtbar gelitten hat und leidet, muss ich einige Beispiele dieser beispielhaften – hier fehlt mir einfach ein Ausdruck – geben, um die moralische Instanz dieser Institution darzustellen. Natürlich wird man sagen, dass es diese „Instanz“ nicht nötig hat, sich vor irgendeinem, also vor niemand, schon gar nicht vor mir, zu rechtfertigen. Schon die Anmaßung einer Beurteilung ist ein Frevel. Trotzdem.

 

Die Päpste wurden ja zumindest bis ins 17. Jahrhundert von Parteien gewählt. Parteien waren Interessengruppen aus adeligen Familien unterschiedlicher Länder, auch von anderen mächtigen Gruppen innerhalb und außerhalb der Kirche selbst. Man sieht dies an den vielen Gegenpäpsten, die es immer wieder gab, die von Kardinälen aus eigenem Kalkül oder auf Anweisung gewählt wurden. Zur Zeit des Konstanzer Konzils (1414 – 1418), auf dem man Jan Hus verbrannte – man übergab ihn dazu natürlich dem weltlichen Arm der Gerechtigkeit, wer wird sich denn selbst die Pfoten schmutzig machen – gab es gleichzeitig drei Päpste: Gregor XII., Benedikt XIII., und Johannes XXIII. Ein vierter Papst, Martin V., auf den sich schließlich das Konzil 1417 einigte, kam noch hinzu. Übrigens, zur Information: Johannes XXIII ist richtig. Dieser war ein von den Medici in Florenz gestützter Gegenpapst. Der Selige Johannes XXIII (1958 – 1963) nahm diesen Papstnamen nochmals an, um damit die „legitime Tradition“ der Johannesse fortzusetzen.

 

Es gab in Rom einen Papst Formosus, der von 891 bis 896 auf dem Stuhl Petri saß. In seiner Regierungszeit gab es auch viele politische Wirren, vor allem um den Deutschen Kaiser Arnulf von Kärnten, seinen Sohn und noch einige Damen und Herren. Es heißt auch, er sei von einer dieser Damen, der Herzogin Agiltrude, vergiftet worden. Nun, er mag kein Ruhmesblatt gewesen sein. Nach ihm bestieg Stephan VI. den Papstthron. Er war der Günstling einer antikaiserlichen, römischen Partei. Seinen Vorgänger bezichtigte er der Usurpation des apostolischen Stuhls und machte ihm den Prozess. Dazu ließ er die bereits stark verweste Leiche aus dem Grab holen, ihn in vollem Ornat auf den Papstthron setzen, hielt ihm eine Anklagerede und erklärte ihn dann, unter Zustimmung aller anwesenden Kardinäle und Bischöfe, für schuldig und abgesetzt. Der Leiche wurden dann die päpstlichen Gewänder heruntergerissen, die drei „segnenden Finger“ der rechten Hand sowie schließlich der Kopf abgeschnitten. Den Rumpf schleifte man durch die Straßen Roms und warf ihn in den Tiber. Dass dieser Papst Stephan VI nicht lange danach von der kaiserlichen Partei bei einem Aufstand überwältigt und in einem Kerker erdrosselt wurde, mag nur wenig versöhnlich stimmen.

 

Es gab natürlich auch Päpste, die, in den Augen der Kirche wohl nicht zu unrecht, heilig gesprochen wurden. So der Hl. Gregor VII (1073 - 85). Er schritt gegen sittenlose Priester ein, die, weil man die bis dato legitime Ehe der Priester abgeschafft, verboten hatte, es nun, statt mit der eigenen einen Frau, mit vielen Weibern trieben. Als diesen Priestern vom Volk bei Tumulten Güter weggenommen wurden, meinte Gregor:  „Es scheint, dass wir einen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen haben. Doch das ist besser als dass Seelen verloren gehen.“ Er hatte auch den biblischen Lieblingsspruch: „Verflucht, wer das Schwert aufhält, dass es nicht Blut vergieße“. Der Hl. Gregor war auch der, der erstmals festlegte, dass der Papst über der Kirche steht.

 

Leo X., Giovanni de’ Medici, einer der Päpste aus dem Hause Medici in Florenz, saß von 1513 bis 1521 auf dem Apostolischen Stuhl. Es war die Zeit, in der ein Augustinermönch, ein gewisser Martin Luther, den größten Frevel gegen die Heilige Mutter Kirche lostrat. Aber welchen Grund hatte er denn, gegen seinen Papst, seinen Allerobersten, ja den Stellvertreter seines Gottes, überhaupt nur zu argumentieren? Von Rebellieren und Kirchenspalten soll gar nicht die Rede sein. Nun, war da etwas nicht in Ordnung?

 

Als man Leo X. auf den päpstlichen Stuhl setzte, eröffneten sein Schwager Strozzi und 30 weitere Florentiner, Bankfilialen in Rom. Auch der Papst brauchte, bei einem jährlichen Einkommen von 400 000 Dukaten, noch weiteres Geld, vor allem für seine Hofhaltung mit nur 700 Personen. Die regulären Einkommen des Papstes aus dem Kirchenstaat (er war ja Landesherr), aus Monopolen wie etwa Salzhandel, Zahlungen aus Kirchenrechten, Gebühren und Pfründen, gaben da eben nicht zu viel her. Erfindungsgeist – über den primären, mit Gott Vater, Adam und Eva und so, hinaus – war gefragt. Die käuflichen Ämter in der Kurie wurden auf 2000 erhöht. Vermögende weltliche Leute konnten Ritter vom Heiligen Petrus werden. Diese Einrichtung hatte man gerade zu diesem Zweck gegründet. – Um etwas modernes einzuflechten: Einer meiner früheren Chefs, im 20. Jahrhundert, war „Ritter vom Heiligen Grab“. Er konnte sich dies bei seinem nicht unbeträchtlichen Einkommen auch leisten. -

 

Weiter mit Rom: Im Zusammenhang mit dem Baubeginn des Petersdoms hatte man aber eine großartige Idee: Eine Ablassbulle! In der ganzen Christenheit wurde sie verkündet, denn darin stand, wie die Zeit für die armen Seelen im Fegefeuer, je nach Sünde im Leben, bemessen wurde. Natürlich konnte man auch für erst zu begehende Sünden Ablass erhalten. Ich habe da gelesen: „Eine einfache Todsünde erforderte üblicherweise sieben Jahre Buße. Vom Meuchelmord bis zur Blutschande, von sexuellen Perversionen bis zum Meineid, für alle Vergehen konnten sich die Sünder Vergebung erkaufen, vorausgesetzt sie waren zahlungskräftig. Arme konnten (Zitat im Zitat) „dieser Gnade nicht teilhaftig werden, denn sie haben kein Geld, also müssen sie des Trostes entbehren“, hieß es in der päpstlichen Begründung.“

 

Und darüber hat sich so ein Tölpel wie Luther aufgeregt! Dass er damit scheitern musste – also nix Reformation der Kirche – war klar, da er den gleichen Fehler beging wie sein Zweitchef Jesus, indem er den Oberen letztlich ans Geld wollte oder es ihnen nicht gönnte.

 

Sollen wir uns noch einige Bonmots des Giovanni de’ Medici (Leo X) anhören? „Lasset uns das Papsttum genießen, da Gott es uns verliehen hat“. „Wieviel uns und den Unsrigen die Fabel von Christus eingebracht hat, ist aller Welt bekannt.“ Nun, was hätte sich die Christenheit – Menschheit wäre ein zu hoher Anspruch – von einem phlegmatischen, etwas verfetteten Menschen, der mit 14 Jahren Kardinal, Herr der Abtei Monte Cassino, des Erzbistums Amalfi, Rektor, Prior oder Abt von etwa 30 Klöstern in Italien und Frankreich und vieles mehr war, der während der Revolution gegen die Medici in Florenz für einige Jahre untergetaucht und, als wieder alles im Reinen war, mit 37 Jahren Papst wurde, erwarten können? Gottes Segen? Hat er.

 

Diesen Segen hatte auch Julius III (1550 – 1555). In der Villa Julia in Rom, lebte er mit Nichte Ersilia und einem schönen, völlig ungebildeten Straßenjungen Simia, den er zunächst zu seinem Affenwärter dann, 17jährig, zum Kardinal gemacht hatte. Der Kardinal della Casa widmet Julius, wie man sagte nicht ohne Grund, das „Loblied auf die Sodomie!“ Man kann über ihn noch sehr viel Gutes sagen, u. a. dass er den Einwohnern von Perugia die Rechte, die ihnen Papst Paul III bei der Unterwerfung der Stadt genommen hatte, zurück gab. Er sitzt daher als Denkmal vor dem Dom von Perugia. Ist doch ein Verdienst.

 

Ich habe nun nicht vier Päpste angeführt, denen man Schlechtes nachsagen konnte. Ebenso gut hätte ich, nach einigem Suchen, vier gefunden, denen man Gutes nachsagte. Wenn man in der Geschichte der Päpste liest, wird einem eben übel. Aber warum rege ich mich über Päpste, Kirche und Religion derart auf? Ist doch völlig unnötig. Die Menschen wollen geknechtet werden, also lasst sie es sein. Dies wäre wohl eine Argumentation, weil nicht nur die Päpste sondern auch die Oströmische Kirche Konstantinopels, letztlich alle Kirchen der Spätantike und des Mittelalters, bis zur Renaissance, die zwar alle von Rom nicht anerkannt – auch ein heutiger Papst erkennt keinerlei Einrichtung, „die sich Kirche nennt, was absurd ist“ als solche an – nichts anderes machen als die Menschen ihrer selbst aufgebauten Macht zu unterwerfen.

 

Nun könnte man ja argumentieren, dass die Menschen der damaligen Zeit doch gar nichts anderes wussten als die Geschichte vom lieben Gott, Jesus und Maria. Letztere hatte man ohne Not und ohne eigentliche Legitimation vor sich selbst, etwa bezogen auf Texte in den Evangelien, zur Himmelskönigin gemacht. Aber das lag ja nahe. Zum einen war man nicht auf Evangelien angewiesen, denn die Tradition steht gleichwertig neben der Bibel und zum andern hatten eine solche Gestalt wie Maria doch alle antiken Religionen auch. Eine jungfräulich Gebärende und was noch so dazu gehört. Wenn man noch heute das Wallfahrtswesen und die Marienverehrung in allen Ländern, einschließlich der orthodoxen jenseits von Polen sieht, muss man sagen, Christus sollte sich warm anziehen, um seine Bedeutung für die Kirchen zu erhalten. Das mag zwar sehr salopp gesprochen sein, aber ist es nicht so, eingedenk des grienenden Papstes Wojtila?

 

Also gut, wir wollen den Kirchen zugute halten, dass sie seit der Genesis nichts anderes wussten. Ketzer, Katarer und andere Missliebige wie Girolamo Savonarola, hatte man damit zu Recht verbrannt, nicht weil sie das nicht glauben wollten, sondern weil sie noch strenger im Glauben waren und sie ihr eigenes Armutsideal auch den Mächtigen der Kirche aufdrücken wollten. So zu denken war für die Missliebigen der Kirchen relativ leicht, denn sie hatten ja sowieso nichts zu verlieren und waren meist schon arm, während diese, die Mächtigen der Kirchen, doch schön verloren hätten. Sie hatten ja tatsächlich etwas zu verlieren.

 

Aber dann kamen Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei, Giordano Bruno und letztlich Johannes Kepler. Wie war das dann? Schon dass die Erde keine Scheibe mehr sein sollte! Zudem sollte sie sich um die Sonne drehen. Gut, die Scheibe war seit Kolumbus oder Amerigo Vespucci etwas ausladender geworden, so dass die spanischen Segelschiffe Gold aus Mittel- und Südamerika zur Verschönerungen der Kirchen bringen konnten. Aber Mittelpunkt des Weltalls blieb immer noch Rom.

 

Welche Schweinerei war die Verbrennung Giordano Brunos! Man hätte auch Galilei verbrannt, hätte er nicht widerrufen. Man weigerte sich berechenbare, nachweisbare Erkenntnisse zu akzeptieren. Während man bisher zu einer Heiligen Jungfrau und Himmelskönigin Maria noch unzählige Märtyrer und Heilige dazuerfinden konnte, was man dann, um es als Dogma und ein Muss des Glaubens zu festigen als Tradition, gleichberechtigt neben der Bibel hinstellte, bezog man sich plötzlich streng auf letztere. Apriori gab es Gott und dann nichts mehr. Halt, noch ein bisschen Jesus.

 

Es war ja klar, dass diese neuen Lehren nicht wahr, nichteinmal existent sein konnten. Man weigerte sich ins Fernrohr Galileis zu schauen, da die behaupteten Jupitermonde doch nur Teufelswerk und Taschenspielertricks sein konnten. Taschenspielertricks? Man ließ sich auf einem Gebiet, das man so beherrschte, keine Lehren erteilen! Nun gut, das war damals um 1600 n. Chr.

 

Als am 9. Juni 1889 in Rom ein Denkmal für Giordano Bruno auf dem Campo de Fiori, wo er im Jahr 1600 verbrannt worden war, eingeweiht wurde, waren dem jahrelange Kämpfe vorausgegangen. Der Vatikan versuchte, das Denkmal beseitigen zu lassen. Als dies nicht gelang, sprach man einen der Unterzeichner des Todesurteils für Bruno, Kardinal Bellarmin, heilig! Der damalige Papst Leo XIII. hatte anlässlich der Enthüllung des Brunostandbildes auf dem Campo dei fiori ein Sendschreiben an die gläubige Welt 1889 gerichtet. Darin heiß es u. a. „Seine [Brunos] Handlungsweise war unaufrichtig, verlogen und vollkommen selbstsüchtig, intolerant gegen jede gegenteilige Meinung, ausgesprochen bösartig und voll von einer die Wahrheit verzerrenden Lobhudelei." Da darf man selbstverständlich einen Menschen verbrennen. Aber hatte der Papst das alles wirklich geschrieben? War er dabei vor einem Spiegel gesessen, und war sein Sendschreiben in Spiegelschrift? Fragt den heutigen Papst. War doch schon Leo XIII unfehlbar.

 

Und hatten die Kirchenväter, auf die ja selbst heutige Protestanten noch Zugriff zu haben glauben, je etwas von diesen verrückten Ideen, dass die Erde plötzlich rund und die Sonne der Mittelpunkt der Welt sei, geschrieben? Kein Wunder, dass sie es nicht hatten. Sie, deren menschliche Vita, auch was politisches Kalkül und Machtanspruch betrifft, sich nicht viel von der vieler Päpste unterscheidet, sie verdrehten nur die eigenen Worte, vielleicht weil sie wussten, dass sie ja letztlich über ein Nichts debattierten.

 

Nun muss ich hier – und es wird sich bald zeigen warum – einen Rücksprung in der Geschichte machen. Es geht um die Kreuzzüge und den Heiligen Bernhard von Clairvaux, der um 1090 auf Burg Fontaine-lès-Dijon bei Dijon geboren wurde. Er war also von adeliger Abkunft. Dass er schließlich das Kloster Clairvaux gründete (1115), dessen erster Abt er wurde, sei nur nebenbei vermerkt. Er war also ein mittelalterlicher Abt, Kreuzzugsprediger und Mystiker. Im Auftrag von Papst Eugen III. brachte er erfolgreich den zweiten Kreuzzug (1147 bis 1149) zuwege. Auch schaffte er, dass sich der deutsche König Konrad III. sowie dessen welfischer Gegenspieler Welf VI zur Teilnahme am Kreuzzug bereiterklärten. Er argumentierte in seiner „Lobrede auf die Tempelritter“ dass das weltliche Rittertum verderblich sei. Nur Krieger im Namen des Christentums seien ehrenwerte Krieger.

 

Ein Heiliger der Kirche also, hetzt zum Krieg auf. Von der Legitimität dem Islam gegenüber könnte man, im kirchlichen Sinn, allenfalls noch reden. Aber was geschah bei den Kreuzzügen? Sobald sie von Frankreich aus Deutschland, das es zwar nur als Einzelländer gab, erreichten, setzte ein Morden und Brennen gegen die Juden ein. So in Mainz, als die Juden nichteinmal mehr ein christlicher Bischof retten konnte, zu dem sie sich geflüchtet hatten. Spätere Kreuzzüge, etwa von Venedig ausgehend, plünderten erst adriatische Städte, in denen Christen, aber wirtschaftliche Konkurrenten Venedigs lebten. Ein Kreuzfahrerheer belagerte, eroberte und brandschatzte Konstantinopel. Aber in Ordnung, Byzanz war ein Konkurrent Roms, in kirchlich-liturgischen Dingen, an Pomp vielleicht sogar überlegen, an weltlicher Macht ein Nichts, denn die hatten die Byzantinischen Kaiser. So wurde ein „Christliches Heer“ dazu benutzt – ich will nicht sagen missbraucht – um unterwegs noch einige weltliche, politische Dinge zu klären.

 

Die Kirche ließ Kinderkreuzzüge organisieren, bei denen Tausende, praktisch alle, umkamen. Aber das war doch alles nicht so schlimm. Wenn man heute schon nicht mehr um die völlige Negierung dieser Kinderkreuzzüge herum kommt und sie nur als erfundene Behauptung abtun kann, muss man wenigstens bedenken, „dass die Teilnehmer des Kinderkreuzzugs nicht, wie der Name impliziert, ausschließlich Kinder, sondern zu einem großen Teil Jugendliche waren („…multa milia puerorum a 6 annis et supra usque ad virilem etatem,…“ – Chron. Reg. IIa), wie auch Kleriker und andere Gruppen Erwachsener. Es handelte sich bei ihnen überwiegend um Angehörige armer, niederer sozialer Schichten.“ Ach so. Die Kinder waren doch „ab sechs Jahren aufwärts bis zum Mannesalter“. Da haben doch sicher die Größeren die Kleinen an der Hand geführt. Ganz bestimmt.

 

Und an dieser Stelle kann ich auch, so sehr ich Ekel empfinde, die Inquisition nicht einfach auslassen. Sie sollte ja für die Reinheit der Lehre und des Glaubens sorgen. Die Dominikaner vor allem besorgten dies. 380 hatte Theodosius I das Christentum zur Staatsreligion erhoben, 385 wurde der erste namentlich bekannte Ketzer, Priscillian, öffentlich hingerichtet. Das waren die Dominikaner natürlich noch nicht. Sie kamen erst anfangs des 13. Jahrhunderts, beim Kreuzzug gegen Albigenser und Katarer zum Zuge. Und außerdem richtete die Kirche, die Inquisition, doch niemanden hin. Sie konnte über das Inquisitionsverfahren zwar Urteile über Ketzer aussprechen, aber sie hatte keine Blutgerichtsbarkeit. Weltliche Soldaten, Henker, Landsknechte, übernahmen die „Drecksarbeit“ einen Menschen umzubringen.

 

Mit Kaiser Friedrichs II. schloss man 1224 einen Vertrag, mit dem dieser auch die weltliche Gewalt bei der Verfolgung der Häresie, die der Majestätsbeleidigung entsprach, übernahm. In diesem Vertrag wurde auch erstmals die Vollstreckung von Todesurteilen durch Verbrennen festgelegt. Es war Papst Honorius III, mit dem der Vertrag geschlossen wurde. Dieser Papst ließ sozusagen die Albigenserkriege in Südfrankreich zu Ende abwickeln. Er verbot auch den Geistlichen, unter der Strafe der Exkommunikation, das Naturstudium, da sie dadurch an den Wundern zweifeln könnten.

 

Kaiser Friedrich II hatte ständig Ärger und Konfrontation mit den Päpsten. So mit dem nächsten, Gregor IX. Ständig sollte Friedrich ein Kreuzzugsgelübte einlösen, was er stets verschob. Nur ein Mal, zog er, inzwischen mit der Tochter des Patriarchen von Jerusalem verheiratet, dorthin und handelte mit dem Sultan von Ägypten einen Vertrag über freien Zugang der Christen zu den Heiligen Stätten, unter gleichzeitiger Religionsfreiheit für die dortigen Muslime aus. Die Tempelritter, Anhänger des Papstes, übergaben dann dem Sultan einen Brief, wo er den Kaiser mit geringem Gefolge antreffen und töten könne. Den Brief schickte dann der Sultan an den Kaiser.

 

Nach Gregors IX Tod, ging der Streit zwischen Friedrich und dem Nachfolger des Papstes, dem Sel. Innozenz IV weiter. Der Papst gewann, weil der bereits exkommunizierte Friedrich plötzlich starb. Wenn man ein ganz großer Verehrer des Papstes und ein ebensolcher Hasser des Kaisers wäre, müsste man dennoch das Schwein auf der Seite des Papstes sehen. Wer Unappetitliches lesen will, kann dies in der Geschichte der Päpste tun. Aber bei Burckhardt zum Beispiel. In einer von Rom autorisierten Geschichte, wird er nur finden, dass sogar der Papst Leo XIII erst 1898 Innozenz IV selig sprach. Leo XIII sprach auch den Kardinal heilig, der Giordano Bruno zum Tod durch Verbrennen verurteilte.

 

Aber warum immer wieder auf einer Kirche herumhacken? Sie hat den Menschen doch nie Böses getan. „Der Kaiser war schließlich auch kein Heiliger und Menschen sind eben sündig, also muss man sie.“ Was?

 

Die Spanische Inquisition, die es nicht nur bis in die Neuzeit gab, die sogar jetzt wieder eingeführt wurde, kann als düsteres Kapitel der Verbindung von Kirche und Staat angesehen werden. König und Volk wohnten den Autodafés bei. Man verbrannte die bis zum Geständnis Gefolterten, damit sie nichteinmal mehr auferstehen konnten, denn eine „Auferstehung des Fleisches“ geht nach dem Verbrennen nicht mehr. Gnädig war man, wenn lässlichere Abweichler, etwa Nonnen, zum Tode verurteilt wurden. Um vielleicht doch nach entsprechendem Fegfeuer (die Seele) wieder auferstehen zu können, erdrosselte man sie nur mit der Garotte, ließ sie aber vorher noch einmal das Kreuz küssen.

 

Nun hat Papst Benedikt XVI, als er noch Kardinal Joseph Ratzinger und Vorsitzender der Glaubenskongregation in Rom, der ganz offiziellen Nachfolgerinstitution der Inquisition, war, wörtlich gesagt: Die Urteile der Inquisition waren doch viel milder und gerechter als die weltlicher Gerichte“. Ich denke, ein Katholik, wenn er noch einen Funken Selbstachtung hat, kann in einem Verein, in dem dieser Herr der oberste Chef ist, nicht Mitglied sein. Gut, das mag eben so gesagt worden sein, früher, wer weiß wann. Ach so, das war in diesem Jahrhundert?

 

Nun, das alles im Namen einer furchtbaren Religion, die sich auf ein Nichts, Gott, berufend, nur menschliche Schweinereien an Menschen ausübt. (Ich möchte mich nochmals bei dem Schwein als solchem entschuldigen) Dies wirklich seit Menschengedenken, und weil man ja nur gegen Häretiker vorgeht, in jeder Religion. Ist es da verwunderlich (ein Wunder kann man nicht sagen, weil der Begriff schon etwas eigenartig belegt ist) wenn aus der christlichen und der jüdischen Religion eine Ausgeburt wie der Islam entsteht?

 

Ich weiß, dass diese Aussage gefährlich, wenn nicht tödlich sein kann. Man wird sagen: Allah wird ihn vernichten oder hat ihn. Natürlich wird weder mich noch den, der ebenfalls meiner Meinung ist, Allah vernichten wie Gott jemals einen Menschen vernichtet hat. Kein spontaner Blitz aus heiterem oder düsterem Himmel ist mir jetzt, beim Schreiben, ins Haupt oder den Computer gefahren. Aber, wird man sagen, der Mensch, der dich umbringt, ist von Allah gesandt. Klar, so wie nicht Gott, noch nichteinmal der Papst selbst, Giordano Bruno verbrannt hat, so wird eben ein Mensch kommen müssen.

 

Aber man darf eine Religion nicht beleidigen. Auch keine Religion, die den, der sie beleidigt, umbringt? Warum nicht? Dafür gibt es doch die Religion, die sagt was man darf und was nicht. Wenn man zum Beispiel den Propheten nicht darstellen darf, dann darf man es nicht, auch nicht als Karikatur. Dagegen müssen deshalb Analphabeten einschreiten und Geschäfte plündern, schweizerische, weil sie das Schweizerkreuz auf der Fahne nicht von dem auf der dänischen unterscheiden können.

 

Ich will jetzt nicht aufzählen und bereden was alles der Prophet Mohammed aus jüdischen und christlichen Quellen zog. Es genügt, was über diese Religionen selbst gesagt wurde. Schließlich ist Mohammed in dieser Welt, im Orient, der zu seiner Zeit christlich war, aufgewachsen. Aber, was er schrieb, wird man sagen, ist wahr, weil Allah es ihm in die Hand diktiert hat. Gewiss, es ist so wahr wie die Verbalinspiration der Bibelschreiber, die man lange Zeit zur Gängelung oder Erklärung für das „einfache Volk“ gebrauchte. Ich will auch nicht fragen, was denn so vor der Zeit des Propheten war. Nun gut, das waren eben Ungläubige. Was man mit ihnen im Paradies macht, in dem doch schon alles von Juden und Christen wimmeln muss, weiß man nicht so recht. Und wie ist das mit den Huris im Paradies? Sind sie auch für die Selbstmordattentäter da, oder nur für diese? Aber da hat man es wieder: Nichts vom Islam wissen, aber darüber reden. „Das mit den Huris im Paradies muss man völlig anders sehen. Gemeint ist damit .....“. Aha, also doch nicht so wie diktiert? Sollte es hier auch so eine Exegese oder Hermeneutik wie jetzt der Gebildete sagt, geben? Eine rabulistische Verdreherei?

 

Ich denke der Islam hat seine Probleme, er hat ja nicht nur Sunniten und Schiiten, auch noch andere Gruppierungen, und steht damit anderen Religionen in nichts nach. Nur wer sagt, der Islam sei eine friedliche Religion, der ist verblödet. „Die Ausbreitung mit Feuer und Schwert“ nur eine völlig missverstandene Interpretation in Schulbüchern und von Übelwollenden? Waren die Eroberungszüge der mohammedanischen Araber Kriege zur Unterwerfung anderer Völker oder nicht? Mussten die Unterworfenen nicht die Religion ihrer Sieger annehmen?  Stimmt nicht, meint man? Stimmt aber. In Sizilien – pikanterweise hatten im 9. Jahrhundert byzantinische Christen gegen ihre Feinde auf der Insel die muselmanischen Araber zu Hilfe geholt, die dann die Insel selbst komplett übernahmen – mussten die Christen, die nicht gleich zum Islam übertraten, besondere Kleidung tragen (Judenstern?), den Moslems auf der Straße ausweichen, ihre Häuser kennzeichnen, durften nur bestimmte Berufe ausüben, aber alles friedlich natürlich.

 

Ist die innere Verfolgung der Moslems friedlich? Wird nicht letztlich der mit dem Tod bedroht, der den Islam verlassen will? Aber das geht doch nicht, das darf man nicht, das weiß man doch, der Islam ist eben so, friedlich. Wo werden noch Frauen, aus welchem Grund auch immer, gesteinigt? Wo bringen Brüder ihre Schwestern um, weil sie ein westliches Leben führen und Schande über die Familie bringen? Wo können Männer über ihre Frauen herrschen, sie zu einem Nichts machen? Hat man nicht in der Türkei, im 20. Jahrhundert, einen Genozid an den Armeniern verübt? Aber das war doch nicht der Islam. Und außerdem waren diese Christen und darüber redet man nicht. So? Wo waren die Mullahs und Ayatollahs, die darüber auch nur den Turban geschüttelt hätten, vom Aufschrei ganz zu schweigen? Aber so polemisch kann auch nur einer fragen (wie ich) der nichts vom Islam, nichts von den Religionen weiß. Es gibt ja keine oberste Instanz im Islam, die allgemein, für alle Gläubigen verbindlich, solche Gesetze, Vorschriften und Gebote erlassen könnte. Also sind die Ayatollahs und Mullahs nur lokale, machtlose, arme, kleine Schweine? Gäbe es einen mohammedanischen Papst, dann könnte man da schon etwas erreichen!

 

Aber warum sich darüber aufregen? Erstens ist der Islam nicht so und zweitens ist er allenfalls, so von der Zeit her, in unserem Mittelalter angekommen und da waren wir, wie schon geschrieben, ob richtig oder nicht, je nach Standpunkt, auch nicht besser. Letzteres stimmt. Das mit dem Mittelalter. Das Furchtbare daran ist aber, dass sich der Islam, denn er herrscht im Orient, einschließlich Indien, Pakistan und Indonesien, der Waffen und der technischen Möglichkeiten der Neuzeit bedienen kann.

 

Man bedenke, dass ein Herrscher wie der des Iran, Mahmud Ahmadinedschad, offen und nachdrücklich die Auslöschung des Staates Israel fordert und gleichzeitig ein Atomprogramm zur Plutoniumherstellung fördert, das nur dem Bau einer Bombe dienen kann. Muss man da nicht Angst haben? Und muss man nicht Angst haben, dass Israel, das schon eine solche Bombe hat, diese auch zündet? Über dem Iran? Ich könnte das verstehen und würde es sogar, aus pazifistischer Haltung heraus, selbst tun! Und? Wäre das kein Religionskrieg?

 

„Also darauf will er hinaus“, höre ich schon sagen. Keineswegs. Ich denke, dass ich mich bisher genügend klar ausdrückte, um sagen zu können, nichts herbeireden zu wollen, dass ich keinen Weg vor zeichne, ich zeichne ihn nach. Wenn ich später noch futuristisch werde, dann nicht im Sinn einer Prophetie, allenfalls in dem einer Befürchtung.

 

Doch ich bin mit den Religionen noch nicht fertig. Bekreuzigen sich nicht Wladimir Putin und Dimitri Medwedew bei allen nur möglichen Gelegenheiten und küssen dem Patriarchen die Bibel? Ist damit nicht der Sieg des Christentums, wenigstens des russisch-orthodoxen, bewiesen? Langsam. Putin, als ehemaliger KGB-Funktionär, wird die Tricks kennen. Die Kirche selbst ist wiedererstanden aus Ruinen sozusagen. Wieder einmal. Alles, von den Mongolen bis heute, muss man nicht aufrollen. Interessant ist nur, dass Zar Peter der Große das russische Patriarchat auflöste und durch eine Synode ersetzte. Das ist so wie wenn Karl der Große den Papst zugunsten eines immerwährenden Konzils abgelöst hätte. Die Bolschewiken stellten nach der Oktoberrevolution das Patriarchat wieder her.

 

Aber man hatte doch in Russland, der Sowjetunion, eine Ideologie, die Marx und Lenin zurechtgezimmert hatten und die sich auch über China, durch Mao und Kambodscha, durch die Roten Khmer, ausbreitete. Überall grausam und blutig. Hätte dann, als die Feinde der Idee ausgerottet waren, nicht Zufriedenheit einkehren müssen? Nein. Geht nicht.

 

Alles gleich, jeder gleichviel, geht nicht. Gleich wenig, also gleich arm, geht noch weniger. Warum? Ist es nicht ein gutes Gefühl (ein Unwort) Almosen zu geben, dem Armen? Dazu muss man aber wenigstens etwas mehr haben als dieser, man muss reicher sein. Man will nicht in der gleichen Hundehütte leben wie der Nachbar. Nun gut, mit etwas Schläue könnte man ja zur eigenen Datscha kommen. Aber wenn dann jeder eine Datscha hat? Gibt es so viele Datschen? Da hilft nur die Rebellion in der Revolution, denn diese Datschen kann sich die Revolution, der Staat, nicht leisten. Er kann, wie gesagt, nicht jedem eine Datscha geben. Dabei sind doch alle Menschen gleich! Nun, man hat für die, die keine Datscha bekommen können und dies nicht hinnehmen wollen, Sibirien und Gulags, die auch die Zaren schon hatten. Gulag ist übrigens eines der Akronyme (setzt sich aus vielen Wortanfängen wie Besserung, Arbeitslager usw. zusammen), die in den kommunistischen Ländern, wie auch bei den Nationalsozialisten, so gerne gebraucht wurden. Kita, NSV zum Beispiel.

 

Mit Gulags aber machte man die Menschen nicht friedlich, schon gar nicht zufrieden. Als sie herauskamen aus den Lagern, aus der Zwangswirtschaft der Sowjetunion, wo es keine Bananen gab, waren sie nicht geläutert und zufrieden sondern begierig. Gab es je in einem Land so viele Milliardäre wie im armen Russland dann, nach Ende des Kommunismus? Man wollte endlich etwas und bekam es. Doch muss es da nicht bald wieder eine Revolution geben? Das wäre eine Endlosschleife. Aber wie bekommt man die Armen, die wirklich Armen, die ohne Datscha, die weiterhin ohne Bananen sein müssen, die sich einfach nicht helfen können, auch wenn sie es wollten, ruhig, in den Griff? Mit Gott.

 

Er, dessen Herrlichkeit, sich schon in den neuen goldenen Dächern der Kathedralen, dann im Innern, im Goldgewand der Priester zeigt, der hat Bilder und Vorbilder der Heiligen, die man, anbeten kann. Der spendet Trost. Das konnten Helden der Arbeit, Stachanow, Kosmonauten und andere Vorbilder der Partei nie geben. Aber Gott kann und will gar nicht jedem alles geben. Und was ist der Luxus der Reichen gegen die Gnade des ewigen Lebens? Schon die Gnade Gott anbeten zu dürfen, die Sünden vergeben zu bekommen, die Ikone zu küssen, den inneren Frieden zu finden, ist das nichts? Wer will da rebellieren? Wir wissen, wenn es Gott so macht, wird er auch wissen warum.

 

Es war kein russisch-orthodoxer Priester, nur ein Schweizer Reformator: Zwingli. Er sagte, dass arm oder reich von Gott vorbestimmt seien. Nur, was ihm Gott zugestehe, könne er erreichen, der Mensch, aber er müsse dafür arbeiten. Und wenn Gott seinen Segen zu seiner Arbeit gegeben hat, wird er erfolgreich und reich. Die russischen Milliardäre haben nach diesen Grundsätzen gehandelt, was deren Richtigkeit beweist.

 

Und noch etwas: Putin, Medwedew und die anderen haben Ruhe. Sie können Unglück auf Gott übertragen und Glück auf sich. Der innere Feind, der Arme, ist abgelenkt und notfalls kann er einigend gegen äußere Feinde eingesetzt werden.

 

Aber ist das nicht alles nur spekulativ dahergeredet? Religion, Ideologien? Sie müssen doch einen Grund, einen höheren Sinn haben? Von mir aus. Aber ich kann nicht wieder vom Urknall und den Naturgesetzen beginnen, auch wenn sich letztere selbst darin und richtig, zeigen. „Doch die Moral, das innere Gefühl, die Seele des Menschen, des Menschen, der doch kein Tier ist! Bemühen sich nicht hoch gebildete Menschen, studierte Priester, Bischöfe, Kardinäle, der Papst, Synodalen, Professoren der Theologie darum, dem Menschen Gott oder doch einen Trost und Halt zu geben? Diese können doch nicht einfach dumm sein!“

 

Das zwar trotzdem, aber, wenn sie dies nicht sind, müssen sie gerissen, skrupellos, bewusst Unwahrheit verbreitend, sein. Sie müssen Wissen und Erkenntnisse der Naturwissenschaften entweder vor sich und für sich negieren oder der Menschheit bewusst vorenthalten und dafür der Tradition und Liturgie folgend, feierlich in ihren Gewändern einherschreiten. Dass sie keinen Gott zur Legitimation haben können, auch wenn sie gläubig sind, könnten sie selbst einsehen. Aber wahrscheinlich schützt sie der Glaube vor der Leere, dem Fall ins Nichts und dem inneren Zusammenbruch. Sie könnten trotzdem den Menschen dienen, indem sie ein wenig ausgleichend zwischen arm und reich, auch zwischen den Völkern, wirken. Als eine von Gott abgeleitete Instanz, einberufen von seinem Stellvertreter, hat jedoch ein Konzil, einschließlich des Papstes, nicht mehr moralisches Gewicht als eine Versammlung von Abgeordneten in Altenburg in Sachsen-Anhalt, die Skatregeln festlegt.

 

Das von Konzilen, Papst und Skatregeln gesagte, gilt auch für andere Religionen, alle, auch für die nicht von Rom anerkannten Kirchen, die sie sowieso nicht seien. Und, historisch gesehen sind denn auch die Reformation zu Beginn des 16. Jahrhunderts und aus ihr hervorgegangene Kirchen, keine Zäsur sondern allenfalls ein Ereignis. Luther und besonders Melanchthon wollten auch keine Kugelerde statt der Scheibe. Sie glaubten an Hexen und Hexerei und hielten Hexenverbrennung für gottgewollt.

 

 

Religion und Philosophie

 

 

Doch was soll all dieses Gezeter über Religionen, Ideologien und die Schuldzuweisung an sie? Man wird nichts ändern, nichts ändern können und letztlich brauchen die Menschen das. Gut gesprochen. Man hat ja auch gesehen was etwa die Aufklärung im 18. Jahrhundert gebracht hat. Allenfalls eine blutige Revolution wie die Französische und dann doch wieder ein napoleonisches Kaisertum von Gottes Gnaden. Wenn schon kein Gott, dann wenigstens „Trost in der Philosophie“ wie ihn schon Boethius fand.

 

Nun gewiss könnten Boethius (geboren um 475 in Rom, hingerichtet 526 in Pavia) und seine Philosophie eine Nahtstelle zum alles beherrschenden Christentum in der westlichen Welt bis heute, darstellen. Boethius, ein hoher römische Staatsbeamter aus nobelstem Hause, war Katholik, schrieb auch fromme Traktate, befasste sich mit Platon und Aristoteles, deren Werke er ins Lateinische übersetzen wollte und schrieb über Musik und Mathematik. Sein schon genanntes Hauptwerk „Trost in der Philosophie“, schrieb er bereits in Gefangenschaft in Pavia. Die Hinrichtung des einst so mächtigen Mannes, der oberster Regierungsbeamter des Ostgotenkönigs Theoderich und Römischer Konsul unter dem Oströmischen Kaiser Justin war, war sicher rein politisch begründet. Aber nun wird gesagt, dass er im Gefängnis nur Trost in der Philosophie und nicht im Glauben, im christlichen, fand. Er schrieb nichts vom Glauben, und Gott war für ihn ein sehr vage definierter Begriff. Daraus wurde abgeleitet, dass er eigentlich kein Christ mehr war sondern wieder „Heide“. Er habe auch Vernunft vom Glauben getrennt, er sei eigentlich Mystiker.

 

Ich will nun nicht – was ich gar nicht kann – die Philosophie weder die des Boethius noch anderer zerpflücken oder kritisieren. Es erschiene mir zu einfach, geradezu primitiv, darauf hinzuweisen, dass die Philosophen, zumindest bis zum Beginn der Neuzeit, kaum andere Vorstellung haben konnten, als die, die sich auf irgendwelche Schöpfungsmythen, einschließlich derer des Alten Testaments und das Wirken von Göttern bezogen.

 

Nur, alle Philosophie focusiert sich in bestimmten Situationen auf diese. Boethius suchte, in Erwartung seines Todes Trost. Er fand ihn, im mystischen, neuplatonischen Sinn (Plotin), wie berichtet wird in der „höchsten Hypostase“. Diese höchste Hypostase bedeutet, in etwa übersetzt, ein gebündeltes Wesen, einen Urgrund, so bezogen auf die christliche Dreieinigkeit, den Zustand, in dem nicht mehr zwischen den „Komponenten“ Vater, Sohn und heiliger Geist unterschieden wird. Ob man diesen Zustand dann als Mystik, Transzendenz oder was auch immer bezeichnen will, ist nicht entscheidend. Für diesen Betroffenen, Boethius, war, nach meiner Einschätzung der Trost in dieser Philosophie, in dieser Geisteshaltung entscheidend dafür, dass er ohne das Ritual, nicht „wohlversehen mit den Tröstungen unserer Heiligen Kirche“ als gesunder und moralisch untadeliger Mensch sterben konnte. Und das wird ihm, dem schon lange Toten, ja als nichtchristlich ausgelegt und verübelt.

 

Nicht identisch aber weitgehend ähnlich, was Herkunft, Leben, Moral und Tod betrifft, kann man in unserer Zeit Dietrich Bonhoeffer sehen. Von seinem siebenstrophigen Gedicht „Von Guten Mächten“ ist heute fast nur die letzte bekannt. Sie steht oft über Todesanzeigen und soll m. E. die Akzeptanz des Todes, verbunden mit einen Trost ausdrücken. Ich halte das für wesentlich für die Menschen. Bezogen auf Bonhoeffer, die Religion und Gott, der für ihn Jesus und die Bergpredigt war; kann ich nur meinen höchsten Respekt ausdrücken, was ihm, selbst seitens seiner Mitbrüder nach dem Krieg, als sein Schicksal bekannt wurde, keineswegs immer widerfuhr. Es zeigt auch, dass in Religionen und Ideologien sehr zwischen aufgeblasenen Worten mit rituellen Gesten für die Allgemeinheit und dem ganz individuellem Schicksal des Einzelnen unterschieden wird. Darauf werde ich noch später kommen müssen.

 

 

Was aber bedeutet die Philosophie für die Menschen? Hat sie je auch nur das Weltbild, geschweige denn die Welt verändert? Wenn ich sage, die Naturwissenschaften, die nicht erst mit Einstein und Planck begannen, die beiden letzteren jedoch herausragende Gestalten sind, haben die Welt verändert, dann ist dies nicht nur begreifbar im abstrakten Sinn, sondern greifbar im tatsächlichen.

 

Durch die Philosophie hat sich also nichts geändert, weil dies einfach in der damaligen Welt nicht möglich war. Es gab weder das Experiment noch die Technik von heute. Doch es gab geistige Ansätze, ohne die  man wahrscheinlich später nicht geforscht hätte, schon um zu sehen ob das wahr und richtig ist, was die Alten behaupten. Dazu einige Beispiele.

 

Anaximander der von 610 bis 546 v. Chr. in Milet gelebt haben soll und als bedeutender Astronom und Astrophysiker nach heutiger Auffassung gilt, hat als erster eine rein physikalische Kosmogonie entworfen. Nur auf Beobachtung und rationales Denken gestützt erklärte er die Entstehung der Welt, die er als Kosmos (κόσμος) bezeichnete, als ein planvoll geordnetes Ganzes. Er zeichnete als erster eine geographische Karte mit der damals bekannten Verteilung von Land und Meer und konstruierte dazu eine Sphäre, einen Himmelsglobus.

 

Die Entstehung des Menschen erklärte Anaximander als aus Tieren hervorgegangen, aus Fischen oder fischähnlichen Lebewesen, da das Leben sowieso spontan im Wasser, im Feuchten, entstanden sei, wie schon sein Zeitgenosse Thales von Milet, annahm. Im weiteren Verlauf der Lebenszeit seien die Lebewesen auf das trockene Land gegangen und hätten, nachdem sie eine „sie umgebende Rinde“ abwarfen, ihr Leben noch für kurze Zeit an Land verbracht.

 

Man kann hier nur staunen welche Realitätsnähe, eine Evolution vorausahnend, man durch nachdenken, nicht durch querdenken, erreichen kann. Und wenn sich Anaximander mit der Seele, diese mit Leben, dem Ein- und Ausatmen in Verbindung brachte, war er nicht weit entfernt vom „Odem, den Gott dem Menschen, dem Lehmklumpen, eingehaucht“ haben soll, wie es im Alten Testament steht.

 

Bei meinem Nachlesen über Anaximander erfuhr ich auch, dass es eine Atemseele des Menschen und eine der anderer Lebewesen gibt. Darüber später. Freilich hat Anaximander Sonne, Mond und Sterne noch um die Erde kreisen lassen, doch das konnte er gar nicht anders sehen. Immerhin wurde er für die Annahme eines Kosmos, auch eines unendlichen und eines ebensolchen Seinsprinzips, das er Apeiron, das Unbestimmte, Unfassbare, unendliche nannte, nicht verbrannt, wie Giordano Bruno, der ebenfalls solche Gedanken hatte.

 

Es wäre nun unsinnig die antiken Philosophen und ihr Werk auch nur angedeutet oder zusammengefasst darstellen zu wollen. Es geht ja hier um keine philosophische Abhandlung. Auch verbietet sich geradezu eine Kritik an ihren Lehren, da diese eine eigene philosophische Weltsicht, die ich nicht habe, voraussetzen würde. Dasselbe müsste man auch zu den orientalischen Philosophen des Buddhismus, Hinduismus und der anderer Kulturen sagen. Wenn ich trotzdem auf einzelne antike Philosophen eingehe, dann eher wegen ihrer politischen, auch religionspolitischen und naturwissenschaftlichen Bedeutung.

 

So muss Sokrates ( 469 bis 399 v. Chr.), der in Platons Schriften, die in 50 Jahren entstanden sind, und eine Hauptperson in den Dialogen darstellt, genannt werden. Er wurde, sicher völlig zu Unrecht, nur politisch motiviert, zum Tod durch den „Schierlingsbecher“ verurteilt. Mit seinem verderblichen Einflusses auf die Jugend und wegen der Missachtung der Griechischen Götter wurde sein Todesurteil begründet. Nun gut, es hat also Götter gegeben, und wozu sind sie da? Um nicht missachtet zu werden. Und so wird hier ein Beispiel gegeben, eines unter letztlich Millionen, für einen politischen, religiös verbrämten Mord. Eigentlich könnte man sich darauf berufen: Zum Tode verurteilt, weil er dem Fahneneid nicht gefolgt ist, desertiert ist, weil er an Gott nicht geglaubt, ihn geleugnet hat, und was man sich noch ausdenken kann.

 

Pythagoras, um 570 v. Chr. geboren, wird von Heraklit, welcher etwa um die gleiche Zeit lebte und der der Vater des „Panta rhei“, „alles fließt“ ist, als „der Schwindeleien Ahnherr“ genannt. Er, Pythagoras hat einen älteren und einen jüngeren „pythagoreischen Bund“ gegründet. Die Anhänger des letzteren gaben nichts auf Kultur, führten ein asketisches Wander- und Bettelleben, nahmen kein Bad und enthielten sich von Fleisch, Fisch, Wein und Bohnen. Man sieht daran, was die Enthaltung von Bohnen anrichten kann. Die anderen pflegten Philosophie, Musik, Mathematik, Geometrie, Astronomie und Medizin. Ihnen verdanken wir wahrscheinlich den „Lehrsatz des Pythagoras: a2 + b2 = c2“.

 

 

Euklid von Alexandria  365 v. Chr. vermutlich in Alexandria oder Athen geboren, war ein griechischer Mathematiker. Er war sozusagen der Herr der Axiome. Wesentliches an Arithmetik und Geometrie hatte er von den Pythagoreern übernommen und weiterentwickelt. Seine mathematischen Darstellungen gelten (wie alle Schüler in heutigen Gymnasien wissen) immer noch. Dass es, davon abweichend, besondere Fälle geben muss, beschäftigte aber die Mathematiker des 18. und 19. Jahrhunderts, u. a. Carl Friedrich Gauß und man entdeckte die „nichteuklidische Geometrie“. Als Gauß' Schüler, Bernhard Riemann, 1854 die Differentialgeometrie krummer Räume entwickelte und vorstellte, erwartete niemand eine physikalische Relevanz dieses Themas. Diese Differentialgeometrie wurde weiter ausgebaut (Levi-Civita, Ricci-Curbastro und Christoffel) und Einstein fand in diesen Arbeiten einen Schatz an mathematischen Werkzeugen für seine allgemeine Relativitätstheorie. Ebenso gültig für die allgemeine Mathematik und die Newtonsche Physik, auch die sphärische Trigonometrie, ist aber bis heute die formale Axiomatik der Euklidischen Geometrie wie sie in David Hilberts Werk „Grundlagen der Geometrie“ (1899), niedergelegt ist.

 

Schließlich muss noch Aristoteles genannt werden. Er wurde 384 in Thrakien geboren. Sein Vater war Leibarzt des makedonischen Königs Amyntas. Ich betone dies deshalb, weil bei großen Karrieren, gleich auf welchem Gebiet, die Herkunft, die Basis, nicht nur eine nicht zu unterschätzende, sondern eine ganz entscheidende Rolle spielt. Man wird sehr selten vom Hirtenjungen zum König. Auch der Hirtenjunge Paris, der zusammen mit drei Göttinnen für den Trojanischen Krieg verantwortlich zeichnet, war schließlich ein Sohn des Königs Priamos.

 

Aristoteles konnte also bereits als 18jähriger die Philosophenschule des Platon (aus aristokratischem Hause) in Athen besuchen und 20 Jahre lang dort bleiben. Er gründet dann eine eigene Akademie, geht nach einigen Jahren wieder nach Makedonien und wird Prinzenerzieher. Er übernimmt die Erziehung des Sohnes von König Philipp, der Alexander heißt und den man später den Großen nennt. Nach dessen Regierungsantritt, gründet er im heiligen Bezirk des Apollon Lykeios, eine neue Schule, das Lykeion. Es war eine religiöse Gemeinschaft zu Ehren der Musen, wie dies in sehr abgewandelter, christlicher Form, später die Lyzeen waren.

 

Aber was hebt Aristoteles aus den Philosophen der Antike so heraus? Es war vor allem die spätere Rückbesinnung auf die Antike in der Renaissance. Aristoteles kam einem großen Heiligen gleich. Diese Rückbesinnung auf die Antike begann zwar schon im Mittelalter, Boethius hatte schon einzelne seiner Schriften übersetzt, Albertus Magnus hatte einen Kommentar geschrieben, der quasi als Standardwerk für die damals führenden Universitäten Paris und Oxford galt. Die Theologie begann dagegen schon Sturm zu laufen beziehungsweise die aristotelischen Aussagen zu modifizieren und teilweise zu verbieten. Die Kirchenväter, Augustinus und Thomas von Aquin, der Dominikaner, sowie die Franziskaner taten sich darin hervor. Vor allem seine Naturgesetze, die sich natürlich von den heute erkannten wesentlich unterscheiden, die aber damals das so beliebte Wunder ausschlossen, waren der Anlass dazu.

 

Die islamische Welt, die Araber, hatten sich schon viel früher mit Aristoteles befasst und ihn ins Arabische übersetzt, ohne dass die übrige Welt, abgesehen von den genannten einzelnen „Gelehrten“ des Mittelalters, groß davon Kenntnis genommen hätte. Für die Renaissance als der epochalen Wiederentdeckerin der Antike musste das sehr umfangreiche Werk des Philosophen schließlich wie eine Droge wirken. Nicht nur, dass das Glück, das weltliche, bequeme, das angenehme Leben, mit gutem Essen und Trinken, Wohnen, Sklaven und Konkubinen, kein Widerspruch zum hochgeistigen Denken war, auch alle Lehren hatten etwas Befreiendes. Aristoteles förderte und forderte das Wissen an sich, die Logik, die später Immanuel Kant so loben sollte. Definitionen und Schlussfolgerungen von Begriffen, aus Diskussionen, wurden formuliert. Seine Metaphysik befasst sich intensiv mit dem Sein, das in jeder Art von wissenschaftlicher Disziplin als selbstverständlich hingenommen werde. (Ich bin kein Philosoph, aber ich kann, soweit ich Aristoteles verstehe, nur Sein als Begriff bei ihm finden, über das er natürlich viel schreibt. Das nach meinem Ermessen erst von seinen Adepten bis ins Unsägliche torquierte Seiende, finde ich nicht. Dass es eine ganze, so genannte „Wissenschaftsdisziplin“ die Ontologie, die Lehre vom Sein gibt, rechtfertigt wohl eine Unmenge bedruckten Papiers, aber was sonst noch?)

 

Aristoteles lehrt von Zufall und Zweck, über Dinge der Natur und über die Natur selbst. Er lehrt vom Menschen und seinem Bau und, dass das Gehirn zum Beispiel, ein minderwertiges Organ, lediglich für das Blutkühlen zuständig, sei. Der Geist des Menschen komme vom Herzen. Er lehrt von Wille und Freiheit, Staat und Staatspolitik, die Welt, die ewig in ihrer jetzigen Gestalt ist. Aristoteles formuliert ein Axiom, das Kausalitätsprinzip: „Alles, was bewegt wird, wird notwendig von einem anderen bewegt“. Und dies ist auch für ihn ein Beweis für die Existenz von Gott. Da sich die Welt und alles was zu ihr gehört bewegt, muss einer da sein, der dies macht oder bewirkt.

 

Und schließlich ist da noch die Seele. Sie umfasst bei ihm, wie ich gelesen habe „nicht wie die moderne Psychologie bloß die Bewußtseinserscheinungen, sondern das Leben überhaupt in seinem Grund und seinen wesentlichen Eigentümlichkeiten.“ Gut, soweit Aristoteles und in allergröbsten Hinweisen Auszüge aus seiner damaligen, antiken Philosophie.

 

Nun warum überhaupt die Anführung dieser Philosophen und Mathematiker? Einfach um zu zeigen, dass es Geist und Wissen bereits seit der Antike, ohne Glaube und Dogma, „nachrechenbar“ gab. Dass die Renaissance in den antiken Philosophen, besonders in Aristoteles einen schon für die damalige Zeit umfassend gebildeten Geist fand, war nur teilweise ein Segen. Lediglich die weltlichen Humanisten konnten die Anstöße aus der antiken Philosophie aufnehmen und weiter verarbeiten und sei es nur, um die Ansichten der Philosophen nach oft 2000 Jahren anzuzweifeln oder zu widerlegen. Die Geistlichkeit, die im Papsttum und dem obersten Klerus lediglich das angenehme Leben in die Renaissanceform brachte, sei es in aufwendigem Lebensstil, in Prachtbauten, die nur vorgeschoben zum Ruhm Gottes dienten, aber die eigene Macht demonstrierten, blieb, zumindest was die Lehre für das einfache Volk betraf, dem Mittelalter verhaftet.

 

Soweit es den Menschen betraf, änderte sich an seinem Ausgeliefertsein gegenüber der Religion, der Macht, die wiederum diese zu ihrer Rechtfertigung gebrauchte, bis ins 19. Jahrhundert eigentlich nichts. Dies war und ist in der ganzen Welt so. Die Reformation hatte nicht zum Schisma der katholischen Kirche geführt, denn es entstanden, auch wenn dies heute noch vom Vatikan negiert wird, neue Kirchen. Im Augsburger Religionsfrieden hatte man sich ja auch von beiden Seiten, der katholischen und der evangelischen, quasi einen Nichtangriffspakt zugesichert. Die Evangelen gliederten sich weiter in Unterkirchen auf und schließlich kam die Gegenreformation. Sie war in der Tat gegen jede Reformation der Kirche, was ja ursprünglich die Reformation wollte, gerichtet. Die Inquisition zeigte die Macht des Glaubens in barockem Gold der Kirchen und der öffentlichen Verbrennung derer, die sie nach Folter und Denunziation, der Abweichung von diesem bezichtigte. Davon hat die katholische Kirche sich bis heute nicht distanziert, geschweige denn einen Fehler oder gar ein Unrecht zugegeben. Ländereien wurden hin und her geschoben, zwar meist einseitig zugunsten des Katholizismus und das Volk, das unter jeder Religion sowieso nur litt, eben mit: Cuius regio eius religio. So hatte man das ausgehandelt.

 

In Europa kam es zum 30jährigen Krieg, der die Bevölkerung aller Länder dezimierte. Ob dieser Krieg auch nur anfangs ein Religionskrieg war, mag dahingestellt bleiben. Die unsägliche Armut der niederen Bevölkerung, Stände kann man da nicht sagen, blieb über diesen Krieg hinaus erhalten. Der Absolutismus, der folgte, war sowieso nur etwas für die Herrschenden. Das einfache Volk hatte dem von Gottes Gnaden zu dienen. Ludwig XIV. (1638 - 1715) war seit 1643, noch ein Kind zunächst, König von Frankreich und Navarra, „der Sonnenkönig“. Die Prachtbauten, wie Versailles, die er zur selbstverständlichen Demonstration seiner Macht hinstellte, aus dem Volk pressen ließ, waren Vorbild und Ansporn für den kleinsten Duodezfürsten in Europa. Und in jedem Kaff musste ein „Kleinversailles“ entstehen. Ein späterer, geisteskranker Ludwig, diesmal von Bayern, versuchte gar den aus Frankreich zu übertreffen.

 

Man konnte das Volk auch als Soldaten an andere Herrscher verkaufen. Sogar England bekam für seine Kolonien in Amerika aus Deutschen Ländern – nicht aus Deutschland, denn das gab es gar nicht – Soldaten. Dort musste die Macht erhalten werden, auch der Genozid an der einheimischen Bevölkerung, den Indianern, den schon die unmittelbaren Nachkommen der frommen Pilgrim fathers begannen, musste fortgesetzt werden.

 

Als in der französischen Revolution endlich das unterdrückte Volk sich Luft machte, endlich dem prassenden Adel die Köpfe abschlug, allerdings bald den nachgewachsenen, eigenen Mächtigen, schien es, als wollte Vernunft einkehren. Man sah, dass der Glaube an einen Gott nur Elend gebracht und die Macht seiner Diener gefördert hatte. Aber anscheinend kann die Menschheit nicht ohne Gott leben, so dass man wenigstens die Vernunft zur Göttin erhob.

 

Dieser „Göttin Vernunft“ hatte auch Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord, (1754-1838) gedient. Er war einer der bekanntesten französischen Staatsmänner sowie Diplomat während der Französischen Revolution, der Napoleonischen Kriege und beim Wiener Kongress. Zuerst war er aber Priester und gleich Abt von Saint-Denis in Paris, dann Bischof von Autun. In der Revolution schmiss er die geistlichen Brocken hin, wechselte in den „Dritten Stand“, wurde dessen Vertreter in der Nationalversammlung und war für die Einziehung der Kirchengüter. Papst Pius VI exkommunizierte ihn deshalb, aber sein Gehalt als Abt von Saint-Denis erhielt er weiter. Mit Dantons Hilfe floh er nach England und Amerika, um der “Schreckensherrschaft“ unter Marrat und Robbespierre, der selbst Danton zum Opfer fiel, zu entgehen. Er kehrte nach Ende dieser Herrschaft zurück, wurde Außenminister der Republik, wandte sich aber bald dem neuen Mann Napoleon zu, der ihn nach dem Staatsstreich mit dem gleichen Posten, dem des Außenministers, betraute.

 

Unter Napoleons Kaisertum blieb Talleyrand auch noch Außenminister und, als er sich mit ihm wegen des Krieges gegen Russland und Preußen entzweit hatte, nur noch Herzog von Benevent. Außenminister wurde er erst wieder unter dem Bourbonen Ludwig XVIII. Was er im Wiener Kongress alles bewirkte ist bekannt. Die Revolution von 1830 und den Bürgerkönig Philippe überstand er gut, machte einen Prinzen Leopold Georg Christian Friedrich von Sachsen-Coburg-Saalfeld zum König Leopold I. von Belgien und war zuletzt Botschafter in England.

 

Er, der mit einem Klumpfuß wie Joseph Goebbels gesegnet war, hatte keine ehelichen dafür aber einige uneheliche Kinder, die es meist zu großen Persönlichkeiten und Ehren brachten. Nur seine Vaterschaft am Maler Eugen Delacroix wird angezweifelt, weil er zur Zeit dessen Zeugung, wegen einer venerischen Krankheit, vorübergehend zeugungsunfähig gewesen sein soll.

 

Aber warum nur muss ich diese Geschichte lang und breit erzählen? Offenbar nur, um dem Klerus eins auszuwischen? Das wohl nicht. Es geht mir um den Menschen, den, der vielleicht einmal einem Bischof den Ring küssen muss, der vergeblich auf den Blitz wartet, der aus dem Himmel auf einen Frevler herab fährt, der sieht, was Gott den Seinen gibt.

 

Nun, das war eben die Zeit, die man heute als Aufklärung bezeichnet. In ihr lebte auch Immanuel Kant (1724 - 1804) in Königsberg. Er war an der dortigen Universität Professor für Logik und Metaphysik. Keine Angst: Ich will nicht und kann nicht sein Werk in irgendeiner Weise bewerten oder zerpflücken. Das, was er „allerunterthänigst“ zum Teil seinem König von Preußen gewidmet hat, ist ein ungeheueres philosophisches Werk, an dem noch Generationen von „Kantianern“ eine Aufgabe finden werden. Aber ich muss Kant doch ein wenig zitieren, wie es heute noch an der Universität von Kaliningrad, dem früheren ostpreußischen Königsberg, in deutscher und russischer Sprache steht: „Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.“

 

Man hat uns (mich) mit dem letzten Satz – mehr erfuhren wir nicht über Kant – kurz vor dem Abitur, als es im Fach Religion, das auch schriftliches Abiturprüfungsfach war, im Ethikunterricht, bekannt gemacht. Es hieß aber, dass für Kant „Der bestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir“, der Beweis für das Vorhandensein Gottes war. Es war ein Gottesbeweis, was es auch für uns zu sein hatte. Wir hatten damals nicht der „bestirnte“ sondern der „gestirnte“ Himmel lernen müssen. Das war es aber auch.

 

In frommen Kreisen konnte man damals auch erfahren, dass es Philosophen gab wie Hegel und Nietzsche, die den Tod Gottes herbeigewünscht hätten. Letzterer vor allem, wurde immer als warnendes Beispiel vor den Folgen der Gottlosigkeit dargestellt. Er, der mit 24 Jahren Professor für klassische Philologie, bald aber geistig umnachtet war, wohl, wie man tuschelte, als Folge einer venerischen Krankheit, starb knapp 56jährig in Weimar. Die Philosophen, die es wagten nicht an Gott zu glauben, waren nie sehr zahlreich.

 

Ernst Haeckel, der ein Wegbereiter des Darwinismus in Deutschland war, lehnte zwar jeden Schöpfungsakt strikt ab, sah aber die Natur bis hin zu anorganischen Kristallen als beseelt an. Gott war für ihn identisch mit dem allgemeinen Naturgesetz. Man kann Haeckel mit seiner Eugenik und Rassenhygiene durchaus als Wegbereiter für den Rassenwahn der Nationalsozialisten ansehen, obwohl er bereits 1919 starb. Was er wörtlich über die Tötung von neugeborenen und verkrüppelten Kindern schreibt, könnte nazistischer nicht sein. Aber auch er, Haeckel, brauchte irgendeinen Gott und wenn es nur das allgemeine Naturgesetz war, was auch immer er darunter verstand.

 

Ohne einen Gott kam auch Martin Heidegger nicht aus. Er, der Herr des Seins, des Seienden, des Sei-endens usw., der Ontologie schlechthin, den die Hälfte der heutigen Philosophen für einen riesig aufgeblasenen Scharlatan hält, den die andere Hälfte nahezu anbetet, hält ja die „Seinsgeschichte“ für eine Verfallsgeschichte, die, schon seit den Griechen, durch zunehmende Seinsverlassenheit, nur in planetarischer Technik und im Nihilismus enden kann.

 

Ich habe diesen geschwollenen Satz übernommen. Gewiss habe ich auch in Heideggers Schriften und in erklärenden Kommentaren dazu, in Büchern, gelesen. Ich habe also nicht Heidegger studiert. Es mag an meinem geringen Intellekt liegen, der qualitativ dem der Hälfte der Philosophen, die Heidegger für einen Scharlatan halten, zu entsprechen scheint, aber ich kann hundertmal geschraubten Unsinn, auch wenn er auf sehr, sehr viel Papier ist, nicht für den Gipfel der Weisheit halten. Dies Meinung mag den Heideggerianern so egal sein, wie mir deren Meinung dazu ist.

 

Womit ich mich nicht aufhalten will, ist das Leben des ehemaligen Jesuitenzöglings und seiner Wandlungen. Ich habe mit Respekt bemerkt, dass er sich auch der Mathematik zugewandt hatte, also einer exakten Wissenschaft, wie dies viele Philosophen taten. Leibnitz hat die Infinitesimalrechnung eingeführt. Dass ich dies betone liegt daran, dass es auch unter Philosophen – worunter ich mich nicht zähle – keineswegs üblich ist, den anderen nicht in oft übler Weise herabzusetzen. Ein Philosoph, der auch ein großer Mathematiker war, Bertrand Russel, er hat u. a. zusammen mit Alfred North Whitehead die Principia mathematica herausgegeben, wird in manchen philosophischen Werken nur als der Ehemann von vier Frauen, der, der oft in Geldnöten war, weil er für soziale Einrichtungen spendete und ein Mal wegen seiner Überzeugung im Gefängnis war, angeführt. Dass er wirklich ein großer Philosoph war, wen interessiert das schon? Doch er ist der Philosoph, sicher mit noch einigen anderen, der ohne Gott und auch ohne Ersatz für ihn, auskommt. Und dies ist letztlich mein Anliegen, dass man endlich den Menschen von seinem Glauben an Gott befreit.

 

Doch kurz zurück zu Heidegger: Er hat über Biophysik und Biotechnologie geschrieben und die Befürchtung geäußert, dass man damit den Menschen zu einem bloßen organischen Wesen machen kann, wie man ihn eben braucht. Ich lasse diese Befürchtung den Jüngern Heideggers gerne. Wahrscheinlich werden auch noch viele Philosophen und Theologen, wie ja gehabt, mit ihm promovieren und sich profilieren können.

 

Vom Glauben an Gott habe ich geschrieben und meine dies genau so, nämlich, nicht von Gott befreit. Ich hoffe, wenn auch in gebotener Kürze, dargelegt zu haben, dass eine menschliche Erfindung, die stets versagt hat, das heißt das nicht erfüllte was man von ihr hätte erwarten können, die man vor einigen tausend Jahren in die Welt setzte, nicht existiert. Auch der Ersatz dafür, also wenn schon nicht Gott, dann irgend etwas von Demiurg oder „Höherem Wesen“ – man lese Heinrich Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ – ist nicht existent.

 

Freilich bin ich mir sicher, dass die Menschheit nicht ohne „irgend etwas muss es doch geben“ auskommt. Ich will auch weder einen anderen Ersatz anbieten, noch Gott irgendjemand, der ihn braucht, ausreden. Dann wäre ich Priester und religiös. Ich möchte aber, dass die Menschheit so weit frei wird, dass sie sich von keinem Papst, keinem Imam, keinem noch so charismatischen Ideologen in ihren Gedanken, ihrer geistigen Evolution, mehr unterdrücken lässt. Die Zeit der Scheiterhaufen sollte vorbei sein.

 

Natürlich wird man sagen: das ist Anarchie, Sittenlosigkeit, Kriminalität, Aufforderung zum Verbrechen. Und vor allem ist es Sünde und der Mensch wird Schaden an seiner Seele nehmen und letztlich wird dadurch die Menschheit untergehen. Letzteres stimmt. Untergehen schon, aber nicht dadurch. Ich werde das noch begründen müssen, aber auch ausführen, dass bis dahin, auch ohne Gott, Sünde und Seele, die Menschheit nicht im Chaos untergehen müsste.

 

Also, nun kommt endlich die Seele dran. Aber wie kann man nur über die Seele überhaupt diskutieren? Ist das nicht Blasphemie? Wo doch Gott dem Menschen, als er ihn schuf, die Seele eingehaucht hat. Von mir aus. Aber welcher Gott? Der, der vor 6000 oder wie viel Jahren die Sache mit Adam und Eva gemacht hat? Hat der da auch an die Chinesen gedacht? Mussten da irgendwelche Schamanen stellvertretend einspringen?

 

Natürlich wird man sagen, dass das sinnlose Lästerei ist. Man weiß doch, dass der Mensch aus Leib und selbstverständlich auch aus Seele besteht. Warum hat man denn in der Inquisition die Menschen verbrannt, ich meine die Ketzer natürlich, warum? Weil man eben die Seele mit verbrennen wollte, damit nichts von dem Natterngezücht, auch später nicht, mehr auferstehen kann. Weil aus Asche keine Auferstehung des Fleisches mehr möglich ist oder sein soll, kann auch die Seele nicht wieder auferstehen und man hat sie eben, noch bevor sie zum Himmel oder zur Hölle fahren konnte, gleich mit dem Leib verbrannt. Aber wenn das immer schon klar war, was die Seele ist, warum musste man so viel diskutieren?

 

Fangen wir wieder bei den Philosophen an, bei Platon. Dieser hielt die Seele für präexistent, sogar für substanziell, also ein irgendwie fassbares Gebilde, sie war also schon immer da, bevor der Leib da war. Aristoteles ließ sie nur zusammen mit dem Leib entstehen. Die christlichen Kirchenväter, voran Augustinus, konnten nicht genug davon bekommen, „de Statu animae“ oder nur „de anima“ zu schreiben. René Descartes (1596–1650) gab dem Leib, der res extensa, einem mechanistischen, erklärbaren, man möchte meinen primitivem Gebilde, was des Leibes ist und der sogar denkenden Seele, der res cogitans, was der Seele ist. Leib und Seele seien also zwei verschiedene Entitäten, wobei letztere immateriell ist. Tiere können somit gar keine Seele haben. Es ist verständlich, dass Descartes bei dieser Auffassung auch zu seinem berühmten Satz: „Ich denke, darum bin ich (cogito ergo sum)“ kommen musste.

 

Ich bin wahrscheinlich zu dumm, um hinter diesem Satz Descartes’ auch nur einen Funken Logik oder Gescheites zu entdecken. Alles was nicht denkt, ist nicht? Woher weiß ich, was und ob ein anderer denkt? Vielleicht die Gedankenübertragung? Diese, die der halben Menschheit als nicht möglich nicht klarzumachen ist, weil man doch unzählige Beispiele und Beweise habe? Und Tiere, die keine Seele haben, können nicht denken, also sind sie nicht? Aber das ist doch immateriell, wird man sagen, geistig, gedanklich eben. Na und? Ich empfehle das „cogito ergo sum“ denen, die glauben mit einer Dauerkarte beim Karussellfahren, doch noch an ein entferntes Ziel zu kommen.

 

Aber ist damit beantwortet, was die Seele ist? Das wohl nicht. Irgendetwas muss sie doch sein. Ich kann dies zunächst auch nicht beantworten. Zudem will ich nicht mit dem, ich weiß nicht welchem Anatom zugeschriebenen Satz argumentieren, dass er bei unzähligen Sektionen von Menschen, „nie eine Seele“ gefunden habe. Und, wenn man schon die Seele nie gefunden hat, so wollte man doch wenigstens ihren Sitz wissen. So hat Samuel Thomas von Soemmerring, in Mainz, über das Organ der Seele geschrieben. Er meinte in den Hirnventrikeln und der Ventrikelflüssigkeit müsse so der Sitz der Seele sein, da sämtliche Hirnnerven an den Wänden der Ventrikel enden würden. Nun, auch eine Topographiediskussion ist nicht sinnvoll, da wir ja sonst davon ausgehen müssten, dass die Seele irgendwo sitzt und wir diesen Ort nur nicht finden.

 

Aber, wäre es nicht möglich, dass wir, gerade wie angeblich die Tiere, gar keine Seele haben und trotzdem denken und - ich sage sogar ganz vorsichtig, weil es ein neues Problem aufwirft – fühlen können? Wirklich? Dazu später noch mehr.

 

 

Der Mensch und sein Gehirn

 

Wir wollen uns zunächst dem Gehirn zuwenden, auch wenn wir dies schon einmal, als es um seine Größe beim Neandertaler, dem Homo sapiens sapiens und den Frauen ging, getan haben. Dass dies die Schaltzentrale unseres Lebens ist, dürfte inzwischen unbezweifelt sein. Es ist eben nicht, wie Aristoteles meinte, ein Kühlapparat für das Blut. Aber was ist es überhaupt? Wenn ich es in zwei, drei Sätzen beschreiben könnte, wäre es nicht unser Gehirn. Auch wenn ich meinte, was ich nicht tue, dass wir jetzt so ziemlich alles darüber wissen, wäre das sicher ein Irrtum. Am besten, wir versuchen dieses Organ so gut wie möglich zu beschreiben.

 

Schon während meines Medizinstudiums, dann während meiner Tätigkeit als Physiologe, war der „dekapitierte Frosch“ ein zentrales Studienobjekt. Einen Frosch zu dekapitieren, war Handwerk und es bedeutete, dass man einem Frosch mit einem Scherenschlag das Gehirn abschnitt. Dass der Frosch dann trotzdem forthüpfen konnte, was er oft tat, war der Beweis, dass hüpfen und bewegen auch ohne Gehirn geht. Wir waren sicher, dass der Frosch, jetzt ohne Gehirn, nichts mehr fühlen und denken könne und somit auch keinen Schmerz verspürt. Das dürfte wohl auch so sein und im übrigen diente uns der Frosch oder seine Muskulatur für elektrophysiologische Experimente und, in der Vorlesung und den Praktika, für die Studenten zum Beweis für Reiz und Reizantwort usw. Wir lernten und lehrten etwas über Reflexe, so Eigenreflexe, die durch direkte Reizung, am Muskel etwa, auszulösen waren und Fremdreflexe, die erst über Nervenbahnen und das Rückenmark gehen mussten. Auch konnten wir, zumindest an Anschauungsmaterial den Pawlowschen Versuch zeigen, der bei einem Hund, dem man durch eine Operation eine Fistel am Magen angelegt hatte, das Einsetzen der Magensaftproduktion bei einem Signal (Gong oder Fressnapf) demonstrierte, auch dann wenn der Hund noch gar nichts zu fressen bekommen hatte. Der Hund wusste aber und hatte es sich gemerkt, dass es immer etwas zu fressen gab, wenn so ein Signal kam. Das war wieder der Beweis, dass offensichtlich ein Signal, das über das Gehirn gehen musste, also über das Gehör oder das Auge, mit dem Anblick des Napfes, auch an einem fernen Organ, dem Magen, etwas bewirken konnte. Eine direkte Reizung der Magenwand durch Futter, war also nicht notwendig.

 

Etwas war noch merkwürdig während meines Medizinstudiums: Die Nervenbahnen. Der Anatom nämlich lehrte, dass ein Nerv von einer Nervenzelle im Gehirn bis zu seinem Erfolgsorgan, dem Magen oder den kleinen Muskeln am großen Zeh, in einem Stück verlaufe. Irgendwelche Schaltstellen, die Synapsen, von denen die Physiologen immer redeten, gab es nicht. Er, der Anatom, hatte noch nie so eine Synapse gesehen, also konnte es sie nicht geben. Im benachbarten Physiologischen Institut, das er „die Froschklinik“ nannte, wusste man aber etwas von Synapsen, auch wenn man sie nicht so gut abbilden konnte, wie dies heute elektronenoptisch möglich ist. In anatomischen Instituten anderer Universitäten wusste man übrigens auch schon von ihnen.

 

Was ich damit sagen will ist, dass einerseits das Wissen um Gehirn und Nervensystem, keineswegs einen Endpunkt erreicht hat, dass Wissen ganz allgemein, zeitlich und örtlich äußerst unterschiedlich aufgenommen wird und, dass man andererseits deduktiv, aus dem Verhalten bestimmter Systeme, deren Struktur ableiten oder voraussagen kann. Wir wissen heute, dass eine Nervenzelle im Gehirn, ein Neuron, nicht Fortsätze hat, um sich vielleicht irgendwo festzuhalten, sondern, dass über diese Fortsätze, die Dendriten, eine Kommunikation, ein Austausch von Information, mit anderen Neuronen, stattfindet. Auch der in die Peripherie gehende Fortsatz der Nervenzelle, das Axon, kann noch mit anderen Nervenzellen in Verbindung stehen. Dass hier Botenstoffe, ganz unterschiedliche, eingeschaltet sind, weiß man nicht nur daraus, dass bei ihrem Fehlen oder Mangel, bestimmte Krankheiten, etwa die Parkinsonsche Krankheit, zum Ausbruch kommen. Man kann heute sehr gut die Übertragung neuraler Prozesse durch Botenstoffe im Experiment simulieren.

 

In den letzten Jahren des letzten Jahrhunderts hat man zudem eine Entdeckung gemacht, nämlich die, dass die so genannten Gliazellen, ein bisher im wesentlichen als Stützgewebe, von ganz unterschiedlichem Aussehen der Zellen, angesehenes Gewebe, eine durchaus wichtige Funktion für die Signalübertragung im Gehirn haben. Man hat Verbindungskanäle im Nanobereich, also ungeheuer kleine, entdeckt, in denen Kaliumionen in gequantelten Einheiten, für eine Signalübertragung sorgen. Die Signalübertragung erfolgt nicht nur zwischen Gliazellen sondern auch zwischen diesen und Neuronen. Ich will jetzt nicht die Quantentheorie ins Spiel bringen – dazu fehlen mir die ganz speziellen physikalischen Kenntnisse und einfach das wissenschaftliche Arbeiten am Objekt – aber ein Nachdenken wäre hier nicht gerade falsch.

 

Die Signalübertragung in den Kaliumkanälen der Gliazellen ist, verglichen mit der Nervenleitgeschwindigkeit in Neuronen, sehr langsam. Aber auch in Neuronen und den zugehörigen Nerven, einschließlich der Dendriten, ist die Nervenleitgeschwindigkeit kein elektrischer Impuls, der mit annähernd so hoher Geschwindigkeit wie in elektrischen Leitungen, Kabeln, abläuft. Elektrische Impulse werden im Organismus sowieso nur von Zelle zu Zelle weitergeleitet. Und noch etwas muss hier schon angesprochen werden: Es geht im Gehirn und im Nervensystem nicht nur um Signalübertragung bis zu einem Erfolgsorgan, um dort etwa auszulösen was das Organ zu tun hat, - dass eine Rückmeldung zum Gehirn erfolgt in der Art „mein rechter Arm befindet sich jetzt auf dem Tisch aufgestützt“ ist fast trivial, - sondern es geht darum, neben fördernden Botenstoffen wie Glutamat, auch bremsende, filternde, die Signalübertragung unterdrückende zu haben. Fällt ein solcher „Mechanismus“ aus, können also Nervenzellen ungebremst Signale an andere weitergeben, ein sich sozusagen aufschaukelnder Prozess, kommt es schlicht und einfach und gut sichtbar, zu einem epileptischen Anfall. Es ist also notwendig, dass Neuronen, Nervenzellen, in einem “Netzwerk“ verbunden sind, um sich immer wieder quasi zurückzuversichern, ob die Weiterleitung eines Impulses und auch an welche Gehirnteile erforderlich, nützlich ist, oder besser unterbleiben sollte.

 

Doch warum jetzt diese Erörterung, die noch keineswegs zu Ende ist, über Gehirn und Nervensystem? Nun, wir wollen doch wissen, warum wir was tun und ob man dazu Geist, Erinnerung, Vorausschau oder gar eine Seele braucht. Wir wollen wissen, was hält gesund, macht krank und wie kann man, wenn überhaupt möglich, eine Krankheit, ich sage ganz vage, zum Guten hin, behandeln. Können wir Krankheiten oder die Anlage dazu frühzeitig erkennen und wenn ja, was nützt es uns?

 

Aber was ist denn unser Gehirn überhaupt? Zumindest eine wahrscheinlich kostbare Masse, sonst wäre sie nicht so geschützt von harten Knochen des Schädels umgeben. Doch so war es schon bei den Neandertalern, bei den Menschenaffen, bei Säugetieren wie Schwein, Hund, Rind, Ratten. Auch Vögel und Fische haben ein Gehirn. Wo ist das Gehirn bei Muscheln, bei Würmern? Auch die zuletzt genannten Wesen müssen doch zumindest so etwas wie Nerven haben. Eine lebendige Muschel schließt sich, wenn man auf sie klopft. Ein Wurm verkriecht sich wieder in der Erde, wenn man ihn beim Umgraben aufgedeckt hat. Schweine geben, wenn man sie in einem Schlachthof auf das Band zur elektrischen Tötung treibt, Laute von sich, die man nur als Todesangst bezeichnen kann. Also können wir schließen; je höher ein Wesen in der Evolution steht, desto differenzierter sind seine „Reizantworten“. Und wenn wir ganz grob all die Wesen ansehen, merken wir, dass das Gehirn, im Verhältnis zum gesamten Körper immer größer wird. Vor allem sind es die so genannten Hirnlappen, die Hirnrinde, die bei den Tieren bis zum Menschen, immer mehr zunehmen.

 

Wir sollten nicht lange darum herum reden: Es ist der in der DNA niedergelegte Bauplan, der auch unser Hirn zu dem werden ließ, was es ist. Und die DNA hat auch das Gehirn von Affen, die Nervenstränge, die in einem Wurm das Gehirn darstellen, also in abnehmender Folge der Evolution, das was wir als Schaltzentrale eines Wesens ansehen, entstehen lassen. Vielleicht wird uns aber daraus klar, dass wirklich Milliarden von Basenpaaren, die DNA in einer unserer Zellen bilden müssen, dazu die verschiedene Kombination von Genen, notwendig ist, nicht nur, um einen Organismen aufzubauen, sondern, um ihn in einem funktionstüchtigen Zustand, und sei es nur für die Fortpflanzung, zu erhalten.

 

Dass die DNA seit der, die den ersten Plan für den Bau einer Zelle enthielt, immer größer wurde, das heißt die Stränge immer länger wurden, die Zahl der Chromosomen sich änderte, ist verständlich. Verständlich auch, dass sich das Erbgut, also die DNA zwischen Mensch und Schimpanse unterscheiden musste, auch wenn es nur um etwa ein Prozent war. Dieses eine Prozent bedeutet bereits Millionen von Basenpaaren und von Kombinationsmöglichkeiten. Und wenn sich das Mausgenom von dem des Menschen um fünf Prozent unterscheidet, so ist das riesig. Aber wozu 95 Prozent mit der Maus gemeinsam? Ganz einfach: Jede Leber-, Muskel-, Nieren-, Hirn-, Knochen- usw. -Zelle, muss im Bauplan der Maus-DNA genauso enthalten sein wie in der menschlichen, weil eben Bau und Funktion, einer Niere zum Beispiel, bis auf die Größe gleich sind.

 

Ich will auf noch etwas kommen, was unser Gehirn und unser Leben überhaupt betrifft: Es ist das, was wir Stoffwechsel nennen. Stoffwechsel ist auch die Energiegewinnung aus Zucker, der Aufbau von körpereigenem Eiweiß aus Fremdeiweiß. Dieser Stoffwechsel findet in den Leberzellen, auch in Muskelzellen – hier über die Substanz ATP (Adenosintriphosphat) statt. Auch das Gehirn hat einen Stoffwechsel. Es ist auf Sauerstoffzufuhr über das Blut angewiesen. Wird diese nur einen Moment unterbrochen, bei einem Kreislaufkollaps etwa, folgt ein sofortiger „blackout“, der Betroffene wird ohnmächtig und fällt um. Die ausgefallenen Hirnfunktion setzt gleich wieder ein, wenn wir nur beim dort Liegenden die Beine anheben, wodurch die Blutzufuhr zum Gehirn ansteigt. Das ist allgemein bekannt. Einen langsameren blackout, kenntlich  daran, dass die Orientierung verloren geht, Hilflosigkeit und schließlich doch Bewusstlosigkeit eintritt, haben wir beim Absinken des Blutzuckerspiegels, beim „Unterzucker“ eines Zuckerkranken. Wir werden bald nochmals auf Besonderheiten des Stoffwechsels im Hirn zurückkommen.

 

Zunächst aber zu einer relativ neuen Untersuchungsmethode, der Kernspintomographie. Im Prinzip geht es hierbei darum, dass sich die magnetischen Eigenschaften verschiedener Gewebe nicht nur unterscheiden, sondern sich im Ablauf von Stoffwechselprozessen ändern können. Man spricht daher auch von Magnetresonanztomographie. Untersucht man, mit Hilfe eines relativ starken Magneten die (Magnet)-Feldeigenschaften eines Körpers und dies noch sozusagen scheibchenweise (daher Tomographie) so erhält man über Computerberechnungen ein Abbild des Körpers oder dessen was man untersucht hat. Bezogen auf den Menschen, den man dazu wie bei der Computer(Röntgen)-tomographie in eine Röhre schiebt (es gibt inzwischen auch offene Geräte) kann man die einzelnen Gewebe, also Knochen, Muskeln, Herz, Lunge usw. darstellen. Im Gehirn sieht man unterschiedliche Gewebe, wie Weiße und Graue Substanz, Ventrikel mit Flüssigkeit, auch Geschwülste usw. Was aber die Sache sehr interessant macht ist, dass man sich ändernde Gewebeeigenschaften darstellen kann. Und Gewebe, in dem etwas abläuft, und seien es winzigste Stoffwechselprozesse, der Austausch von Botenstoffen, das ist „aktiv“ und das kann man erfassen, bildlich darstellen.

 

So war es möglich, an freiwilligen Versuchspersonen zu erforschen, was passiert und ob überhaupt und wenn dann wo im Gehirn, durch einen Reiz, sei es durch Betrachten eines hingehaltenen Bildes oder durch Hören bestimmter Musik, eine Emotion ausgelöst wird. Und man ist fündig geworden. So konnte man eine Art Landkarte für die Aktivität bestimmter Hirnareale bei wiederum bestimmten geistigen oder körperlichen Tätigkeiten anlegen.

 

Gewiss war schon früher eine Zuordnung bestimmter Hirnteile zu bestimmten Eigenschaften möglich. Das Stammhirn, der evolutionär älteste Teil des Gehirns, sorgt dafür, dass auch im Schlaf, Blutkreislauf und Atmung funktionieren. Von welchen Teilen der Hirnrinde Muskelbewegungen gesteuert oder Schmerzen lokalisiert werden, ist lange bekannt. Auch, dass im Stirnlappen des Gehirns irgendetwas sitzen müsse, das Gedanken, Gefühle, ja Wahn verarbeitet wusste man. Daher wurde bei schwerer Schizophrenie, keineswegs immer mit Erfolg, eine so genannte frontale (frons = die Stirn) Leukotomie, die Durchtrennung der weißen Substanz, durchgeführt. Man ging, das sei nur nebenbei erwähnt, oft recht großzügig mit dem Gehirn um, das ja meist das von anderen war.

 

Nun, worauf es hier ankommt, ist nicht der Nachweis der Lokalisation von Prozessen, sondern der Nachweis von Stoffwechselprozessen überhaupt. Und hier kommt wieder unsere DNA und auch die RNA ins Spiel. Es ist sicher, dass ein bereits fertiger Bauplan des Gehirns existiert. Jedoch wissen wir, dass das kindliche Gehirn bei der Geburt keineswegs ausgereift sondern noch in Entwicklung ist. Diese  Reifung ist, weil sie ja bei jedem Kind in gleicher Weise abläuft, vorprogrammiert. Doch auch, wenn ein Gehirn sozusagen ausgereift ist, ist es keine überdimensionale Platine eines Computers, auf der jetzt mit binären Impulsen oder womit auch immer, das verarbeitet wird, was man als input hinein gegeben hat.

 

Wie schon gesagt, steuert ein evolutionär alter Teil unseres Gehirns, Atmung, Kreislauf, Stoffwechsel usw. Es gibt Teile des Gehirns, die liegen unter der Hirnrinde, dem so genannten Kortex, also „subkortikal“, was eben unter dem Kortex heißt. Dieser hat, wie wir gleich sehen werden, viel mit unserem Bewusstsein zu tun. Es muss aber Tätigkeiten geben, die wir gar nicht mehr bewusst steuern oder zu steuern brauchen, die also subkortikal ablaufen. So wäre es furchtbar, wenn man bei jedem Schritt jeden einzelnen Muskel sozusagen kommandieren müsste. Dies allein gäbe, in eine Computersprache übersetzt, weil man ja nicht nur Zustände sondern Abläufe programmieren müsste, ein Programm gigantischen Ausmaßes.

 

Aber warum schreibe ich über solche oft für Banalitäten gehaltene Abläufe? Nun, weil auch tatsächlich so etwas wie eine Programmierung stattgefunden hat und zwar eine schon genetisch vorgegebene. Wenn nicht solche Entwicklungen in der DNA eines jeden Kindes schon festgelegt wären, bevor es laufen lernt, könnten sich einzelne Individuen von Kindern dazu entschließen, ein Leben lang nur zu krabbeln oder zu hinken. Und diese „Selbstverständlichkeiten“ sind in jedem Lebewesen der gesamten Entwicklungsreihe seit den Einzellern vorgegeben. Auch bei Pflanzen wachsen die Blätter für jede Art stets in gleicher Form.

 

Noch klarer wird dies bei kortikalen Zellen, in denen unsere bewussten Tätigkeiten, auch Erinnerungen, letztlich Emotionen gesteuert werden. Auch hier ist der Plan, Zellen zu bilden, in denen solche Abläufe gespeichert werden, bereits festgelegt.  Ein Beispiel: Es ist sehr wahrscheinlich, dass Hirnzellen eine Information – den Reiz von einer Nervenzelle der Netzhaut des Auges aufnehmen und „verarbeiten“. Dies heißt, der Reiz wird, über Nervenbahnen und Botenstoffe zur Sehrinde geleitet. Dort entsteht ein Abbild dessen was zu sehen ist. Als Bild, also mit einer Bedeutung versehen, wird dieses erst wahrgenommen, wenn der Impuls an andere Zellen gelangt, in denen zu Beispiel „Haus oder Gesicht“ gespeichert ist. Dies geht aber nicht über ein elektrisch leitendes Drähtchen an einen Akku oder Kondensator, sondern kann nur über die Produktion eines ganz bestimmten, für den Reiz spezifischen Eiweißkörpers über die RNA und die Ablage an einer bestimmten Stelle des Gehirns gehen. So entstehen dann eben im Laufe des Lebens, abhängig von der Intensität eines Eindrucks und wie oft man ihn hatte, bei optischen Reizen Erinnerungen, die dann abgerufen werden können. Aber diese Prozesse sind nicht unbedingt ein Automatismus und vor allem, sie brauchen wie alle chemischen Reaktionen, Zeit und optimale Umgebungsbedingungen.

 

Was ich damit, nach langer Vorrede, sagen will, ist folgendes: Eine Emotion, auch eine spätere Erinnerung, braucht mindestens fünf Minuten Zeit, bis eine Matrix, ein Eiweißabdruck, im Gehirn entstanden ist. Banal gesprochen sind die letzten Sätze eines Buchs, das beim Einschlafen gelesen wird, vor allem, wenn man sofort in einen Tiefschlaf fällt, am andern Tage weg. Ich denke, dass dieses Phänomen niemandem fremd ist. Aber offensichtlich wird unter erschwerten Umgebungsbedingungen, das sind etwa eine Narkose, eine nicht nur kurzzeitige Unterbrechung des Blutkreislaufs zum Gehirn, ein nicht zu schweres Hirntrauma, eine Gehirnerschütterung, eine Information, die man kurz zuvor hatte, nicht gespeichert. Um also in einem übergeordneten Depot abgelagert zu werden, braucht es noch mehr Zeit. Es fehlen dann, nach einem Trauma, Stunden oder Tage in der Erinnerung vor dem gewissen Ereignis. Als Beispiel will ich einen meiner Patienten anführen, bei dem während einer Operation ein kurzzeitiger Kreislaufstillstand eintrat, der aber vom Anästhesisten sofort behoben wurde. Unmittelbar nach der Operation waren Herz, Kreislauf und Atmung stabil. Nur, der Patient erwachte drei Wochen lang nicht aus einem Coma. Er konnte ohne Hilfe atmen, der Blutdruck war stets normal, wir ernährten ihn über eine Sonde. Nach drei Wochen erwachte der bisher auf keinen Reiz reagierende Patient, innerhalb einer halben Stunde. Seine Frau führte ihn nach einigen Wochen zu mir, damit er sich für unsere Hilfe bedanken könne. Er kannte mich nicht, wusste nicht warum er operiert wurde, warum wir ihn eingehend auf die Operation vorbereitet hatten. Die letzten vier Monate seines Lebens waren in seiner Erinnerung ausgelöscht. Alles andere, was vorher war, er war Direktor einer großen, öffentlichen Einrichtung, war lückenlos vorhanden.

 

Und noch ein Beispiel muss ich bringen: Der damals betrunkene Fahrer des Autos, in dem die englische Prinzessin Diana und ihr Freund umkamen, und er, der Fahrer, selbst schwer verletzt wurde, wird bis heute immer wieder nahezu bekniet, um Erinnerungen aus ihm herauszuholen. Es müssen schwachsinnige Leute sein, ob Ärzte, Psychologen oder wer immer, die glauben, auch nur irgendeinen Gedächtnisfetzen aus diesem Menschen herauszuholen. Sie können ihm allenfalls etwas so lange vorsagen, bis er selbst glaubt, dass es so war.

 

Wenn ich hier zwischendurch ein Fazit ziehen soll, Statement kommt mir zu aufgeblasen vor, dann muss ich sagen, dass der Mensch, wie bekannt aufgebaut ist und offensichtlich – zumindest nach seiner Meinung – das bisherige Endglied der Evolution darstellt. Er unterscheidet sich minimal, aber wesentlich, von seinen unmittelbaren Vorfahren in der Evolutionsreihe, ist jedoch nicht Produkt oder Krone irgendeiner Schöpfung. Eine Seele, worum es hauptsächlich in diesen Erörterungen geht, hat er nicht oder er hat sie soviel oder so wenig wie seine Vorfahren.

 

Ich weiß nicht, ob das eben Geschriebene einen empörten Aufschrei oder allenfalls ein müdes Lächeln hervor ruft. Vielleicht nichts von beidem, was mich nicht kränkt. Jedoch muss ich die begonnenen Gedanken weiterspinnen, schon zur Freude derer die weiterlesen wollen. Auch muss ich mich zunächst allgemeiner Begriffe und Argumentationen bedienen, um dort weitermachen zu können, wo viele aufhören.

 

„Also, es ist doch wohl nicht möglich, dass der Mensch, dieses überaus komplizierte und wahrhaft göttliche Wesen, ohne Gott, ohne Schöpfung, ohne Seele, nur aus einer Laune der Natur, aus einem Eiweißknäuel, einer DNA entstanden sein soll“. Zunächst, warum nicht? „Wenn mir aber mein Gefühl, mein Glaube, mein Gemüt, mein Denken, meine Moral, etwas ganz anderes sagt, dann kann doch dies nicht falsch sein“. Warum nicht?

 

Das ist vielleicht etwas viel auf ein Mal. Gefühl und so weiter. Gut, fassen wir das Thema so wie wir es in der Schule, im Aufsatz, vor dem Abitur gelernt haben, e contrario an. Wenn also das mit der DNA richtig sein sollte, müssten alle Menschen gleich sein. Das sind sie aber nicht. Schon charakterlich unterscheiden sich doch so viele, „wenn ich nur an Onkel Alois und Onkel Friedrich denke“. „Auch wenn alle Menschen gleich sind, ich möchte es nicht sein. Neger und Juden, wo kämen wir hin?“ „Es muss also doch eine verschiedene DNA geben. Sieht man doch“.

 

Also gut, es gibt eine verschiedene DNA. Ich habe bisher nie etwas Gegenteiliges behauptet. Von Genen, also DNA-Abschnitten, die auf Chromosomen sitzen, denen verschiedene Eigenschaften (nicht Arten oder Unterarten) zuzuordnen sind, die an- oder abgeschaltet sein können, usw., habe ich geschrieben. Und jetzt muss ich sagen, dass noch viel hinzu kommt. Zunächst die Variabilität von Eigenschaften. Ob man dies Charakter nennen soll, ist jetzt nicht entscheidend. Es ist eben die Variabilität der Gene und der unterschiedlichen und unzähligen Variationsmöglichkeiten der Kombination, die diese bestimmen. Aber wir wissen schon, dass nicht ein Gen immer eine bestimmte Eigenschaft ausmacht oder eine Eigenschaft nur durch ein einziges Gen bestimmt wird. Denken wir an das Gesicht unseres Partners: Wir würden ihn oder sie, sein oder ihr Gesicht, aus Millionen von Menschen herausfinden. Auch „so lächeln wie sie, kann sonst keine“. Und trotzdem hat von der Million der anderen, jeder nur zwei Augen, nur eine Nase, nur einen Mund. Es muss also ein übergeordnetes Prinzip geben und dies ist das menschliche Genom mit den unzähligen Eigenschaften, die menschliche DNA.

 

Doch hier muss ich nachlegen: Wenn wir aus der Million Menschen alle gleichaltrigen, geschlechtsreifen Individuen, unabhängig ob sie schwarz oder weiß, Chinesen oder Indianer oder Eskimos sind, auswählen würden und sie ob unter Zwang oder nicht, dazu brächten sich zu paaren, gäbe es sicher eine Menge bunter Kinder. Das heißt also, dass es entscheidend ist die DNA der Gattung oder Spezies Mensch zu haben, alles andere ist schon drin. Eine Paarung zwischen Angehörigen verschiedener Spezies führt a priori zu keinem Erfolg.

 

Ob wieder ein Aufschrei erfolgt oder nicht, weiß ich nicht. Wenn alle Menschen gleich wären, müssten doch alle so Klavierspielen können wie Jewgeni Kissin. Na aber, wird man sagen. Geht doch nicht, der hat es eben gelernt, seit dem dritten Lebensjahr, und gute Lehrer gehabt. Das vielleicht auch. Doch ich kenne eine Menge Leute, die lernten und gute Lehrer hatten und nie über ein allenfalls schönes Spiel hinauszukommen. Kissin, so habe ich gelesen, habe im Flugzeug nach USA die Noten eines Klavierkonzerts gelesen, das er noch nie gespielt hatte. Er habe aber gleich, nur einen Tag später, das Konzert auswendig gespielt. Vielleicht war das gut erfunden, doch ich habe Kissin spielen gesehen und gehört, auch als er noch ganz jung war, und da konnte ich nur sagen: göttlich.

 

Bleiben wir bei den Musikern: Ob ein Glenn Gould, ein Claudio Arrau, ein Maurizio Pollini, ein Rudolf Buchbinder, ein Arturo Benedetto Michelangeli, alle mussten etwas „in den Genen haben“, das sie, über einen unbedingten Fleiß hinaus, zu oft unerreichten Größen machte. Gewiss, Michelangeli ließ oft das Publikum vor dem Konzertsaal warten, weil er unbedingt noch üben musste und Pablo de Sarasate schimpfte, dass man ihn ein Genie nannte, wo er doch täglich mehr als acht Stunden übte.

 

Musikgene? Ja, wahrscheinlich. Denken wir an die Familie Bach, in der auch die Söhne große Musiker waren. Leopold, Wolfgang Amadeus und Nannerl Mozart, die Wunderkinder des Musikervaters! Aber wir wollen nicht alles auf die Gene schieben, wenn wir anscheinend nicht die richtigen haben. Und ist nicht manchmal, ohne dass ich auch nur angedeutet und bildlich, den schon genannten Musikern „etwas am Zeug flicken“ möchte, eine hervorragende Eigenschaft mit einer anderen, die wir als negativ einstufen, verhaftet? Manchen Menschen kann man absolut kein vernünftiges Zeichnen beibringen, aber sind sie schlechter, allgemein minderbegabter als der, der die Banknoten der letzten Bank in der Mongolei unvergleichlich nachmacht und fälscht? Und stellen wir uns einen Menschen vor, bei dem alle „Musikgene“ abgeschaltet sind, nur die für Brutalität, Aggressivität und Betrug disponierenden sind auf „on“? Ein triviales und anekdotisches Beispiel: G. B. Shaw wurde nachgesagt er sei von einer wunderschönen Frau, einer Diva, eingeladen worden sie zu heiraten. Es müsste doch wunderbare Kinder geben, mit ihrer Schönheit und seinem Verstand. Und Shaw habe geantwortet: Und was wäre, wenn die Kinder meine Schönheit und ihren Verstand bekämen?

 

Aber, soviel ich weiß, hat die Hochzeit nicht stattgefunden. Und wenn sie es hätte, wäre es nicht so schlimm geworden, weil es eben ein einzelnes Gen für Schönheit so wenig gibt, wie eines für den Verstand.

 

Nun nochmals: DNA hin oder her, es gibt ja auch noch unsere Kultur, unsere Kunst, und nicht zuletzt unseren Glauben und was noch alles. Hat die abendländische Kultur nicht vielleicht unsere Gene beeinflusst, sie gar verändert? Unser Fühlen, Rezeption von Kunst, das ist in uns, in uns Europäern zumindest. Das kann kein Neger, kein Asiat nachfühlen. Und Lang Lang und André Watts, der eine Chinese, der andere 1946 als Sohn einer weißen Mutter und eines schwarzen GI geboren? Beide hervorragende Pianisten. Ich weiß nicht, ob er Klavierspielen kann, aber vielleicht hat er andere gute Eigenschaften: Barack Obama, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

 

Da höre ich allerdings schon das Hauptargument gegen eine Meinung, welche auch immer: „Aber das ist doch etwas ganz anderes!“ Das wohl kaum, jedoch noch nicht genug des Nachlegens.

 

Was ist eigentlich gut? Was ist schlecht? Was ist wann gut oder schlecht? Wann ist wer gut oder schlecht? Gar nicht so einfach. Fangen wir beim Einfacheren an: wann ist wer gut oder schlecht? Warum jedoch wann? Gut ist gut oder nicht gut, und zwar immer.

 

Nehmen wir an zwei kleine Kinder spielen in einem Laufstall mit Bauklötzen und eines schlägt dem andern mit einem Klötzchen auf den Kopf. Es gibt kein Geschrei, es war halt so und die Kinder spielen weiter. Nehmen wir an zwei Männer sitzen bei einer Wanderung auf einem Steinhaufen, da nimmt der eine einen großen Stein und schlägt damit dem andern auf den Kopf. Diese sackt um, ist tot. Das Interessante ist, die beiden Männer waren die beiden Kinder aus dem Laufstall, nur waren sie jetzt erwachsen. Ob dabei der, der geschlagen hat, damals und jetzt der selbe war, ist gar nicht sicher.

 

Da gibt es eine Menge Fragen. Also bei den Kindern war wahrscheinlich der Schläger erblich belastet. Wieso? Weil es vielleicht ein Gen gibt, das aggressiv macht? Kann sein, aber das schlagende Kind war gleich wieder ruhig (friedlich kann man nicht sagen, weil es vorher gar nicht zornig war oder vielleicht sich für einen vorher weggenommenen Stein rächen wollte). Aber was soll das? Das ist eben so bei Kindern. Und bei Erwachsenen? Da braucht man einen Grund! Gehen wir einmal davon aus, dass es sich bei Schläger und Geschlagenem um männliche Individuen handelt.

 

War es nicht so, dass der Schläger mit 14 Jahren in der Schule plötzlich mit den Leistungen nachließ? Er soll andere Schüler verprügelt haben. Und warum? Ist doch ganz einfach: die Pubertät. Na also, da wissen wir es. Aber warum  mit 14 Jahren? Wohl wieder diese verdammte DNA? Genau. Es ist nicht nur in der DNA festgelegt, dass ein Bärtchen zu sprießen beginnt, der Stimmbruch kommt, das Interesse an Mädchen plötzlich da ist und er letztlich zeugungsfähig wird und einiges mehr. Ja, es ist in der Tat so: Die Schläfer in den Genen sind erwacht, sie waren nicht auf Sonnenstand oder warme Jahreszeit programmiert sondern darauf, ab einem bestimmten Lebensalter die Hormonproduktion anzuregen.

 

Hormone sind, was wir schon kennen, Botenstoffe für ganz bestimmte Organe und Zellen. So ist es auch letztlich bei Mädchen, nur etwa früher, dass Hormone Brustwachstum, Menstruationszyklus und Gebärfähigkeit bestimmen. Und all das nimmt seinen Ausgang in Zellen der Hypophyse, der Hirnanhangsdrüse, die direkt Hormone zur Wirkung an Zellen oder an Drüsen aussendet, die wiederum Hormone produzieren. Die Hypophyse ist wiederum mit Teilen des Gehirns vernetzt, die Emotionen (dazu später mehr) bestimmen und auch mit der Hirnrinde, so dass der Anblick eines möglichen Geschlechtspartners durchaus „Frühlingsgefühle“ und einen Hormonschub auslösen kann.

 

Damit wir die Geschichte von den beiden Kindern und Männern nicht vergessen, vielleicht gab es einen Grund für die „schreckliche“ Tat? Eifersucht? Hatte der eine etwas mit der Frau des anderen? Vielleicht stimmte das aber gar nicht, dann war die Tat furchtbar, schlecht. Wenn es aber wahr war, die Geschichte da mit der Frau, dann war ja ein echter Grund da, dann war die Tat des Stein auf den Kopf hauen gut? Das kann man aber doch nicht sagen, in unserer zivilisierten Gesellschaft. Erstens hätte sich der Steinschläger vergewissern müssen ob überhaupt und zweitens, selbst wenn ja, hätte es noch andere Möglichkeiten gegeben, die Sache „zu regeln“. Also war die Tat schlecht! Ja, was denn jetzt? Gut ist gut  und schlecht ist schlecht, oder?

 

Aber wären die beiden Männer Orientalen, aus dem vorderen Orient, gewesen, dann hätte es schon die Ehre des einen erfordert den anderen umzubringen. Bei der Gelegenheit hätte man übrigens gleich die Frau mit steinigen können, selbst wenn es nicht so gewesen wäre. Doch wären die beiden Männer aus Tibet gewesen, was dann? Dort kann eine Frau mit mehreren Männern, in allen Ehren, so mit den Brüdern des einen Mannes. Da wäre es doch dem einen nie eingefallen den Stein zu erheben. Was folgert daraus? Vorderer Orient nix gut, Ferner Orient gut, oder umgekehrt.

 

Ich denke, wir haben damit einige Variationsmöglichkeiten von Gut und Schlecht durchgespielt. Es ist also eher eine Frage der Definition was gut und schlecht ist. Jedoch wird man sagen: Das sagt einem doch das innere Gefühl, der angeborene Sinn, das Empfinden für gut oder schlecht. Nachdem was wir erörtert haben, eigentlich nicht. Offensichtlich bestimmt also die Kultur, der Kulturkreis, die Moral, was gut und böse ist. Gibt es da etwa verschiedene DNAs in den Kulturen? Wohl kaum. Aber es gibt Gesetze, die gemacht wurden, die ein „von bis“ als normal, nach intuitiven, statistischen Gesichtspunkten festlegten. Das, was die meisten machen, ist anscheinend gut, was die anderen, die Außenseiter (+ 2 oder 5 % der Normalen) machen, ist schlecht. Sicher hatte da auch der Hormonhaushalt der gerade Mächtigen einen Einfluss darauf, wie das Gesetz ausfällt. Im antiken Griechenland und im antiken Rom hätte niemand daran gedacht einen angesehenen Mann, der sich seinen Lustknaben hielt, zu belangen. Das war normal, gehörte zur Kultur.

 

Natürlich kann man sagen: Das mit den Hormonen, das mag so sein. Auch das gehört zu unserem Leben, auch das hat uns Gott gegeben. Keine Diskussion mehr über Gott! Aber die Hormone gibt es ganz großzügig auch im  Tier- und Pflanzenreich. Selbstverständlich hat auch da diese DNA eine ihrer vielen Hände im Spiel. Klar. Bären, die die meiste Zeit Einzelgänger sind, beginnen sich nicht mehr selbst zu jagen, sondern zu paaren. Pflanzen sprießen unter der Schneedecke hervor, entfalten farbige Blüten und verströmen Duftlockstoffe, damit sie befruchtende Insekten kommen. Das ist so, das kann man nicht verbieten, nicht unterdrücken, und wenn es nur die Natur ist, die da innerlich befiehlt! Gemach, das kann man schon. So waren zum Beispiel die Priester – natürlich die katholischen, weil es andere noch nicht gab und Häretiker stets ausgemerzt wurden – bis ins 11. Jahrhundert ganz legal verheiratet. Aber da muss was mit dem Hormonhaushalt von Benedikt VIII durcheinander gekommen sein. Jedenfalls ordnete dieser Papst im Jahre 1022 auf der Synode zu Pavia, gemeinsam mit Kaiser Heinrich II an, dass alle Geistlichen nicht mehr heiraten durften, bereits verheirateten wurden Amt und Besitz entzogen. Es sei u. a. darum gegangen, den Kirchenbesitz vor einer Vererbung an die Kinder der Geistlichen zu bewahren. Und die Hormone, mit denen die Priester ausgestattet waren, spielten die keine Rolle? Jain!

 

Denn so neu soll das mit dem Zölibat gar nicht gewesen sein. Kaiser Konstantin der Große, der Heilige, hatte den christlichen Priestern ja schon nahe gelegt bei einer rechtmäßigen Frau zu bleiben. Es hatte noch so Konkubinen gegeben, wie später auch, etwa zur Zeit von Papst Nikolaus II. wo durch die Lateransynode von 1059 jenen Priestern die Teilnahme an der Messe verboten wurde, denen ein notorisches Konkubinat nachzuweisen war. Gewiss gab es schon zuzeiten Konstantins Christen, die sich so perversen Praktiken wie der Selbstkastration  hingaben. Sie hatten unter dem Zwang der Hormone gelitten, die ihnen stets eine Abkehr von der reinen Lehre eingaben. Und der Heilige Augustinus hat sich erst mit einem Mädchen vergnügt, so lange bis ein anderes, das aber noch nicht reif für die Heirat war, dann mit Hilfe seiner Mutter, der Heiligen Monika, dann zu seiner Frau wurde. Die andere war eben nur eine Zwischenlage oder so etwas. Das alles hat diesen Augustinus nicht daran gehindert sich etwas später intensiv mit dem Zölibat zu befassen. Aber, was soll’s.

 

Jedenfalls damals, 1022, dachte man wohl nicht an die Hormone, von denen übrigens niemand etwas wusste, weil sie eine neuzeitliche Erfindung der DNA sind. So erging es auch Papst Benedikt IX. Er hatte keinerlei Drang durch die Hormone verspürt, als er Papst wurde, da er ja erst zwölf Jahre alt war. Nach einigen, wenigen Jahren hatte sich das aber radikal geändert. Es heißt, er „begann ein zügelloses Leben“ und der spätere Papst Viktor VIII beschuldigte ihn „aller menschlichen Laster“. Nun gut, vielleicht ging es, als man das Zölibat einforderte, neben dem Kirchenbesitz, noch um etwas anderes: die Sünde.

 

Sünde ist das, was man tut, sogar gerne tut und was man nicht soll. Was Sünde ist wird nach dem gleichen Verfahren festgelegt wie gut und schlecht, oder gut und böse. Man muss es nicht wiederholen. Es ist auch schon gesagt, dass Sünde etwas ist, was man vergeben kann und vor allem wer dies kann. Wenn wir zudem bei den Hormonen bleiben, sieht es so aus: Die Hormone zwingen das zweigeschlechtliche Lebewesen, auch Pflanzen, sich zu vermehren. So Mensch, Affe, Alligator, Kamel usw. „Aber das kann doch nicht für den Menschen gelten, das höchste Wesen! Der Mensch hat doch eine Moral, ein Gesetz, er ist doch kein Tier!“ Doch. Und ein gewisses Gesetz haben die Tiere auch. Da gibt es nämlich eine Rangordnung, wer, wann mit wem darf oder muss. „Aber das ist doch pure Biologie, zum Zweck der Auswahl. Das gibt es beim Menschen nicht!“ Doch. Geld heiratet zu Geld, Adel zu Adel, auch Adel zu Geld und sogar der arme Schlucker darf unter seinesgleichen heiraten.

 

Warum aber dieses ewige Kreisen um Hormone, DNA, Zölibat, Sünde und was noch alles? Weil darin die Treibfeder der Evolution, des Aufstiegs und wahrscheinlich des Untergangs der Menschheit liegt. Wir können die Tiere nicht fragen, wie das bei ihnen geregelt ist, aber wir können uns sehr vieles ableiten, was noch kommt. Beim Menschen wissen wir vielleicht etwas mehr. Aus der jüngeren Altsteinzeit stammt ein weibliches Idol, die Venus vom Willendorf. Eine nur 11 Zentimeter große Steinfigur einer nackten Frau, an der aber „alles wesentliche“ dran ist. Es muss also wohl Menschen gegeben haben, die sich dafür interessierten. Ob es damals Priester gab, die den Menschen verklickerten, wozu das alles ist, weiß ich nicht. Ich sage dies deshalb, weil, sobald es eine näher zu fassend Kultur gab, die Priester oder die Priesterkönige, sich stets intensiv mit Frauenkulten, Zeugung, Geburt und gelegentlich auch mit dem Tod beschäftigten.

 

Ob es im alten Ägypten wirklich nur die Sorge um das „hochadelige Blut“ (das ist aus dem Rosenkavalier von Hofmannsthal) oder sonst eine Vorstellung war, dass es der Vater, der König, gleichzeitig mit der Frau und den heranwachsenden Töchtern trieb, weiß ich nicht. In allen Dynastien der Welt, ging es zwar um Macht, die man damit festigte, dass man noch kleine Kinder untereinander oder auch Greise mit jungen Mädchen oder Knaben mit sehr reifen Damen verheiratete. Ob es nur ein Mythos ist oder Geschichte, dass Ödipus mit seiner Mutter Iokaste vier Kinder, einschließlich Antigone zeugte, zeigt zumindest wie wichtig die Sache damals war.

 

Und beruht nicht das Christentum auf so einer Sexgeschichte? Jesus von Nazareth - wir haben schon davon gehört – konnte unmöglich so banal wie andere Menschen gezeugt worden sein. Schließlich war er zwar Mensch, aber doch auch Gott. Dass es solche Stories schon vorher und noch später gab, wissen wir bereits, wie wir wissen, dass es die Parthenogenese, die Jungfernzeugung, als Mythos schon öfters gab. „Aber natürlich gibt es die Jungfernzeugung“, wird man sagen, sogar bei höheren Tieren! Richtig, bei bestimmten Haiarten zu Beispiel, wenn es keine männlichen Haie gibt. Und warum soll es die nicht auch beim Menschen geben? Das geht wieder nicht wegen der verdammten DNA und der Chromosomen. Nehmen wir an, es hätte sich bei Maria so etwas getan wie eine Reifeteilung, zwei Zellen mit dem halben Chromosomensatz, die sich dann wieder vereinigt hätten oder es wäre gleich eine Eizelle von ihrem Eierstock in die Gebärmutter gewandert, wie es ja ganz normal abläuft, und dort hätte sich die Eizelle geteilt und wäre zu einem Embryo und noch weiter gewachsen, so hätte allenfalls ein Mädchen Jesus herauskommen können. Es geht nicht anders. Dass die Sache mit der Jungfernzeugung also ein Schwindel ist, das hat die christliche Kirche erkannt und dafür einen weiteren draufgesetzt. Aber was hat das mit der Sünde zu tun, von der ich reden wollte? Sehr viel, aufgemerkt!

 

Das Sich-paaren, das Vögeln, auch zwischen Verheirateten, ist Sünde! Sogar wenn es nur zur, auch kirchlich vorgeschriebenen, Erfüllung der ehelichen Pflicht und zum Zwecke der Kinderzeugung erfolgt. Wie könnte es sonst sein, „dass Maria ohne Makel empfangen hat“? Diese Aussage ist eine der unerhörtesten Schweinereien und Beleidigungen aus der katholischen Kirche für alle Frauen und Mütter. Aber, da muss ich ja noch von dem Schwindel reden: Weil man wahrscheinlich intuitiv erkannt hat, dass aus einer Frau, auch einer Jungfrau, bei der Parthenogenese allenfalls wieder eine Frau herauskommen kann, hat man für Maria einen Mann dazu erfunden: den Heiligen Geist. Dies geschah zwar erst im 4. Jahrhundert n. Chr. Aber Respekt. Dieser heilige Geist, lo spirito santo, war ja immerhin männlich. Also hatte es Maria doch ein männliches Wesen, auf welche Weise auch immer, besorgt, wie man das nennt. Also. Doch wenn ihr meint, es habe auch schon im Judentum, unserer Wurzel – worunter ich nicht die Wurzel Jesse verstehe – einen heiligen Geist gegeben, dann ist das richtig. Der war aber weiblich. Also nix mit Parthenogenese und so. Damit sind eigentlich der Heiligen Trinität, die fest auf drei Beinen steht, zwei weg geschlagen. Der Sohn und der Geist.

 

Vielleicht fragt man nun, ob ich nichts anderes zu tun habe als mich um die Zeugung Jesu zu kümmern. Das ist eben das große Geheimnis Gottes. Das hat nämlich ein deutscher Kardinal – er lebt nicht mehr, mir hat es einer seiner Prälaten erzählt – einem fragenden Priesteramtskandidaten geantwortet. Er soll wörtlich gesagt haben: „Wenn Sie dieses Mysterium nicht verstehen und glauben, kann ich Ihnen auch nicht helfen“. Mysterium, habe ich schon geschrieben, sagt man immer, wenn man etwas nicht weiß oder etwas vertuschen will.

 

Nur, wieso rede ich von Sex? Ist es nicht das Haupt- und Lieblingsthema der Katholischen Kirche? Hat es nicht schon im alten Testament damit angefangen, damals im Paradies? Da haben nach der Schlange-Apfelgeschichte Adam und Eva erkannt, dass sie nackt waren und was man da vielleicht mit anfangen könnte. Da hat das mit der Sünde angefangen. Und man hat angefangen, das, was man aus der Evolution zumindest zur Erhaltung der Art bekam, in der DNA präformiert, zur Sünde, zur Schweinerei zu erklären. Der Heilige Augustinus, Kirchenväter, konnten sich nicht genug in der Erbsünde suhlen. Gut, Augustinus und die Schreiber des Alten Testaments konnten von Evolution, DNA, Biologie überhaupt, nichts wissen. Sie haben alle, auch die späteren Adepten, im Sex nur das ewig kreisende und lohnende Thema zur Menschenunterdrückung gesehen. Und wie ging das weiter? Über das Zölibat haben wir schon genug gehört. Ging es da nicht auch nur um Sex? Aber doch nicht mit einer Ehefrau! Klar, auch Päpste hatten Sex, und sogar genug davon. Aber sie waren doch so anständig nicht zu heiraten. War ja verboten.

 

Da fällt mir, nur so am Rande, ein Bayerischer Ministerpräsident ein, der sich auf sehr honorige Art von seiner Sexpartnerin samt gemeinsamem Kind wieder zur Ehefrau zurückgeseilt hat. So ist es richtig. Maria, die Patrona Bavariae, gab ihren Segen.

 

Damit es „normal“ weitergeht: In der Inquisition war Sex mit dem Teufel einer der Hauptgründe zur Verurteilung. Und wie war das dann, als man quasi zur Zeugung bei einem Papst, bei Paul VI, dem Pillenpaul, um Genehmigung nachsuchen musste? Und keine Kondome zum Schutz vor der HIV-Infektion, vor Aids! Ein stets grienender Johannes-Paul II, Papst Wojtila, hat die meiste Zeit damit zugebracht sich mit dem was man Sex nennt zu befassen. Und ist es unter Ratzinger anders geworden? Dass diesen Leuten, von Ratzinger und den Kardinälen abwärts, bis zu den Kaplänen (weiter hinunter geht nicht, weil ja Ratzinger zumindest die Vorhölle abgeschafft hat) nichts anderes einfällt als sich mit Sex oder Nichtsex zu befassen, obwohl sie das nichts angeht, kann man nur mit Nichtwissen und ihrer mangelnden Allgemeinbildung entschuldigen.

 

Doch gewiss haben die Priester, auch Laien, den freiwilligen Verzicht auf Sexualität sublimiert. Entweder sie kamen zu einer schier perversen Marienverehrung wie der vorletzte Papst und viele Mitglieder von Marienkongregationen, oder sie waren und wurden schlicht homosexuell. Das ist nun wieder keine Frage der Hormone und keine auf die Kirchen beschränkte Eigenart. Dass lesbische Beziehungen, also Sex unter Frauen, den Namen von der Insel Lesbos, die Sappho mit ihren Freundinnen bewohnte, haben ist bekannt. Weniger bekannt ist, dass die Dame Sappho einen Mann und eine Tochter hatte, was man allgemein als normal bezeichnen würde.

 

Der Sex oder was es auch war, den man, nur beispielhaft angeführt, in einem Priesterseminar in St. Pölten, in Niederösterreich pflegte, war nicht gerade ästhetisch, allenfalls Ausdruck einer verzweifelten Ersatzhandlung. Und, dass man schließlich einen Kardinal, weil er Verkehr mit Knaben hatte, aus dem Verkehr ziehen musste, nach langem hin und her, das ist schon schlimm. Wenn man schon einem irrationalen Gebilde wie der Religion anhängen muss, vielleicht aus anfänglicher Gutgläubigkeit oder im Vertrauen auf den Glauben, sollte man es den armen Kerlen von Priestern nicht so sinnlos schwer machen und sie heiraten lassen. Die Erklärungen, dass sexuelle Enthaltsamkeit notwendig sei, ist bei Priestern wie bei Laien letztlich das Perverse.

 

Und wenn man schon am Sex, vielleicht aus Frustration nicht öffentlich mitmachen zu dürfen, etwas verdammen zu müssen glaubt, was man so gerne täte, sollte man, sollte Papst Ratzinger nicht das Mittelalter als Dogma durchzudrücken versuchen. Sexualität ist eine von der Natur, von den Naturgesetzen vorgegebene Verhaltensart des Menschen, ja aller Lebewesen. Wenn man davon nichts wissen will und kann, so muss man zum Dogma Zuflucht nehmen.

 

Ich habe mich da einem Thema vorsichtig genähert, das nach meiner Überzeugung auch nur auf versteckter Sexgeilheit beruht. Ich habe den Papst Benedikt XVI im Fernsehen gesehen, in einer Aufzeichnung, wie er ein Seminar von Exorzisten besucht und dort die etwa 30 in Soutanen gekleideten, ebenso schwarz blickenden Priester ermuntert, sich in den Praktiken des Exorzierens gewissenhaft ausbilden zu lassen.

 

Ich will anführen, dass dieser Exorzismus bis in unsere allerjüngste Gegenwart vor allem an jungen Mädchen ausgeübt wurde, die den Teufel an ihren vermeintlich schönsten Körperstellen sitzen hatten. Man hat ja auch an Knaben und vielleicht an alten Frauen versucht, den Teufel herauszuholen. Dass man sich dabei auf die Opfer knien, sie auch mal schlagen musste, womit man ja nicht den Besessenen meinte, sondern den Teufel in ihm und dass dabei eben mal die eine oder andere starb, mein Gott, das sind eben Betriebsunfälle, die sogar zeigen wie hartnäckig der Teufel sein kann.

 

Vielleicht versteht man meine Aufregung gar nicht, weil doch schon Jesus Besessene geheilt hat. Nur, es hat auch zu Zeiten eines Jesus keine Besessenen gegeben, allenfalls Kranke und schöne Märchen ihrer Heilung. Es gibt eben keine Besessenheit, auch wenn man noch so sehr an sie glaubt. Nicht weil sie im Genom des Menschen nicht vorgesehen wäre, nein, es gibt durchaus Erkrankungen unseres Gehirns, die sich zu irgendeiner Zeit manifestieren und mit den seltsamsten Symptomen auftreten. Die Schizophrenie ist eine solche. Da hören die Kranken unter anderem Stimmen, aus der Luft, aus der Wand oder sonst wo her. Und da ist eben in den Leib der armen Kranken nicht etwas von außen hinein gefahren und da kann man auch nichts mit größtem Glauben und größter Gewalt wieder heraus holen. Aber man könnte die Schweine von Exorzisten, samt ihrem Boss vor ein weltliches Gericht stellen und sie wegen gefährlicher Körperverletzung, ob mit oder ohne Todesfolge, für viele Jahre hinter Gitter bringen. Vielleicht wären sie dann Märtyrer für ihren Glauben, wenn sie wieder heraus kommen.

 

Nun gut oder weniger: Wenn in dieser Kirche, und man muss die anderen christlichen Kirchen der Welt hinzurechnen, auch wenn von Rom dagegen Einspruch erhoben wird, das Thema Sex und Frauen plötzlich nicht mehr aktuell wäre, würde das ganze Machtgebäude – ich wollte erst schreiben Gedankengebäude, was wohl nicht zutrifft – in sich zusammenstürzen. Keine Wallfahrten mehr zu irgendeiner Madonna, keine Kapuzen tragenden Männer, die eine Madonnenstatue schleppen, keine Bürgermeister Honoratioren eines Kaffs oder einer Großstadt, die den Himmel tragen müssen, kein Brimborium von einem Vatikanfenster aus, keine kreischenden Nonnen und anderen Damen, einer Teresa von Àvila gleich, in einen orgasmusähnlichen Zustand verfallend.

 

Nun, ich schreibe nicht gerne über Sexualität, weil es mir vielleicht so ein wenig Spaß macht. Ich muss darüber schreiben, weil es ja um die Menschen geht, auch die armen, die straffällig werden. Diese fallen dann der weltlichen Justiz anheim, zu Recht. Aber wie konnte zum Beispiel ein Verbrechen geschehen, bei dem ein achtjähriges Mädchen von einem erwachsenen, keineswegs jungen Mann, erst sexuell missbraucht und dann getötet wurde?

 

Man soll mich nicht missverstehen, wenn ich von armen Straffälligen geschrieben habe. Ich werde das sehr genau begründen. Zunächst aber ist der Missbrauch eines Mädchens und ihre Tötung ein Verbrechen, ist Mord. Man kann es gar nicht beschreiben, was es aus der nicht mehr möglichen Sicht des Opfers war. Ihm hilft auch die härteste Strafe für den Mörder nicht mehr. Aber wir haben ja Gesetze, die a priori schon potentielle Opfer schützen sollen. Aber hier geht es schon los. Je nach Kulturkreis dürfen junge Mädchen, oft noch Kinder, auch Knaben, von Älteren regelrecht gebraucht werden. Die Betroffenen werden weder um ihr Einverständnis gefragt, noch könnten sie es ermessen. Sie dienen nur, ob es ihnen Recht ist oder nicht, als Objekte.

 

In unserem Kulturkreis, dem christlichen, hat man Altersgrenzen festgelegt und Regeln, natürlich Gesetze, gegen Inzest und, sicher nicht zu Unrecht, auch gegen Vergewaltigung bei erwachsenen Frauen. Ich will niemandem etwas unterstellen, auch Religionen nicht, bei denen die Familie etwas Abgeschlossenes, dessen internes Verhalten offen zu legen tabu ist. Missbräuche sind deshalb ebenso zu verurteilen und keineswegs Recht.

 

Aber bleiben wir bei uns. Wenn das Opfer bei einer Gerichtsverhandlung, falls man den Täter gefasst hat, manchmal schon vergessen ist oder, weil nicht immer Mord oder Tötung dabei sein muss, gibt es ein ungeheueres Durchleuchten des Täters. Sicher muss dieser erst feststehen und es muss ihm die Tat, falls er kein freies Geständnis abgelegt hat, nachgewiesen werden. Bei Sexualverbrechen ist heute die DNA Analyse von Täter und Opfer nicht nur wichtig und beweisend, sie kann auch zum Ausschluss zu Unrecht Verdächtigter dienen. Aber nun hat ein Beschuldigter Anwälte, die, wenn nicht seine Unschuld, zumindest für ihn in der Verantwortung entlastende Umstände geltend machen müssen.

 

Fast möchte ich sagen, was auch zutrifft, dass die DNA des Täters eine entscheidende Rolle bei der Tat gespielt hat. Einzelne Gene nämlich, nicht nur ein „Verbrecher-Gen“ entscheiden erheblich über seine Steuerbarkeit zum Zeitpunkt einer Tat. Wir müssen da aber, was ich nicht in extenso ausführen will, die Frage aufwerfen, „was ist normal und was nicht mehr“. Bewusst habe ich nicht geschrieben pervers. Doch es gibt so etwas wie Grenzbereiche. Auch diese sind genetisch bedingt. So hält man heute einen Mann oder eine Frau für besonders sexy. Wäre dies im Mittelalter gewesen, hätte man nach dem Scheiterhaufen gerufen. Manche Kinder sind „frühreif“ und geradezu „verlockend“. In manchen Familien geht man mit der Sexualität locker um, in der anderen ist man bigott.

 

Aber gerade hier setzt etwas ein, was man, vonseiten der Rechtsprechung und ihrer sie beratenden Gutachter als idiotisch ansehen muss. Dies trifft gewiss nicht auf alle Juristen oder Gutachter zu, wenn auch auf nicht wenige. Da konnte der Täter doch nichts dafür, oder er war eingeschränkt zurechnungsfähig, weil er „eine harte Kindheit hatte“. Weil er selbst vom Vater oft geschlagen wurde, schlägt er jetzt als Erwachsenen eben Frau und Kinder. Weil es eben in seiner Familie in dieser oder jener Art schon immer so zuging, muss man annehmen, dass er gar nicht einsehen konnte etwas Unrechtes zu tun. Weil der Vater schon die Tochter missbraucht hat, macht das der Sohn jetzt auch, usw. Vielleicht ist einiges daran richtig, aber nicht nach unserem Recht. Und gerade diesem Umstand muss man Rechnung tragen.

 

Gehen wir zunächst von „harmlosen“ Fällen aus: Ein Trinker schlägt, immer wenn er betrunken nachhause kommt, Frau und Kinder. Soll er halt nicht trinken. Er weiß doch was passiert! Aber er kann anscheinend nicht anders. – Schon während meines Studiums, als das Wort Genetik gerade so mit Vererbung ganz allgemein gebraucht wurde, fragte der Physiologische Chemieprofessor (Biochemiker gab es da nicht): „Ist der so dumm weil er säuft oder säuft er, weil er so dumm ist?“ – Nicht alle Zwölfjährigen trinken sich ins Koma, auch die nicht, die später keine Abstinenzler werden. Und nun kommen die gescheiten Psychologen. „Schwere Kindheit, familiäre Belastung, verderbliche Umgebung, zu leichtes Herankommen an Alkohol usw. Das erklärt alles als vermindert zurechnungsfähig.“ Aber dann kommt die Empfehlung: Psychologische Betreuung, Gruppentherapie, am besten in einem Camp im Brasilianischen Urwald. All das ist Unsinn und fehlender Sachverstand.  Am schlimmsten wird es, wenn man bei Rückfalltätern diese Maßnahmen als letzte Chance usw. einräumt.

 

Der Frau mit dem prügelnden Trinker kann man nur die Scheidung empfehlen, auch wenn sie bei der Heirat „bis dass der Tot euch scheidet“ sagen musste. Einen jungen Prügler wird man durch keine Therapie ändern und es war mitnichten seine Umgebung schuld. Wir haben doch schon von den Hormonen gesprochen, die eben in oder nach einer bestimmten Zeit Gene an- oder abschalten. Man kann dennoch kaum – ich sage kaum – einen Täter so einfach mit Hormonen behandeln. Sie sind eben die Auslöser bestimmter Eigenschaften. Und das weiß man schon lange, bevor dass man das Wort Hormon kannte. Es ist keine Böswilligkeit, wenn ich darauf hinweise, dass man vor allem in der Barockzeit, sicher für die Erduldenden nicht freiwillig, besonders stimmbegabte Knaben mit einem glockenreinen Sopran, für den Chor des Erzstiftes oder des Doms einfach kastrierte, um diese Stimme zum Lob Gottes oder zur Freude des Bischofs zu erhalten. Na halt damals. Und was machen wir heute?

 

Als ein junger Metzgergeselle, er hieß Bartsch, sich kastrieren lassen wollte, weil er, nach bereits vier getöteten Knaben, den Zwang zum Töten nicht loswerden konnte, starb er bei dem geplanten Eingriff an der Narkose. Aber gerade solch ein Eingriff könnte für einen Täter die einzig mögliche und helfende Therapie sein. Doch scheinen viele psychologische Gutachter davon keine Ahnung zu haben. Immer wieder kommt es bei Verbrechern, meist Mördern, ob Sexualmörder oder „gewöhnliche“, zu einem Rückfall, das heißt einem neuen Mord, meist  in kürzester Zeit nach der Entlassung aus langer Haft, einschließlich einer „Therapie“. Wer auch bescheinigt hat, dass jetzt keine Rückfallgefahr mehr bestehe, er hatte keine Ahnung von der „Materie“ gehabt. Der Rückfallmörder ist zwar in der Tat bei dieser nicht zurechnungsfähig, aber dies ist ja der springende Punkt bei einer Beurteilung. So lange er somatisch, das heißt in seiner Körperlichkeit unverändert ist, wird er bei dem nächsten Triggerereignis, etwa dem Anblick eines alleine laufenden Mädchens, alles vergessen haben, was in den vielleicht vergangenen fünfzehn Jahren war. Es wird eine neue Vergewaltigung oder einen neuen Mord geben. Es ist Unwissen, wenn man glaubt – hier ist glaubt richtig – dass gutes Zureden, Beschäftigungstherapien, Verhaltenstraining usw. den geringsten Effekt haben. Auch Alter ist keine Form von Therapie.

 

Können wir uns vorstellen warum im Internet ein schwunghafter Handel mit Kinderpornographie herrscht? Vom ungelernten Arbeiter bis zum Akademiker nehmen an dieser Form des Voyeurismus Menschen teil, denen die Misshandlung von Kindern anzusehen oder vorzunehmen, Befriedigung ist. Natürlich könnte man sagen, was ist schon dabei, wenn einer nur anschaut, - denkt an die schönen molligen Putten, die nackt, meist Knäblein, an den Decken von barocken Schlössern (Schloss Weißenstein bei Pommersfelden, Würzburger Residenz) schweben? Hier wird und wurde ein Markt bedient.

 

Und bei all den „Spielarten“ des Sexuellen oder verdrängten Sexuallebens, sind im Extremfall, der einfach juristisch, gesellschaftlich, definiert werden muss, entweder die genetischen Gegebenheiten zu berücksichtigen oder man akzeptiert die Tatbestände als „normal“ und damit beherrschbar, und man therapiert medizinisch, oder bestraft, falls man nur eine Übertretung beherrschbarer Grenzen sieht, juristisch.

 

So viel zu Besessenheit oder Obsession, letztlich zum so genannten freien Willen. Was ist dieser überhaupt? Wie wir gesehen haben, gibt es offenbar Handlungen, die unter Zwang begangen werden, selbst wenn der, der sie begeht weiß, dass er Unrecht begeht. Aber er begeht Unrecht, weil er außerhalb eines, nicht von ihm, sondern der Gesellschaft abgesteckten Rahmens gehandelt hat. Sicher ist der Spielraum dessen, was man darf und was nicht, sehr weit. Aber das interessiert niemand. Nur die Randbezirke interessieren. Doch dazu müssen zwei Begriffe einigermaßen geklärt werden: Das Gewissen und das Gefühl.

 

Zunächst zum Gewissen. Wir könnten alles, was ich bisher zu Gut oder Böse schrieb vergessen, wenn es etwas wie das Gewissen a priori oder angeboren gäbe. Aber gerade davon wird sehr häufig ausgegangen. Immanuel Kant nennt das in der „Kritik der praktischen Vernunft“ den Kategorischen Imperativ: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“ Dazu braucht man jedoch zumindest Erfahrung, die erst im Laufe des Lebens gewonnen werden kann. Ein kleines Kind kann nicht nach Maximen handeln. Es hat keine. Wenn man später die Erfahrung macht, dass man unter diesen oder anderen Bedingungen besser oder weniger angefeindet leben kann, könnte sich etwas wie ein Verhaltenskatalog ausbilden. Es wäre vernünftig so und so zu leben. So weit so gut. Kant meint dann, dass der Mensch als Vernunftwesen frei und nach Grundsätzen der Vernunft handeln kann. Dadurch könne er das instinkt- und lustgeleitete Handeln ebenso überwinden, wie das aus pragmatischen oder taktischen Motiven.

 

Aber das ist es gerade, was geht und auch nicht geht. Wenn man nicht pragmatisch oder taktisch handelt, kann man nicht etwas zur Maxime oder Richtschnur erheben. Und wie wiederum Instinkte, sprich Hormone und Gene, alles steuern, in Grenzbereichen extrem und verheerend, das wissen wir. Kant hat dafür auch heftige Kritik, u. a. von Nietzsche bekommen. Aber bis heute wird mit dem Kategorischen Imperativ, passend zu allem, argumentiert. So 2008 von einem Professor der Philosophie, an einer Philosophisch-Theologischen Hochschule auch in der Erwachsenen-, Lehrer-, Priesterfortbildung tätig. Er stellt einem Vortrag voran: Der “kategorische Imperativ” stellt eine unbestreitbare Erfahrung dar – und ist einer Begründung nicht fähig, weil nicht bedürftig. Er legitimiert sich aus sich selbst. Man muss sich nur davon ergreifen lassen. Es gibt also nichts zu begründen. Wohl aber zu verstehen.“ Und „Gott kommt bei Kant erst im Blick auf die Hoffnung ins Spiel, ohne die dem endlichen Menschen die Kraft zum moralischen Handeln fehle. Ist aber nicht schon dem zuvor die einzige “Theorie”, die die Gewissenserfahrung erklärt, ohne sie wegzuerklären, das religiös-theistische Verständnis?“ Kein weiterer Kommentar, weil ich sonst ein schlechtes Gewissen bekomme.

 

Kommen wir zum Gefühl. Das Gefühl für etwas, was Recht oder Unrecht ist, was schön oder hässlich, was Ekel erregend ist oder nicht, was gut und was böse ist, das ist doch angeboren, das liegt in der Seele des Menschen, oder nicht? Vorsicht! Wir haben doch über Hormone, die erst im Laufe des Lebens aktiv werden, auch wenn ihr späteres Entstehen schon bei der Geburt genetisch angelegt ist, geredet. Wir wissen, dass das Gehirn des Kindes erst noch reifen muss, dass koordinierte Bewegungen, wie das Laufen, das Sprechen, erst gelernt werden müssen. So ist es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch mit dem Gefühl. Es mag also sein, dass man, wenn man an einer Brüstung oder einem Felsvorsprung steht, nicht einfach einem daneben Stehenden einen Schubser gibt, mit dem man ihn ins Jenseits befördert. Das sagt einem doch das Gefühl, dass man das nicht darf. Oder muss man da erst überlegen, wie viel Gefängnis darauf steht? Aber wenn ein kleines Kind ein anderes einfach mal so in den Swimmingpool stößt, ohne böse Absicht, ohne Zorn, nur so, und das Kind ertrinkt? Die Eltern, die vielleicht ihrer Aufsichtspflicht  nicht nachgekommen sind, werden sich die Haare raufen. Aber wird man das schubsende Kind bestrafen und wofür und womit?

 

Natürlich wird man sagen, das Gefühl entwickelt sich doch erst im Laufe des Lebens. Heidegger schreibt da: „Gefühle betreffen ganz konkretes Seiendes.“ Damit kann man sicher sehr viel anfangen. Er, Heidegger, weicht dann etwas weitschweifig auf „Stimmung“ aus, die unser Gefühl steuern soll. Stimmungen also. Und er assoziiert, dass man ja auch ein Musikinstrument „stimmt“. Schön deutsch. Wie ist das im Englischen, wo es doch auch eine Stimmung gibt? Mood. „ I have mooded my piano“ oder „my piano is not in the mood“. Has Heidegger been in a dwarf school?

 

Nun, ich will damit niemandem etwas auswischen, aber raten, im Umgang mit Begriffen und „Gefühlen“ vorsichtig zu sein. Und wenn wir sterben, worauf ich noch komme, erlischt in uns jedes Gefühl und, um der unseligen Seelendiskussion ein Ende zu machen, auch die Seele, sogar die, die es nicht gab.

 

Warum aber liegt mir so viel am Menschen, seiner Herkunft, seiner Entstehung in Laufe der Evolution und an den Naturgesetzen, ohne die jene wieder nicht möglich gewesen wäre? Es ist am wenigsten meine Herkunft, eher eine gewisse Entwicklung und am meisten Beobachtung. Vielleicht kann man auch ein wenig „Mitleid“ mit den Menschen dazurechnen, das eben aus der beruflichen Erfahrung kommt. Und wenn ich so vieles in meiner Darstellung mit DNA, Genen, Hormonen usw. begründet habe, dann nicht, um jemand zu bekehren, zu belehren oder gar zu verdammen. Letzteres kann ich sowieso nicht, auch wenn ich diejenigen, die im Namen einer Religion, eines Gottes, den Menschen die kurze Zeit ihres Erdendaseins zur Hölle machen, in diese wünsche.

 

Wie war das mit meiner Beobachtung und meiner Erfahrung im Beruf? Als ich mein Medizinstudium anfangs der fünfziger Jahre begann, gab es die Begriffe DNA und Erbinformation gerade eben. Natürlich nicht für Medizinstudenten. Auch dass schon 1919 chemische Bestandteile der DNA identifiziert wurden, wussten normale Ärzte, auch an den Universitäten kaum. Eine Transformation von Eigenschaften der DNA, was offensichtlich nur durch Genaustausch funktionieren konnte, was man aber nicht erklären, nur beobachten konnte, war nicht allgemein bekannt. Für ihre Entdeckungen über die Molekularstruktur der Nukleinsäuren und ihre Bedeutung für die Informationsübertragung in lebender Substanz“ erhielten James Watson und Francis Crick zusammen mit Maurice Wilkins 1962 den Nobelpreis für Medizin. Natürlich kannte man Stoffwechselerkrankungen, die auch vererbbar waren, aber wie etwas funktionierte, war oft unbekannt. Die Grundlagenforschung, die Biologie und die Biochemie waren zu sehr von der Medizin und manchmal untereinander isoliert. Die Medizin war damals, was ja erst ein halbes Jahrhundert her ist, weitgehend eine empirische Wissenschaft. Selbstverständlich hatte es seit Mitte des 19. Jahrhunderts große Erkenntnisse und Fortschritte auf den Gebieten Zellularpathologie (Virchow), der Physiologie (bezeichnender Weise wird der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin vergeben), der Bakteriologie (Koch entdeckte die Erreger von Tuberkulose und Cholera), und der Medizinischen Diagnostik (Röntgen, ein Physiker) gegeben. Aber es war alles, fast wie zu Zeiten der Antike, seit Galen und Paracelsus, vom Gewicht und dem Ansehen der Person, abhängig. Wenn Professor XY etwas zu einer Sache sagte, selbst wenn er davon keine Ahnung hatte, so war das richtig und konnte als Wahrheit zitiert werden.

 

Noch in meiner Zeit als junger Arzt gab es ältere Kollegen, die nichts von dem “neumodischen Zeug“ wie Röntgen hielten. Franz Chvostek jun., der 1911 Ordinarius für Innere Medizin in Wien wurde, hielt nichts von dieser „Afterwissenschaft“. In meinen Jahren an der Universität hielt ein aus Amerika zurückgekommener Kollege die Handkante auf die Brust eines Patienten und meinte, dass ihm der hinter Papillarmuskel des Herzens nicht recht gefalle. Ein anderer Kollege brachte aus USA die Nachricht zurück, dass, was die Herzauskultation betraf, „the heart not a musikbox“ sei.

 

Und ein eigenes Erlebnis, das ich auch in „Schon wieder ein Essay“ beschreibe – denn wir haben schon viel über Hormone und Verhaltensweisen gesprochen – aus meiner Zeit als junger Arzt: Vom Schwurgericht in München wurde ein etwa 35jähriger Mann zur Begutachtung durch einen Psychiater, in der Stadt, in der ich am Krankenhaus arbeitete, geschickt. Er kam aus der Haftanstalt St. Adelheim – ich lernte von ihm diese Bezeichnung für Stadelheim – in der er schon mehrmals war. Betrug und Hochstapelei in wiederholten Fällen. Er hatte sich Titel zugelegt, schon mehrmals einen Rembrandt oder einen Rubens, die er nie besaß, an gutgläubige Neureiche verkauft, hatte sich bei einem Schneider fünf weiße Smokings anfertigen lassen, die er nie bezahlte und noch einiges mehr. Nun ging es darum, ob man den Mann als Wiederholungstäter, in Sicherungsverwahrung, was letztlich damals lebenslange Haft bedeutete, nehmen müsse.

 

Was die Sache so prekär machte, war der Umstand, dass der Mann homosexuell war. Man wollte seitens des Gerichts bei einer Verurteilung keinen Fehler begehen, weil es ja möglich gewesen sein konnte, dass der Mann diese Taten wegen seiner Lebensart, die damals noch unter das Strafrecht nach § 175 STGB (Unzucht zwischen Männern) fiel, so gehandelt haben konnte. (Erst 1994 wurde der Paragraph durch Einführung eines Schutzalters für Jugendliche in Deutschland letztlich aufgehoben.) Der begutachtende Psychiater war in etwa auch der Meinung des Gerichts und schickte mir den Mann zur internistischen Begutachtung einschließlich Hormonanalyse. Meine Untersuchung – bei der ich sehr viel gelernt habe – ergab, dass der Mann gesund und seine Hormone (die Hormonkonzentration im Blut) „normal“ waren.

 

Nach meinem schriftlichen Gutachten musste ich, ungewöhnlich für ein Verfahren, zusammen mit dem Psychiater, der über mein Gutachten erstaunt war, dieses vor dem Schwurgericht mündlich erläutern. Ich wurde vom Vorsitzenden Richter gefragt, ob man nicht den Mann von seiner Homosexualität heilen und somit weitere Straftaten ausschließen könne, wenn man ihn mit männlichen Hormonen behandle. Es war mir nur mit vieler Mühe möglich das Gericht davon zu überzeugen, dass der Mann hormonell normal und keineswegs eine Frau war, der nur die männlichen Hormone fehlten. Wie das Urteil für den Mann lautete, kann ich nicht sagen, weil es üblich war, dass der Gutachter nach seiner Aussage das Gericht verlässt und dieses weiter verhandelt.

 

Was ich damit sagen will ist das, dass medizinische Erkenntnisse und die Folgerungen daraus keineswegs allgemein geläufig sind und wenn schon, erst nach einiger Zeit, meist nach Jahren und dann nur oft widerwillig akzeptiert werden. So entdeckten im Jahre 1983 Barry Marshall und John Robin Warren aus Perth, in Australien, Helicobacter pylori, ein Bakterium, als Ursache für Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre. Die Entdeckung wurde von der medizinischen Forschung lange Zeit nicht ernst genommen, dann teilte sich die Ärzteschaft, was die Medizin sehr nahe an die Religion bringt, in „beliefer and nonbeliefer“. Erst 1989 glaubten dann alle. 2005 wurden Warren und Marshall für ihre Arbeiten zu H. pylori je zur Hälfte mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet.

 

1976, als ich Chef einer Abteilung an einem Lehrkrankenhaus der Universität, an der ich weiter Vorlesungen hielt, wurde und unbedingt ein Ultraschallgerät für meine Abteilung wollte, erklärte mir der als „Wissenschaftler von Internationalem Rang“ gefeierte Kollege, dass er von dieser Methode, „die sich in einem Vierteljahr überlebt“ habe, nichts halte. Ich bekam von der Leitung des Hauses kein Gerät.

 

Es ist heute in der Medizin ein wenig anders geworden. Durch die evidenzbasierte Medizin, die auf Beweismaterial gestützte Heilkunde, die ausdrücklich auf der Grundlage von nachgewiesener Wirksamkeit getroffen wird, verliert die wissenschaftliche Autorität, die leider oft als Experte bezeichnet wird, an Gewicht. Auch und gerade weil der Wirksamkeitsnachweis einer Behandlung dabei durch statistische Verfahren erfolgt, ist eine gewisse Objektivität gegeben. Aber, weil man weiß, dass man Statistiken manipulieren kann, wenn die Ergebnisse nicht den Erwartungen der dafür bezahlenden Industrie entsprechen, hat man sich auch einiges im Fälschen wissenschaftlicher Arbeiten einfallen lassen.

 

Gewiss sind Veränderungen in der Medizin, die auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, nicht sprunghaft, gleichsam als Bruch mit dem Bisherigen abgelaufen. Ein Nebeneinander ganzer Fächer und Disziplinen, die historisch wenig verwandt sind, existiert noch. So beruht in der „psychosomatischen Medizin“, die an jeder Universität vertreten ist, manches, beileibe nicht alles, darauf, dass wir noch zu wenig Kenntnisse über einzelne Krankheiten haben. Auch das zu erkennen, ist eine Leistung. So hat in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts schon ein bedeutender Psychosomatiker (Prof. Bräutigam) gesagt, noch bevor von Helicobacter pylori und Magenerkrankungen ein Zusammenhang bekannt war, dass man sich von der Vorstellung, dass Leiden wie Magengeschwüre nur auf seelische Ursachen zurückzuführen seien, wohl verabschieden müsse. Wie hat man, noch zu meiner Anfangszeit in der Pneumologie (Lungenheilkunde), Asthmapatienten davor schützen müssen, nicht sinnlos psychotherapiert zu werden, anstelle einer durchaus wirksamen medikamentösen Behandlung. Dass auch damit die Krankheit nicht heilbar ist, ist eine durchaus hilfreiche Erkenntnis. Immer noch wird aber von Ärzten, die sich durchaus als seriös sehen, unter Berufung auf alte Literatur, die schlicht falsch ist, behandelt. Schlichte Fehldiagnosen, wie die psychotherapeutische Behandlung eines jungen Metzgers mit Leibschmerzen, der aber einen mehr als faustgroßen Tumor (Geschwulst) im Bauch hatte, sind kein Argument gegen Leiden, die sich in Organbeschwerden manifestieren und auf exo- oder endogen bedingten, psychischen Veränderungen beruhen. Man muss wissen und untersuchen, nicht annehmen!

 

Sigmund Freud (1856 - 1939) muss in der Diskussion über den  Zusammenhang zwischen „Seele“, Körper und Krankheit unbedingt genannt werden. Er war ein bedeutender österreichischer Arzt und Tiefenpsychologe, der als Begründer der Psychoanalyse gilt. Tiefenpsychologie bedeutet unbewusste oder nicht mehr bewusste Vorgänge zu erkennen, die nicht augenfällig zutage liegen, sondern in der Tiefe des Bewusstseins verschlossen sind und, um durch sie hervorgerufene Krankheiten heilen zu können, ans Licht gebracht werden sollen. Seine diagnostische Methode, die vor allem in der Exploration (Ausforschung) auf der Couch, auch der Traumdeutung bestand, ist allgemein bekannt und braucht nicht kommentiert zu werden. Ich will auch seine therapeutischen Verdienste nicht schmälern. Jedoch, so hilfreich seine Behandlung in vielleicht vielen Fällen war, so wenig war sein Schluss berechtigt und wissenschaftlich, dass sich in vielen Krankheiten, ja in manchmal nur auffälligen Verhaltensweisen, vorwiegend sexuelle auch pseudoreligiöse, mystische Ursachen verbergen. Freud schuf die Begriffe Es, Ich und Über-Ich, die oft in Widerspruch zueinander sind. Er lehrte von „Komplexen“ wie dem Ödipuskomplex, vom „Penisneid“ der Mädchen und mehr. Auch religionsphilosophisch war er in vielen Schriften sehr engagiert, wobei er die Religionen ablehnte und sie eher in ihrer historischen Bedeutung schilderte. Freud wurde wegen seiner Lehren sowohl sehr gefeiert als auch heftig, von medizinischer und psychiatrischer Seite, abgelehnt.

 

Warum ich auf Freud und die Psychoanalyse eingehe, hat seinen Grund darin, dass man auch heute immer noch und wieder versucht so genannte seelische Krankheiten „durch das Liegen auf der Couch“ zu behandeln. Es mag durchaus hilfreich sein, bei unbewussten Ängsten, beruflicher Überforderung, Angst, trotz bester sozialer Verhältnisse verhungern zu müssen, was man Neurosen nennt, diese zu erkennen und zu behandeln. Es ist aber sinnlos und letztlich kriminell, echte psychotische Erkrankungen, Psychosen, also Erkrankungen des Gehirns, die mit Wahnvorstellungen einhergehen, mit Psychoanalyse und Psychotherapie behandeln zu wollen. Freilich sind solche Krankheiten mit dem Odium der Vererbung behaftet, was durchaus häufig so ist. Und gerade deshalb sollte eine andere Ursache als die, „dass man so etwas in der Familie hat,“ gefunden werden. Unser Gehirn, das phylogenetisch jüngste und am weitesten entwickelte Organ, mit den vielen Milliarden vernetzten Zellen, das darf nicht krank sein, weil es unanständig ist.

 

Nun so viel zu Krankheiten und zu dem was wir darüber wissen und nicht wissen, worüber wir uns in der Medizin, die sich zu einer objektiven Naturwissenschaft entwickelt, aber Gedanken machen sollten. Es hat sich Vieles zum Besseren gewandelt.

 

Freilich existiert in der Medizin immer noch ein nicht ungewichtiges Schamanentum. Ob man das Halbgott in Weiß nennen muss, sei dahingestellt. Es ist auch verständlich, dass man einem schwer Leidenden, einem Patienten oder Sterbendem nicht dadurch hilft, dass man ihm erklärt, dass bei ihm die Apoptose, das Absterben von Krebszellen nicht funktioniert, dass seine Niere wegen dieser oder jener Krankheit so verändert ist, dass sie nicht mehr ausscheiden kann und, dass er letztlich an seinem Lebensende angelangt ist. Er wird, was menschlich verständlich ist, nach einem Ausweg suchen. Der Arzt, Angehörige oder wer auch immer, können bei ihm bleiben, ihm die Hand halten, ihm das Nichtverlassensein vermitteln, ohne ihn zu belügen. Ich bin gelegentlich dafür getadelt worden, bei einem Patienten zu lange geblieben und dadurch zu diesem oder jenem Termin unpünktlich geworden zu sein. Aber das gehörte zu meinem Job, den ich zu erfüllen hatte. Und ich hoffe, dies auch meinen Mitarbeitern vermittelt zu haben, dass der Patient, der Leidende, Vorrang hat. Denn, es gibt praktisch keine Situation, in der man ihm nicht helfen könnte. Für den Patienten muss die Situation, und wenn es sein Lebensende ist, erträglich sein. Dass das Sterben für die Angehörigen sehr oft kein schöner Anblick ist, ist verständlich, aber auch ihnen kann man klar machen, dass sterben nicht gerade schön ist. Nur wird leider oft von dem Märchen ausgegangen, dass der greise Vater seine Lieben um sich versammelte, sie segnete, die Hände faltete und friedlich entschlief.

 

Kriminell wird es in der Medizin und der Pseudomedizin, wenn man dem Kranken scheinbare Hilfen und Therapien nicht nur verspricht, sondern nicht selten sogar aufdrängt. Das beginnt von der Akupunktur und geht über die Homöopathie bis zur schamanenhaften Besprechung und, nicht zweifelhaften sondern sinnlosen Krebstherapien. Natürlich wird dann immer vom „Strohhalm“ geredet und, dass die Hoffnung zuletzt stirbt. Aber gewöhnlich wird der Anwender und der, der solche Maßnahmen Hilflosen und Unwissenden als wirksam suggeriert, dafür gut bezahlt. Es gibt extra einen Katalog von Leistungen, die die Krankenkassen wegen erwiesener Wirkungslosigkeit nicht bezahlen. Gerade diese soll man dem Patienten gegen Cash anbieten. Das nennt man dann Ethik. „Dem Patienten darf nichts vorenthalten werden!“ „Es muss Therapiefreiheit herrschen“. Das sind Schlagworte, mit denen Nichtwissen und wirtschaftliche Interessen zugunsten einer nicht mehr vorhandenen Ethik gefördert werden.

 

Wenn man, nur als Beispiel, von der Akupunktur ausgeht, so fehlt jeder objektive Wirksamkeitsnachweis. Auch durch noch so viel Pseudogelaber über Meridiane, Ying und Yang, wird man dadurch deren Existenz nachweisen können. In einer Einführung zur Chinesischen Medizin (nicht von mir!) heißt es: „Es gibt keine anerkannten Belege für eine Existenz von Meridianen außerhalb der Vorstellungen von Menschen, die an sie glauben“. Noch was? Und wenn noch so viele Leute erzählen wie gut sie damit behandelt wurden: Es kommt vielleicht auf das Brimborium an, auf das „original Chinesische.“ Heute las ich in einer Fachzeitschrift darüber: „Stochern genügt“.

 

Und was muss man über die Homöopathie sagen, an die so Viele glauben? Glauben ist richtig, aber schon alles. Das Grundprinzip Hahnemanns „similia similibus curantur“ hört sich zwar schön an, ist aber unsinnig. Es geht dabei nicht um die Verdünnungen eines Stoffes, der als Arznei gegeben wird, Verdünnungen in so genannten Potenzen, das wäre noch nicht unwissenschaftlich, weil Substanzen auch im Nanobereich wirken können. Aber es fehlt der Nachweis der Wirksamkeit einer solchen Behandlung, die allein aus einer Vorstellung geboren wurde. Die Adepten der Homöopathie weigern sich bis heute eine Untersuchung der Wirksamkeit ihrer Maßnahmen nach Gesichtspunkten der evidenzbasierten Medizin vorzunehmen. „Erst wenn man daran glaubt, stellt sich die Wirkung ein“. Das ist keine Blasphemie gegen den Verstand, sondern nur Idiotie.

 

In einer regelmäßigen Kolumne meiner Tageszeitung erscheinen Ausführungen eines Tierarztes zu den Krankheiten seiner Patienten, den Tieren, sei es über die Staupe, Würmer, Milbenbefall usw. Kürzlich erschien von ihm ein Artikel über die Wirksamkeit homöopathischer Behandlung bei Tieren. Diese Behandlung hilft durchaus, meinte der Tierarzt, „nur der Halter des Tieres muss an die Wirksamkeit der Methode glauben“. Noch was?

 

Es geht nun nicht darum einzelne Methoden oder Fachrichtungen in der Medizin auf ihren Wahrheitsgehalt, ihre Ehrlichkeit oder wenigstens Glaubwürdigkeit zu unterziehen. Es ging zuletzt um die Stellung des Menschen innerhalb seines biologischen Daseins, als Glied der Evolution. Dass dazu sein Sterben gehört, ist selbstverständlich, wenn dies auch in der allgemeinen Wahrnehmung verdrängt oder ausgeschaltet wird. Allenfalls wird man daran erinnert, wenn man selbst oder beim Sterben naher Angehöriger betroffen wird. Hier setzt dann das Seelengeheule, der Ruf nach Unsterblichkeit, wenn auch nicht hier, dann zumindest im Jenseits ein. Dies ist dann wichtiger als alle menschliche Fürsorge für den Sterbenden.

 

An allen katholischen, konfessionellen Krankenhäusern, auch an der von mir geleiteten Abteilung, gab und gibt es Anweisungen an das Pflegepersonal, in einem akuten Notfall, etwa einer Lungenembolie bei einem Kranken, erst den Geistlichen, damit dieser „versehen“ könne, dann erst den Arzt, der durchaus lebensrettende Maßnahmen ergreifen könnte, zu verständigen. Auch eine „Tröstung unserer Heiligen Mutter Kirche“ gegen den Willen des Betroffenen gibt es durchaus. Dabei will ich keinem Menschen, keinem Sterbenden, eine solche Maßnahme auch nur ausreden oder vorenthalten, wenn ihm das eine Hilfe ist und er danach verlangt.

 

Aber was ist an unserem Sterben so furchtbar? Sicher nicht allein die Art des Todes, worüber wir schon geredet haben, denn ich betrachte ja mein Schreiben als Dialog, mit dem der liest oder mit mir selbst. Was also ist das Sterben? Wir haben im allgemeinen kein Problem damit, wenn es um das Sterben einer Kreatur überhaupt geht, nur nicht um uns. Ein Tier sogar gewaltsam zu töten, um es für unsere Ernährung zu gebrauchen, ist eine selbstverständliche und für notwendig erachtete Handlung. Es ist schizophren wenn im jüdischen Tötungsritual erst das Tier um Verzeihung für seinen, für uns notwendigen Tod gebeten wird und man ihm dann eine „humane“, rasche Tötungsart zugunsten des Schächtens vorenthält, weil das eben zu diesem religiösen Ritual gehört.

 

Man weiß, wenn einmal der Blutkreislauf unterbrochen ist, sei es durch auslaufen lassen des Blutes beim Tier, oder beim Menschen durch einen Herzstillstand, also Pumpversagen, wird sehr rasch, unmittelbar, das Gehirn und damit unsere Wahrnehmung abgeschaltet. Nehmen wir an, es wäre bei einem an sich gesunden Menschen, etwa bei einem Unfall, zu einem starken Blutverlust gekommen, der natürlich mit sofortiger Bewusstlosigkeit einher ging, und man hätte, weil es zufällig möglich war, eine Bluttransfusion in entsprechender Menge vornehmen können, wäre sein, nach nur Minuten irreversibler Tod zu verhindern gewesen. Dies besagt aber, dass zunächst hochsensibles Gewebe, wie das Gehirn, bei Ernährungs- hier Sauerstoffmangel seine Funktion einstellt. Aber auch Eiweißstrukturen werden in kurzer Zeit so verändert, dass sie nicht wieder herstellbar sind. Wir sehen das an so genannten Wachkomapatienten, deren vitale Funktionen wie Blutkreislauf und Atmung intakt sind, mit denen wir aber keinen kommunikativen Kontakt bekommen können, weil wahrscheinlich ihre Wahrnehmung ausgeschaltet ist.

 

Zellen und ganze Organe, wie etwa die Nieren, könnten jedoch, bei einer vorher vereinbarten Organspende des Verstorbenen, entnommen, gekühlt, um den Sauerstoffbedarf der einzelnen Zellen, deren Stoffwechsel herab zu setzen, durchaus anderen Menschen wieder eingepflanzt werden. Werden sie an dessen Kreislauf angeschlossen, können sie ihre Funktion wieder aufnehmen. Es geht dabei jetzt nur um das prinzipiell Machbare, weshalb ich auf immunologische Reaktionen wie Abstoßung eines Transplantats nicht eingehe.

 

Aber was hört denn nun auf beim Tod? Könnte man denn nicht – und wäre es nur in Utopia – einem reichen Menschen immer wieder ein versagendes Organ neu einpflanzen und ihn so ewig am Leben erhalten? Geht nicht. Es ist wieder unsere DNA, die uns auf das Ereignis unseres Todes vorprogrammiert hat. Schon das Alter, das Gebrechlichwerden eines ganzen Organismus, ob Mensch oder Tier, ist vorher festgelegt. Ob und wann man graue Haare bekommt. Und wie Zellen schon während des normalen Lebens zum Absterben programmiert sind, wie zum Beispiel regelmäßig alle unsere Blutzellen, um für neue, frisch nachwachsende Platz zu machen, so sind letztlich alle unsere Zellen auf ein Ende vorprogrammiert. Apoptose nennt man dies, was wir schon diskutiert haben. Ob dazu ein Anstoß von außen kommt, durch Gewalteinwirkung, durch Krankheit, Reaktionen unseres Immunsystems oder nur durch Einsetzen der altersmäßigen Vorprogrammierung, ist unerheblich.

 

Nur, und dessen muss man sich, so lange es noch geht, bewusst sein, es bleibt nichts übrig wenn der Tod stattgefunden hat. Zellenzyme, letztlich chemische Substanzen werden durch die Apoptose freigesetzt. Die Eiweißstrukturen werden abgebaut, zerstört. Auch Krebszellen, die nur scheinbar immortal, unsterblich sind, weil während des Lebens im Organismus die Apoptose nicht funktioniert, sterben beim Ausbleiben der Nahrungsversorgung durch Blut und Körpersäfte, ab. Bakterien spalten durch ihre Enzyme die Eiweiße weiter und gewinnen daraus die für sie notwendige Energie zu Wachstum und Fortpflanzung. Auch die Eiweißstrukturen, die einmal die Speicher unserer Erinnerung waren, werden abgebaut bis letztlich zur Ursuppe, aus der wieder neues Leben entstehen kann.

 

Ist das so furchtbar? Stellen wir uns vor, es gäbe das ewige Leben. Das wäre furchtbar. Es gäbe ja dieses Leben bei allen Organismen, bei Pflanzen und Tieren. Und doch müssten wir den Tod dieser Organismen herbeiführen, schon für unsere Ernährung. Und Abermilliarden von Menschen, die sich gegenseitig erdrückend die Erde bevölkern, würden Abermilliarden von Schweinen, Kälbern, Kaninchen auffressen wie Abermilliarden von Löwen die Abermilliarden von Gazellen? Muss ich diesen Unsinn weiterspinnen, vielleicht die Pflanzen einbeziehend? Fazit: Ohne den Tod wäre das Leben unmöglich.

 

Nun gut, im Prinzip ist die Medizin, und darum ging es in der bisherigen Diskussion über Leben und Tod, durch die medizinisch-biologische Grundlagenforschung, letztlich beruhend auf den Naturgesetzen, zu einer weitgehend objektiven Naturwissenschaft geworden, auch wenn manches noch durch Schamanentum überdeckt wird, wie schon gesagt.

 

Nun leben wir aber auf der Erde, müssen auf ihr leben. Was kann uns Menschen helfen diese winzige Zeitspanne, gemessen am Alter der Erde und des Kosmos, auch nur annähernd erträglich, von würdevoll will ich gar nicht reden, zu überstehen? Über die Medizin habe ich schon ein wenig geredet, nicht weil ich dazu kompetent wäre, sondern weil es mein Beruf war, aus dessen Sicht ich manches darlegen musste. Ich habe bisher versucht, vieles zudem aus der Sicht der Physik, der reinen Naturwissenschaften eben, zu erklären. Aber wozu könnten uns die anderen so genannten Wissenschaften helfen?

 

Über die Theologie haben wir schon gesprochen. Sie ist keine Wissenschaft, nur eine Fiktion, die aus eigener Fantasie Erscheinungen der Natur und des Lebens zu verpflichtenden Glaubensinhalten erklärt. Schon ihre Beschränkung auf den Menschen – Opfertiere und manchmal auch Menschen als Opfer ausgenommen – ist eine Ungeheuerlichkeit. Die Fiktion von Gott und Seele ist Zeichen der Unwissenheit. Und durch Perpetuation wird eine Fiktion nicht zur Realität.

 

Die Philosophie? Wir haben schon viel darüber gesprochen: Sie könnte eine Lebenshilfe sein, wenn sie erklärt und keinen Glauben verlangt. Philosophie und Mathematik, ein Dualismus bei einigen bedeutenden Philosophen, könnten eine Wohltat für die Menschen sein. Leider eiert ein Großteil der Philosophie um völlig redundante Nichtigkeiten oder hat ein ewiges Kreisen um einen Gott, der sie bestenfalls vom Einsturz ihres Gedankengebäudes bewahrt, zum Inhalt ihres Daseins gemacht.

 

Ob wir geistige Disziplinen wie Philologie, von Ursprachen wie Keilschrift, Hieroglyphen, alten euroasiatischen Sprachen und allen Sprachen der Neuzeit bis zu unserer eigenen, als Wissenschaft bezeichnen wollen, ist Definitionssache. Sprechen mussten und konnten die Menschen – auch Tiere sind nicht ohne Kommunikationsmöglichkeiten, die nur wir nicht völlig interpretieren können – schon immer. Und es hat wohl schon immer Philologen gegeben, die die Sprache der Stämme oder Sippen auseinander halten und ineinander zu übersetzen wussten. Ohne diese ersten Philologen wären wir wahrscheinlich, trotz mathematischer Erkenntnisse, heute noch auf einer Kulturstufe mit den Neandertalern.

 

Die Geschichtswissenschaften? Sie sind notwendig, auch wenn sie in ihrer reinsten Form nur beschreibend sind. Dass die Menschen „nichts aus der Geschichte lernen“, ist kein Versagen einer wissenschaftlichen Disziplin. Aber wenn man nur Cato zitierend: „ ceterum censeo Carthaginem esse delendam“ wüsste und daraus ablesen könnte wozu man Geschichte brauchen und missbrauchen kann, hätte die Menschheit schon einen Gewinn. (Cato, in Rom, nach Hannibals Zeit, im Dritten Punischen Krieg, soll bei jeder Gelegenheit gesagt haben: „im Übrigen bin ich dafür, dass Karthago zerstört werden muss“)

 

Zur Geschichtswissenschaft doch innig verknüpft mit den Naturwissenschaften, muss man die Paläobiologie mit Paläobotanik, Paläozoologie und Paläoanthropologie rechnen. Die Geologie und die Geographie sind unentbehrliche Wissenschaftsdisziplinen, auch wenn sich die Politik ihrer, oft nur zur Ölsuche und daraus sich ergebender Kriege, bedient.

 

Und was sind die Rechtswissenschaften? Eigentlich so viel Wissenschaft wie die Theologie, keine. Das heißt nicht, dass sie nicht notwendig sind. Sie müssen das Recht definieren und sollten im wesentlichen die Menschheit schützen, vor allem vor sich selbst, damit nicht „das Recht des Stärkeren“ stets obsiegt. Gewiss geht es nicht ohne Rechtsgeschichte im wissenschaftlichen Sinn. Aber wenn man sieht, wozu sich letztlich Recht und Gesetze seit jeher missbrauchen ließen, wie etwa im Dritten Reich, wird man vor allem an der akademischen Würde und Objektivität des Standes und zumindest eines Teils seiner Vertreter erhebliche Zweifel anmelden müssen.

 

Die Politikwissenschaft? Ist sie ein Zweig der Rechtswissenschaft? Was ist ein Politologe? Kann jemand, der Politikwissenschaft studiert hat, ein Examen machen und sich dann Diplompolitologe nennen, eventuell sogar zum „Dr. pol.“ werden? Hat ein Politologe Anspruch auf eine bezahlte Anstellung und wo? Man muss dies fragen, weil ja Gesetze durch Herrscher oder Parlament, was man Legislative nennt, also durch die Politik, geschaffen werden, dort aber selten Politologen – sind das jetzt Berufspolitiker oder nicht? – sitzen. Denn Herrscher oder Parlament, das den eigentlichen Souverän in einer Demokratie, das Volk, vertritt, haben gleichzeitig die Möglichkeit zum Gebrauch von Macht durch Bestrafung, Strafvollzug, Polizei und Militär, also die Exekutive, die die Einhaltung der Gesetze zu garantieren. Also  nochmals: Kann man Politik lernen? Gewiss, wenn Politiker nur ein erlernbarer Beruf wäre, wenn man nicht aus jedem Beruf oder sogar ohne einen solchen, Politiker werden könnte, wäre das ein Gewinn für die Menschheit. So aber beschloss ein Adolf Hitler Politiker zu werden und wurde dieses, ohne dass ihn eine Macht aufhalten konnte. Wo war und stand unsere geistige „Elite“ aus Religion, Philosophie und Wissenschaft jeder Art, als ein verunglückter, von der Akademie in Wien abgewiesener Postkartenmaler, den verhängnisvollen Entschluss fasste? Sie stand nicht tatenlos abseits, nein, sie krochen dem Mann in Devotion und Überheblichkeit, auf Vorteil bedacht, zu Füßen, machten ihn zu einem der Schlächter der Menschheitsgeschichte. Gut, es waren wenigstens keine Intellektuellen. Die gab es nicht. Zumindest keine Politologen. Und heute? Ich denke, man kann ohne Verlust für die Menschheit, die Politikwissenschaft als solche, für keine halten.

 

Vielleicht hätte ich vor der Politik über die Kunst reden sollen. Schon wegen des Unglücks mit Hitler, dessen spätere hypothetische Bilder man in Wien, New York, Tokio, Berlin oder nirgends, hätte bestaunen können. Man hätte ihn malen lassen sollen, womit er keinen Schaden angerichtet hätte. Aber ich will damit nicht sagen was Kunst ist, allenfalls ein wenig darüber reden. Warum? Nun, Kunst ist immer ein Phänomen der Zeit. Ob in Malerei, Musik oder Dichtung. Wir sollten sie als solche ansehen und weder gutheißen noch verdammen. Wir haben die Möglichkeit hin oder wegzusehen, hin oder wegzuhören oder sie ganz zu ignorieren, was viele Menschen tun. Kunst zu werten, was besser oder schlechter ist, ist unsinnig. Gotik ist nicht besser oder schlechter als Romanik oder Renaissance. Ich kann mich an der Ästhetik des Baus eines Doms erfreuen, auch an seiner Ausstattung, ohne zum Bilderstürmer wegen meiner Meinung über einen nicht vorhandenen Gott zu werden. Ein rotes Quadrat und ein blauer Kreis eines mir unbekannten Malers, können mir Freude bereiten aber es kann mich niemand zwingen das als objektiv schön und anbetungswürdig zu finden. Es gehört sicher in die Geschäftemacherei, in die „Promotion“, ob ein Künstler erfolgreich ist oder nicht. Das hat keineswegs immer etwas mit der „Qualität“ seiner Werke zu tun. Aber darin, in der Promotion steckt ja auch schon eine gewisse Kunst.

 

Dennoch muss ich Kunst auch wieder im Zusammenhang mit Religion und Politik sehen: Ich halte es auch für einen Frevel an der Menschheit und zudem nur aus Dummheit und mangelndem Intellekt zu erklären, wenn man, wie die Taliban in Afghanistan alte Buddhastatuen sprengt, weil sie von falschem Glauben sind oder wie man in der Nachreformation Bilder aus Kirchen vernichtete. Auch das Verbrennen von Büchern gehört dazu.

 

Vielleicht fragt man jetzt, wenn man wohlmeinend mit mir ist und überhaupt fragt, wozu diese ganze Schreiberei über Urknall, Naturgesetze, Evolution, Religion und was sich noch Wissenschaft, auch Kunst nennt, nützlich ist? Wozu? Wozu das sich Wetzen an einem Phantom wie Gott, Seele oder Glauben? Wozu, - nicht ein Scherbengericht zu veranstalten, was ja ein einzelner Mensch nicht kann, sondern - allenfalls Scherben zu produzieren?

 

So genau kann ich selbst keine Antwort geben, denn, was ich auch immer als Grund anführen kann, es ginge die Welt auch ohne diesen weiter. Doch vielleicht kann ich einen kleinen, nützlichen Beitrag dazu leisten, die Zukunft ohne Angst und mit Gelassenheit zu sehen, auch wenn sie wahrscheinlich nicht schön sein wird. Vielleicht wird das Folgende doch ein wenig „Trost in der Philosophie“, auch wenn ich der Philosophie sehr skeptisch gegenüberstehe.

 

Also, was wird sein und kommen und warum?

 

In der Geschichte des Kosmos ist es nach dem Urknall zu systematischem Entstehen von Sternen, deren Vergehen und erneutem Entstehen von Sternen, gekommen. Durch die Naturgesetze, die überall im Kosmos gelten, war es möglich, dass in einem System um einen Stern, unsere Sonne, auf einem ihrer Trabanten, der Erde, in einem habitablen Abstand Leben entstehen konnte. Nur durch die physikalischen Gegebenheiten war dies möglich und, falls es noch irgendwo im Kosmos die selben Bedingungen gäbe, würde dort alles genau so ablaufen.

 

Auf der Erde ist Leben entstanden, das sich, in einem für ein Individuum nicht vorstellbar langem Zeitraum, bis zum heutigen Menschen entwickelte. Wir, die Menschen, nehmen an, dass wir ein bisheriger Endpunkt der Zivilisation sind, schon auf Grund unserer Intelligenz, die uns, nach eigener Vorstellung, den andern Wesen überlegen macht. Es sieht in der Tat so aus, als wären wir die ersten Lebewesen, die bewusst die Oberfläche der Erde gestalten können, aber auch die ersten, die in der Lage sind, wohl nicht den Planeten, aber sämtliches Leben auf ihm, zu vernichten. Ob es jegliches Leben ist oder nur „höheres“ und, nach einer planetarischen oder kosmischen Katastrophe ein neuer Kreislauf beginnen könnte, ist wohl zweitrangig. Was wir als Menschen zudem außer acht lassen können, ist die Tatsache des Untergangs unseres Zentralgestirns, der Sonne, in Milliarden Jahren, in dem auch die Erde in einem riesigen Glutball verschwindet.

 

Gehen wir also willkürlich von einem Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte, dem Jahr Null, vor oder nach Christi Geburt aus. Die Größe der Weltbevölkerung wird für damals auf 170 bis 400 Millionen geschätzt. Das Römische Reich soll 57 Millionen Menschen gezählt haben, das Chinesische Reich 75 Mio. Einwohner. Vor 1000 Jahren lebten um 350 Millionen Menschen. Trotz Pest, Pocken und anderer Seuchen im Spätmittelalter hat die Weltbevölkerung vor 500 Jahren um 500 Millionen Menschen betragen.

 

1804 überschritt die Weltbevölkerung erstmal eine Milliarde Menschen, innerhalb des 20. Jahrhunderts hat sich die Weltbevölkerung fast vervierfacht: Über, 1927 mit 2 Milliarden auf 6 Milliarden Menschen 1999. Die 7-Milliarden-Marke wird voraussichtlich im Jahr 2012 erreicht sein, obwohl seit Ende der 80er-Jahre das Weltbevölkerungswachstum in absoluten Zahlen abnimmt. Obwohl die Geschwindigkeit des Wachstums abnimmt, wächst also die Weltbevölkerung dennoch, nur langsamer.

 

Mit der Bevölkerungsexplosion in den vergangenen zwei Jahrhunderten, ging eine ebenso explosionsartige Entwicklung der Technik einher. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Weltbevölkerung stieg deutlich an, vor allem wegen der Abnahme der Kindersterblichkeit. Jedoch von einer auch nur annähernd positiven Entwicklung zu sprechen, hieße das individuelle Schicksal der Menschen völlig zu verkennen. Es ist nämlich ganz entscheidend wo, geographisch, und in welchem Kulturkreis der jeweilige Mensch lebt.

 

Zweifellos hat, durch die Naturwissenschaften erst möglich, die Technik auf allen Gebieten den Stand erreicht, der es zuließ die Menschenmassen oder wenigstens einen Teil davon, einigermaßen zu ernähren und sich weiter zu entwickeln, das heißt sich fortpflanzen zu lassen. Ob die Weiterentwicklung durch Agrartechnik mit neuen Anbaumethoden, durch Bautechnik, dem Bau von Staudämmen zur Felderbewässerung, durch Entdeckung der Antibiotika und ihre Einführung in die Therapie, durch den Bau von Kraftwerken, einschließlich der von Atomkraftwerken, zur Deckung des ungeheueren Energiebedarfs der Technik, durch Verbesserung von Infrastruktur und Mobilität geschah, ist in der Einzelbedeutung nebensächlich, weil nichts vom andern unabhängig, also nicht vernetzt, geschehen konnte.

 

Es ist jedoch ein Irrtum anzunehmen, dass diese Entwicklung generell und überall so war. Für die Bevölkerung von London, Stockholm, Tokio und Buenos Aires, auch für andere Städte und sogar Landschaften, beispielsweise die Getreideanbaugebiete in Niederbayern oder Kanada, mag dies zutreffen. Aber in Afrika müssen Frauen immer noch einige Kilometer zu einem Loch mit schmutzigem Wasser laufen und dieses als Trinkwasser für die Familie in einem Blecheimer oder einem Tontopf nachhause tragen. Aber was hat das mit der Entwicklung der Technik, mit einem doch wahrscheinlichen Benefit für die Menschheit insgesamt zu tun?

 

Nun gut oder weniger: Um das zu erklären kann ich gleich bei der Negerin mit dem Wassereimer bleiben. Warum müssen die Frauen nach Wasser laufen, während der Mann, der faule Neger, im Kral oder der Wellblechhütte herumliegt und Schnaps säuft? Man kann, wenn man nur fleißig und clever ist, auch in Afrika zu etwas kommen. In der Zentralafrikanischen Republik brachte es ein M. Bokassa zum Kaiser, mit einem goldenen Bett.

 

Ich weiß, dass ich jetzt damit ganz primitive auch unrichtige Vorurteile – jedes Vorurteil, und sei es ein „noch so gesundes“, ist unrichtig – bedient habe. Ich weiß auch, dass man in Tokio, London oder Moskau heute noch verhungern kann. In China, Russland und Indien gibt es Milliardäre und Verhungernde. Das ist eben so und wird es bleiben! Muss es so bleiben und wenn ja, warum?

 

Gehen wir zurück zum afrikanischen Wasserloch. Was soll die Frau, die vielleicht noch einen Säugling in einem Tuch auf den Rücken gebunden hat, machen? Kein Wasser holen? Was dann? Sie soll dem faulen Mann, der erst kürzlich seinen Job in der Kupfermine verloren hat – auf dem Weltmarkt ist der Preis für Rohkupfer gerade wieder zusammengebrochen – den Wassereimer auf den Kopf schlagen und ihn zum Wasserholen schicken. Er wird sie schlagen oder erschlagen. Doch warum sich darüber aufregen? Das ist eben so bei den Schwarzen. Schließlich haben die ja auch so etwas wie eine Regierung und Wahlen und sind nicht mehr ausschließlich Menschenfresser. Und investiert nicht die westliche Industrie Millionen in den Mangan- Kupfer- und Zinnbergbau? Ja, in den Bergbau und den eigenen Gewinn. Doch man hat nicht einen einzigen Cent zum Vorteil für den Neger in das Land investiert. Allenfalls hat man die herrschende Klasse, soweit sie nur das geringste zu sagen hatte, geschmiert. So gehört heute das Land in Afrika und in den „unterentwickelten“ Ländern der Erde, irgendwelchen Firmen, die, sollten sie von der Bevölkerung bedroht werden, von einem Bataillon Fallschirmjägern geschützt werden, Und in „Schwellenländern“, zu denen Indien und China längst nicht mehr gehören, sind Ressourcen, Industrie und Infrastruktur längst in Händen einiger weniger.

 

Also, was soll man machen? Vielleicht würde hier unsererseits ein mehrmaliges und bedauerndes Achselzucken helfen? Ich habe noch keine Lösung dafür, werde aber, etwas später, zu einer Antwort oder wenigstens zu einer Erklärung zum weiteren Schicksals des Negers und der Welt kommen. Zunächst aber eine weitere, hinterhältige Betrachtung:

 

Sicher hat sich in China die Situation für das Volk insgesamt, also in Bezug auf Ernährung, Wohnmöglichkeit, Komfort (Fernseher), Bildung (der Pianist Lang Lang) durch die kommunistische Revolution gegenüber der Kaiserzeit gebessert. Die verhungernden Wanderarbeiter, unter primitivsten Verhältnissen lebende Land- oder Fabrikarbeiter, auf die jetzt immer hingewiesen wird, hat es im Chinesischen Kaiserreich in weit höherem Maße gegeben, nur wir wussten es nicht oder wollten es nicht wissen. Nicht dass jetzt Mao Tse-tung (bitte aussuchen ob Mao Zedong besser ist) China und seinen Menschen die Lösung oder Erlösung gebracht hätte. Deng Xiaoping, der in Frankreich kurzzeitig zur Schule ging und in Russland war, hatte bereits seine Lehren im „liberalen“, westlichen Sinn verändert, blieb aber Kommunist. Nur dadurch aber konnte China eine so ungeheuere Macht erlangen, die sie heute als eine der führenden Industrienationen dastehen lässt.

 

Und nun unterdrückt China das Volk in Tibet und dessen Religion und will außerdem Taiwan, das auch Formosa hieß und einem Generalissimus Chiang Kai-shek als Rückzugsinsel vor dem Kommunismus diente, wieder annektieren. Da sieht man es wieder! Erst gegen Japan Kriege verlieren (was wollte Japan in China?), dann deutsche, britische und andere „Besitzungen“ etwa Hong Kong, sich wieder einverleiben, typisch!

 

Ich hätte da beinahe wieder vergessen zu sagen, dass es um die Macht geht. Es geht um die Macht für den einzelnen ganz persönlich, die er, notfalls über den Weg der angeblichen Fürsorge für das Volk und das Land, erreichen will. Auch die Zerstörung der Macht des anderen, selbst ohne eigenen Machtgewinn, kann eine Triebfeder zur Unterdrückung eines anderen – denn Macht ohne Unterdrückung gibt es nicht – sein. Die Macht oder die Machtsucht des einzelnen, ob Mann über Frau, ob Chef über Mitarbeiter, ob Offizier über einfachen Soldaten, ob ein Land über ein anderes (durch Machtrepräsentanten geregelt), will aber stets den eigenen Vorteil. So beim Sex, auch über eine Mitarbeiterin, in der Befehlsgewalt für den Offizier, dem ein größeres Stück Fleisch in der Kantine zusteht, und was noch so alles. Macht hat auch der Löwe über Löwinnen, der Affenhäuptling über die Äffinnen. Alle wollen Macht und Vorteil. Sollte da etwa irgendetwas genetisch bedingt sein?

 

Das ist sicher eine erste Antwort und ich wage zu behaupten, eine richtige. Doch gehen wir zurück nach Afrika. Als es den Buren Hollands, sicher aus Not und Bevölkerungsdruck, und mit guten Waffen ausgerüstet möglich war, Negerstämmen in Südafrika Land wegzunehmen und dort überlegen zu siedeln, als Frankreich, England, auch Deutschland im übrigen Afrika wie auch in Asien und Amerika entweder mit Kanonenbooten oder mit wertlosen Glasperlen Kolonien erwarben, dann geschah das nicht, um auch dem letzten Neger zu einem Quentchen Glück oder Wohlstand zu verhelfen. Man hat die Neger, wenn man human war, für sich arbeiten lassen, zu den eigenen, nicht zu deren Bedingungen, da diese keine zu stellen hatten. Und als man in Amerika billigste Arbeitskräfte brauchte, um das Land, das man den Ureinwohnern weggenommen, nicht abgekauft, hatte, um es zu bearbeiten, ließ man Sklaven in Ketten aus Afrika bringen.

 

Nur eines sollten wir doch nicht vergessen: Haben wir nicht den armen Heiden, nach Nächten der Finsternis, als sie Menschen fressen mussten, das Licht der Wahrheit, Gott, den wahren Glauben gebracht? Nun, vielleicht in etwas verschiedener Verpackung, als Katholizismus, als Baptisten, Presbyter, Lutheraner, Reformierte, weil, schließlich hatten die Neger vorher auch keine einheitliche Religion, sondern viele Götter und wären vielleicht verwirrt worden. Wenn etwas nicht so mit Kolonisation (die Religion wurde ausgeklammert, weil ein Negerpfarrer Neger bleibt), wie bei den Hereros in „Deutsch-Südwestafrika“ (heute Namibia, wo die Deutschen noch angesehene Leute sind), klappte, ließ zum Beispiel Generalleutnant Lothar von Trotha den Aufstand 1904 niederwerfen. „Der größte Teil der Hereros floh daraufhin in die fast wasserlose Omaheke-Wüste. Von Trotha ließ diese abriegeln und die Flüchtlinge von den wenigen dort existenten Wasserstellen verjagen, so dass Tausende Hereros mitsamt ihrer Familien und Rinderherden verdursteten. Den so in die Wüste Gejagten ließ von Trotha im so genannten Vernichtungsbefehl mitteilen: „Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen. […] Innerhalb der Deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“ Die Vorgänge kosteten bis zu 80 000 Herero das Leben. Wer etwas über den ersten Völkermord im 20.Jahrhundert wissen will, kann sich ja in einschlägigen Geschichtswerken informieren. Hier geht es leider nur um Afrika und das war damals, schon lange her.

 

Doch was haben solch alte Geschichten, Völkermord hin oder her, mit der heutigen Welt zu tun? Es hat insofern damit zu tun, dass die alten Geschichten noch gar nicht zu Ende sind, sondern in allenfalls etwas geänderter Form weitergehen. Aber versucht man nicht, gerade die Staaten in Afrika, im Zuge der so genannten Globalisierung der Wirtschaft, einzubinden? Richtig, das versucht man. Aber die Bedingungen, die man den Staaten für einen Kredit stellt, sind so, dass sie nicht erfüllt werden können. Der IWF, der Internationale Währungsfonds, ein Instrument der Weltbank, die von den Industrienationen beherrscht wird, stellt Kredite unter den Bedingungen von Handelsbarrieren und Embargos für die oft einzigen Ausfuhrgüter eines Landes zur Verfügung, die die bereits marode Wirtschaft vollends zugrunde richten. Untereinander sichern sich Industrienationen durch Freihandelsabkommen die Märkte, die die Preise bestimmen und schließen weniger potente Staaten von ihnen aus. Von 2000 bis 2004 war übrigens der Deutsche Horst Köhler, heute Bundespräsident, Direktor des IWF. Das soll nun nicht heißen, Deutschland, Köhler oder die Globalisierung überhaupt seien Schuld an einer Weltwirtschaftsmisere, an der wirtschaftlichen Vernichtung eines Kontinents – und keineswegs dieses Kontinents alleine – sondern ich will damit sagen, dass das Streben nach Macht, nach Beherrschung eines Unteren durch einen Oberen, sei es Nation oder Individuum, direkt und in absehbarer Zeit zu einer globalen Katastrophe führen wird.

 

Wenn der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz in seinem Buch „Die Schatten der Globalisierung den IWF für seine angeblich blinde Verfolgung der Wirtschaftspolitik-Vorstellungen des Washington Consensus kritisiert, in seinem nächsten Werk „Die Chancen der Globalisierung“ die Finanzmärkte weiterhin für ihre unmenschlichen Verhaltungsweisen tadelt, so ist das alles hervorragend und pragmatisch bis ins Detail formuliert. Ich habe daraus viel gelernt; in Zahlen über Afrika, Indien, China, die USA und Europa. Aber seine Ratschläge und Mahnungen werden, trotz Nobelpreis, bestenfalls interessant sein für diejenigen, die an den direkten Hebeln der Macht sitzen, doch kaum etwas ändern. So lange die Maximierung von Gewinnen und Macht letztlich das Ziel aller ist, wird, wie schon gesagt, eine globale Katastrophe unausweichlich.

 

Ich muss hier, wie so oft in meinem Schreiben, eine sehr traurige Geschichte dazwischen schieben. Von Primo Levi habe ich gelesen: Die Verlorenen und die Geretteten; Ist das ein Mensch? (aus: Levi. Ist das ein Mensch? – Die Atempause. Aus dem Italienischen von H. Ried, B. und R. Pichet. Carl Hanser Verlag, München – Wien, 1991). „1944 lebten in Auschwitz von den alten jüdischen Häftlingen, von den „kleinen Nummern“ unter Hundertfünfzigtausend nur noch ein paar hundert; keiner von diesen war ein gewöhnlicher Häftling in einem gewöhnlichen Kommando und mit gewöhnlicher Ration. Es blieben nur die Ärzte übrig, die Schneider, Flickschuster, Musiker und Köche, attraktive Homosexuelle und Freunde oder Landsleute irgendwelcher Lagerautoritäten; darüber hinaus besonders rücksichtslose, kräftige und unmenschliche Individuen, die sich [...] als Kapos, Blockälteste und noch in anderen Ämtern behaupteten; und endlich diejenigen, die [...] vermöge ihrer Durchtriebenheit und Tatkraft stets imstande waren, mit Erfolg zu organisieren“. „Wer es nicht fertig bringt, Organisator, Kombinator, Prominenter zu werden, der endet bald als Muselmann.“

 

Muselmänner, im Lagerjargon, waren die Unterlegenen, und dazu heißt es bei Levi: „Unterliegen ist am leichtesten: Dazu braucht man nur alles auszuführen, was befohlen wird, nichts zu essen als die Ration und die Arbeits- und Lagerdisziplin zu befolgen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass man solcherart nur in Ausnahmefällen länger als drei Monate durchhalten kann. Alle Muselmänner, die im Gas enden, haben die gleiche Geschichte [...], sie haben gar keine“.

 

Nun, es geht mir nicht darum eine furchtbare Geschichte zu zitieren. Gleichsam ein Geschäft mit dem Grausamen zu machen, liegt mir fern und wer sagt, dass ich vor nichts zurückschrecke, will mich nicht verstehen. Aber etwas, was unter Extrembedingungen geschieht, macht vielleicht „weniger grausame“ Vorgänge nicht gerecht, erträglich oder hinnehmbar. Ich will auch nicht, selbst wenn ich weitere Beispiele menschlichen und völkischen Handelns aufführen muss, aufrechnen. Ich bin schließlich kein katholischer Bischof. Es geht mir um die „Muselmänner“, um die wehrlosen aber keineswegs dummen Menschen. Dumm kann sie sowieso nur der Gerissene, der Charakterlose nennen.

 

Man kann jetzt, und durchaus zu Recht, sagen, ich sei ein Utopist. Das ist wahr. Es kann keine Wirtschaft gedeihen ohne zu wachsen, was sie nach Aussage eines jeden Ökonomen muss. Gut, sei es so. Also muss man immer ein wenig cleverer als der andere sein. Das geht auf Kosten der Armen, die entweder wirtschaftlich in Not geraten sind oder in die Not hineingeboren wurden und nie herauskommen können. Freilich kann man sagen: wozu? Wozu wollen diese Menschen – genetisch sind sie wohl welche – aus einer Situation, sagen wir aus der Armut, heraus kommen? Der Neger in Afrika soll das Wasser aus dem Wasserloch eben abkochen, vor dem Trinken. Man kann Wurzeln ausgraben und essen, irgendwelches Getier, falls es das noch gibt und es ein Oberer erlaubt, jagen und essen. Man verhungert dann schon nicht. Und zum Leben braucht weder ein Eskimo, noch ein Neger, noch ein mongolischer Hirte oder ein Hartz -Vier – Empfänger einen Fernseher oder ein Auto und was das Volk alles noch so will. Gewiss, das mag so sein. Aber vielleicht gibt es Arme, die wären mit ihrem Schicksal, ihrem Stand, durchaus zufrieden. Sie sind nicht faul, arbeiten, auch wenn sie wenig verdienen und sind dem Reichen oft gar nicht neidisch. Ja dann soll man sie doch so lassen! Geht nicht. Nicht wegen einer Gewerkschaft, die sich aus dem ihr eigenen Motiv darum kümmern muss. Nein, es wird so sein, dass der Clevere, sich auf Kosten der Armen reicher macht. Ist doch nicht meine Schuld, dass der Brotpreis steigt, sagt der Bäcker. Schließlich muss ich auch mehr für Mehl bezahlen. Wenn der Händler dem Bauern nicht mehr für sein Getreide gibt, und sagt, er könne es verfaulen lassen, wenn er es nicht zum gleichen oder einen niedrigeren Preis bekomme als im letzten Jahr. Was soll der Bauer machen? Ärmer werden oder Revolution oder zur Gewerkschaft gehen. Gerhard Polt, ein deutscher Kabarettist und Philosoph, hat gesagt: „Wenn ich mir für einen Euro neunzig die Stunde, einen russischen Universitätsprofessor zum Rasenmähen, für die Gartenarbeit und für den Nachhilfeunterricht meines Sohnes leisten kann – ja was wollen Sie denn noch mehr?“

 

Na ja, Spießerkapitalismus, Neidgehabe, wird man sagen. Wir sind doch keine Bestien! Das sind wir gewiss nicht, denn unser genetischer Code erlaubt es uns, uns nicht tierisch zu verhalten. Nur ein Beispiel: Wildhunde jagen in Afrika Gazellen. Aus dem Rudel bilden sich kleine Gruppen, die Gazellen von der Herde trennen und reißen. Hat eine solche Gruppe eine Gazelle erlegt, wird ein heulendes Signal an die anderen Gruppen gesandt, die Jagd einzustellen und zur dann gemeinsamen Beute zum Fressen zu kommen. Was hat das aber mit uns Menschen zu tun? Sind wir Raubtiere? Ach so? Raubtierkapitalismus, natürlich nur eine Metapher und eine Beleidigung für wilde Hunde.

 

Und, sagen wir es so: Die Armen haben keine Lobby. Nirgends. Wenn man sie braucht, in jedem Land der Erde, als billige Arbeiter, als Sklaven, als Dumme, dann benutzt man sie. Braucht man sie nicht, das heißt braucht man ihr Land, ihr Vermögen (falls sie eines hatten) vertreibt oder tötet man sie. Die Hereros sind ein Beispiel, die Armenier in der Türkei ebenso, der Holocaust an den Juden. Wer arm ist und keine Macht hat, oder keine selbst gebrauchen will, geht unter.

 

Es kann niemand sagen, dass dies Utopien wären, meine Horrorszenarien. Utopien können ja auch negativ besetzt sein. Und die Horrorszenarien waren bitterste Realität. Und ich bin sicher, dass man jederzeit wieder Konzentrationslager einrichten wird, - zudem hat man sie schon - in denen der genetische Abschaum wütet, wenn es „die Umstände erfordern“. Daraus sollte man eigentlich folgern, dass, wenn es überhaupt möglich ist die Erde weiterhin mit Menschen zu bevölkern, dies nur dadurch geht, dass man ein soziales System, in dem der Stärkere dem Schwächeren hilft, ihn mitkommen lässt, etabliert. Man wird nichteinmal verlangen, dass es keinen Unterschied geben dürfe. Also es geht weder um einen Edelkommunismus (wer edel betont, will immer etwas schlechtes aufwerten) noch um ein wirklich utopischen Urchristentum oder um die entsprechenden Heilsverkündigungen anderer Religionen. Es sollte darum gehen, ein einigermaßen ausgeglichenes, gerechteres System zu schaffen. Aber ist das vielleicht doch eine Utopie? Wenn ja, ja wenn schon, dann in Gottes oder wessen Namen auch immer, soll die Welt in ferner Zukunft eben untergehen!

 

Nein, hier geht es nicht um ferne Zukunft, sondern um einen absehbaren, für uns überschaubaren Zeitraum, von einigen Jahren vielleicht. Ob es sich um zehn, hundert oder tausend Jahre handelt, ist nicht zu sagen. Nach den technischen Möglichkeiten, die erst in den letzten hundert Jahren exponentiell gewachsen sind, müsste eine futuristische Betrachtung eher zu einem sehr kurzen Zeitraum führen. Dies ist eine wohl nur scheinbar pessimistische Aussage, die ich begründen will.

 

In den allernächsten Jahren werden Wirtschafts- und Religionskriege die Erde überziehen. Es ist dabei irrelevant ob Klimakatastrophen, die wahrscheinlich von Menschen nur befördert, nicht allein technisch erzeugt, hinzukommen oder aufgehalten werden. Solche, zweifellos als Katastrophen ablaufende Ereignisse, die mit dem Untergang von Arten einhergehen, werden, wie das Verhalten der Industrienationen während der letzten Finanzkrise seit 2008 zeigt, völlig zugunsten der so genannten Wirtschaftsförderung ausgeblendet. Das heißt, vorher vereinbarte „Klimaziele“ werden sofort aufgegeben. Es interessiert sich beispielsweise niemand mehr dafür, ob durch Abschmelzen von Polareis die Niederlande oder Inseln im Pazifischen Ozean vom Meer überflutet werden oder nicht.

 

Um natürliche Ressourcen, allen voran Öl, werden Kriege geführt werden, wie der letzte Irakkrieg zeigt. Es wird dabei vom politisch und militärisch Machbaren, das heißt schlicht von der Macht ausgegangen, mit der man in der Lage ist, an die entsprechenden Rohstoffe zu gelangen. Die Macht manifestiert sich in realen Truppen, sprich Soldaten, oder in einem durchaus realistischen Drohpotential in Form von Vernichtungswaffen. Allein der letztgenannte Begriff, der zur Legitimation des Irakkrieges diente, obwohl man die Unwahrheit der Behauptung, betreffend das Regime Saddam Hussein, kannte, zeigt wie wenig Hemmung vorhanden wäre, wenn es darum ginge sie anzuwenden oder auszuschalten. Moralische Bedenken gibt es von keiner Seite. Lediglich die Furcht des eigenen Untergangs, durch Reaktionen eines angegriffenen Gegners, haben Großmächte wie die USA oder die ehemalige Sowjetunion davon abgehalten, ihre Waffen gegeneinander einzusetzen.

 

Ist man in der Lage allein mit wirtschaftlichem Druck etwa an Öl zu kommen, wie in Nigeria, begnügt man sich mit diesem kleinsten Aufwand. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Land wie Venezuela, das über viel Öl verfügt, durch Umsturz seiner sozialistischen Regierung oder einfach durch Krieg – ob zwischen Nachbarn oder in Form eines Guerillakrieges ist gleichgültig – wieder in ein westlich-kapitalistisches System eingebunden ist. Dass ein im Grunde sozialistischer Staat wie Kuba, trotz massivster Drohgebärden seitens der UDSSR und der USA in den sechziger Jahren, bis heute bestehen konnte, hat er weniger dem Patt der Bedrohung als vielmehr seinen eher ärmlichen, natürlichen Ressourcen zu verdanken. Dafür wäre von keiner Seite ein die Erde bedrohender Krieg in Kauf genommen worden.

 

Was für Öl gilt, gilt auch für Erz, Diamanten, Kohle (je nach wirtschaftlich lohnendem Abbau) und Wasser. Doch wie gelangt man an diese Ressourcen, besser, wer gelangt an sie? Wie gesagt, die Macht. Aber wer wiederum ist das? Es sind die Reichen, die, die schon haben. Das mag sich zunächst primitiv, oberflächlich gedacht, anhören, ist es aber kaum. Wenn ich sage, etwa der frühere Präsident der USA, George W. Bush, der mag zwar reich gewesen sein, aber er hat doch mit seinem privaten Geld nicht den Krieg geführt, also muss er sich des Geldes des Staats bedient haben. Stimmt. Doch, um das zu können, muss er erst einmal so viel Geld, soviel Zaster aus dem Ölgeschäft seiner Familie in Texas, zusammengetragen haben können, wie notwendig war, überhaupt an dieses Amt zu kommen. Er und seine Vorfahren – worunter schon sein Vater Präsident der USA war – müssen Indianern, Farmern oder sonstigen Vorbesitzern das Land mit Tricks oder Gewalt abgeluchst haben, auf dem dann Öl gefunden wurde, bzw. sie wussten es vorher, sonst hätten sie es nicht von einem Dummen bekommen.

 

Das geht aber genau so ohne texanisches Öl. Das ging schon zu Zeiten des Adels, als ein Ritter ein Dorf zu eigen hatte, dieser Ritter in Lehensabhängigkeit von einem Grafen, dieser von einem Herzog und der von einem König war. Das wesentliche an der Geschichte ist, dass immer ein wenig von Vielen nach oben weitergereicht wurde. Vielleicht hat man nach oben nicht mehr zu viel gegeben, aber wenn, dann weniger als man von unten bekam, weil man ja etwas für sich behalten musste. Aber ganz unten war da einer, der konnte nicht mehr zu einem hinunterlangen, weil er schon unten war, im Silberbergwerk in Tirol, in den Quecksilberminen Südamerikas. Und wie ist es heute? Der Ölbohrer in Nigeria ist ein armer Neger, vielleicht hat er mehr als ein nackter Buschmann. Der Neger in der Diamantenmine Südafrikas, hat die Steine, die er findet weder als Klunker an der Hand, noch hat er auch nur einen Bruchteil dessen was sie kosten, wenn sie verkauft werden.

 

Aber da gibt es Leute, die hatten nie einen öligen Finger, hatten nie eine Schaufel in der Hand, um nach Diamanten zu graben, aber denen gehörten das Öl und die Steine. Sie saßen nur im Verwaltungsgebäude und strichen Geld ein. Halt, halt, völlig falsch. Sicher hatte das Direktorchen im Verwaltungsgebäude mehr Geld als der Minenneger, aber das eigentliche Geld aus dem Verkauf hatte ein Mr. X. in London. Und als einmal Mr. X. noch eine Mine, von der er gar nicht wusste wo sie war, kaufen wollte, und im Moment nicht so viel im Portemonnaie hatte, ging er zur Bank, die ihm zum Teil schon gehörte, und da bekam er welches geliehen. Der Banker hatte zwar den Kopf geschüttelt, wegen der Summe, sagte sich aber, dass Mr. X. im Vorstand ist und bei der Gelegenheit sich und mir Boni für meine Cleverness zahlt und das Gehalt von 8 Millionen $ im Jahr. Und noch etwas: Mr. X. kann den Bankkredit, und wenn es nur zum Teil ist, absetzen. Das heißt er zahlt für das, was er dennoch verdient, weniger Steuer, oder, wenn es ganz dumm kommt, bekommt er noch etwas heraus, zumindest wenn er in Deutschland das Geschäft machen würde. Aber wir wollen nicht schwarz malen und ungerecht sein. Mr. X. führt einen bescheidenen Lebenswandel. Er isst zum Frühstück zwei Brötchen mit etwas Marmelade drauf. Dafür zahlt er, allein für die Brötchen und die Marmelade, 16 Cent Mehrwertsteuer wie jeder andere. Auch der Minenneger zahlt 16 Cent, oder würde sie bezahlen, wenn er sie bekäme mit seinem immensen Lohn.

 

Vielleicht sollte ich endlich aufhören über Kapital, Kapitalismus und Geld zu reden. Schließlich geht es um den Menschen, unsere moderne Welt und ihre Zukunft. Gewiss, darum geht es und es geht wieder um Macht, besser um die nächsten Kriege. Weil es nicht anders zugehen wird in den ehemals sozialistischen Ländern – viele Milliardäre in Russland – als in den anderen, gibt es überall die gleichen Verhältnisse. Jeder Staat will mächtiger werden, wodurch ein anderer schwächer wird. Zunächst wird Bolivien Venezuela angreifen oder umgekehrt, werden wir Afghanistan wieder besetzen, werden wir Bomben tschetschenischer Herkunft in Moskau werfen, werden wir uns diese blöden Neger in Afrika samt und sonders kaufen, wir werden Farmer enteignen, die uns zwar vorher das Land genommen haben, aber „was draus machten“. Wir werden Südkorea besetzen, wir Nordkorea, Tibet war schon immer chinesisch, wir werden Israel ausradieren, das Jordanwasser gehört uns.

 

Es ist sicher langweilig, wenn ich noch so weiter aufzähle. Rascher geht es doch wenn wir in Afrika auf Aids setzen und auf Aushungern, auf Vernichtung von Infrastruktur, was zu Missernten usw. führt. Man wird uns für Hilfsprogramme nach Dürren die Füße küssen, wenn das Programm nicht zugunsten eines anderen notfalls fallen gelassen wird. Wir könnten ja schon mal eine Bombe, ihr wisst schon welche, und wäre es nur probehalber, auf Israel werfen. Was ist in Nord- oder Südkorea schon viel hin, wenn? China wird sagen, nach der Invasion in Taiwan, dass man sich Einmischungen in seine Angelegenheiten verbitte. Aber das ist doch alles Unsinn. Die Völker werden nicht übereinander herfallen. Schließlich haben wir einen Gott und eine Religion. (Es braucht nun niemand zurückzublättern).

 

Über Gott wurde schon genug gesagt. Und die Religion? Sie dient zumindest als Begründung für jeden Frevel an der Menschheit. Als der ehemals mächtige George W. Bush mit „we trust in god“ argumentierte, erfolgte kein Aufschrei aus dem Christlichen Lager. War ja auch Presbyter dieser Bush. Als der Mob in Pakistan wegen einer Prophetenkarikatur, die er nicht kannte randalierte, schrie kein Mullah auf. Als Ahmadinedschad verkündete den Staat Israel auszuradieren, hielt man das für die freie Meinung eines Politikers. Dass er das Oberhaupt eines islamischen Gottesstaates ist, hat anscheinend nichts mit der Religion zu tun. Dass in allen Ländern der Erde, vornehmlich in den islamischen, Frauen unterdrückt und misshandelt werden, die Scharia, jetzt erst in Somalia als Recht wieder eingeführt, die Steinigung angeblich ehebrecherischer Frauen erlaubt und fordert, ist eine Schweinerei. Jährlich werden an die 200 Frauen in der Türkei bei Ehrenmorden getötet. Jede dritte Frau erfährt im Laufe ihrer Ehe brutale Gewalt (Nase abgeschnitten, mit Messerschnitten usw. schwer verletzt) Kam in der Sendung „Kulturzeit“ am 24. 2. 2009, um 19.20 Uhr. In 3Sat. Soll man eine Religion, die diese Gräuel im Namen eines Gottes vertritt, tolerieren?

 

Nun gut, die Päpste, nicht nur dieser jetzige, haben immer sehr viel Verständnis für den Islam gezeigt und ihn als eine der großen Bruderreligionen bezeichnet. Das ist verständlich, weil Luther ja nicht Mohammedaner war. Doch was läuft im christlichen Lager, im Vatikan ab? Dieser bezeichnet sich nicht als Sprecher aller, sondern er kommt mit einem Alleinvertretungsanspruch daher. Abgesehen von einem völligen Negieren jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, der man einen irrationalen Glauben entgegen setzt, ist man geradezu auf Machtzuwachs um jeden Preis aus. Der Mensch ist neben den Interessen der Kirche eine völlig bedeutungslose Figur, soweit sie nicht zur Indoktrination gebraucht wird. Die Kirche allein ist wichtig. So hat der Heilige Vater aufsässige so genannte Befreiungstheologen in Südamerika exkommuniziert. Den Bischöfen von Argentinien, Chile und Brasilien kam das nicht ungelegen. Sie halten es eher mit den seit den Konquistadores eingesessenen Familien, die schließlich die Ländereien der Indiostämme benötigen.

 

Aber warum rege ich mich auf? Ist doch alles Gottes Wille, der allerdings nicht zuständig ist für die islamischen, für die hinduistischen, die buddhistischen Länder und die Schamanen. Und alle diese, für die Gott nicht zuständig ist, bilden ja die Mehrheit der Erdbevölkerung! Ich habe da etwas von einer Bevölkerungsexplosion gesagt. Was denn? Bald sieben Milliarden Menschen auf der Erde? Und da schreit niemand: Das Boot ist voll! Aber warum denn? „Gibt der Herr das Häslein, gibt er auch das Gräslein“. Es ist aber doch so: wie soll man die Millionen, ja Milliarden von Hungernden ernähren? Auch wenn man durch Gentechnik und ungeheueren Düngemitteleinsatz den Ertrag der Felder noch etwas steigern kann, wird es nie für eine einigermaßen gerechte und ausreichende Ernährung der Armen reichen. Alle Berechnungen über eine Verbesserung von Transportwegen und die geforderte Beseitigung von Handelsschranken, können das nicht ändern. Muss man nicht als erstes wenigstens den weiteren Zuwachs der Erdbevölkerung stoppen?

 

Ja um Gottes Willen, das ist doch Sünde! Grienende Päpste, völlig verblödete Bischöfe, die nur ein salbaderndes Herleiern von Dogmen für Wahrheit halten, schreien auf, wenn sie nur etwas von Geburtenkontrolle hören. Ich will dabei noch zunächst nichts gegen das Geheule bei der Schwangerschaftsunterbrechung sagen. Aber es können Millionen von Menschen schon im Kindesalter in Afrika an Aids sterben, was aber immer noch besser ist, als Verhütungsmittel beim Verkehr anzuwenden. Schon die Aufklärung über Verhütung ist Sünde. Ist sich niemand von den Purpurträgern und Schwarzkittel der Ungeheuerlichkeit eines solchen Verhaltens, eines Frevels am Menschen, bewusst? Gut, Geist und Bildung, kann man von Menschen, die nur den Heiligen Geist kennen, nicht erwarten.

 

Und wenn man schon eine Geburtenkontrolle durch Verhütung denen verbietet, die sich aus unverschuldeter Unbildung der Meinung der Vertreter ihres Gottes beugen, muss man dann über Abtreibung zetern? Es ist nicht nur eine ungeheuerliche Anmaßung und zugleich Blödheit (ich wollte Geschmacklosigkeit schreiben, dabei hat dies alles nichts mit Geschmack zu tun) wenn ein Bischof Mixa die Abtreibung eines Föten mit der Shoah, dem Holocaust vergleicht. Welches Recht haben alte, vertrottelte Zölibatäre, hier überhaupt ihre Meinung herumzuposaunen? Aber, der Sitz der Seele, wahrscheinlich in der Scheide der Frau, ist doch das liebste Gedankenspielzeug dieser unsäglichen Art von Menschen.

 

Aber, was wird aus unserer Erde werden? Wenn es nicht gelingt, doktrinäre Religionen auszurotten, was ich befürchte, werden Religionskriege geführt werden und diese werden sich der allermodernsten Waffen bedienen, einschließlich derer, die das Leben auf der Erde weitgehend vernichten. Ob das Hand in Hand geht mit wirtschaftlicher Ausbreitung, also Kampf um Ressourcen, und um die blanke Macht, kann niemand voraussehen. Es ist auch möglich, dass die ganz individuelle Bestimmung des einzelnen Menschen durch seine DNA, die eine durch Mode und Gesetze nur schwer zu steuernde Begrenzung ermöglicht, zu so generell geändertem Verhalten führt, dass gleichsam eine Apoptose der Spezies Mensch erfolgt. Die Neandertaler, die wesentlich weniger Möglichkeiten der Selbstvernichtung hatten, sind schließlich auch ausgestorben.

 

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